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05
11
2014

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN - Die ersten Trabis fahen im Checkpoint Charlie ein ©Horst Milde

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN – Mauerspechte und freudetrunkene Läufer – Manfred Steffny in SPIRIDON – Teil 7

By GRR 0

 

Am Donnerstag, dem 9. November 1989 fiel in Berlin – völlig überraschend – für alle – die Mauer! Während nachts schon viele, die die Nachrichten im Fernsehen oder Radio verfolgten, andere den historischen Tag verschliefen, die Grenzübergänge in Berlin stürmten, reagierte auch der Sport umgehend. Schon am 10. November publizierte der BERLIN-MARATHON eine Pressemitteilung mit der Überschrift.

"Kostenlose Teilnahmemöglichkeit für DDR-Läufer beim Crosslauf"!… und weiter "Der SCC hat schon seit Jahren den Sportlern aus der DDR die Teilnahme beim BERLIN-MARATHON kostenlos ermöglicht und hofft, daß die  gegenseitige Teilnahme an Läufen selbstverständlich wird. Der vom SCC geprägte Slogan, an Berlins Läufer "Lauf mal doch mal nebenan", nämlich in der DDR, hat sich nun auch ins Gegenteil verkehrt."

Am Sonntag, dem 12. November 1989 veranstaltete der SCC seinen 26. Berliner Cross-Country-Lauf am Teufelsberg. Annähernd 50 Läuferinnen und Läufer aus Ost-Berlin und der DDR (darunter Roland Winkler u.a.m.) folgten der Einladung.

Im folgenden veröffentlichen wir den Beitrag von Manfred Steffny, der nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat in der SPIRIDON Ausgabe über den Fall der Mauer in Berlin und sein Engagement für die Zukunft des BERLIN-MARATHON.

Horst Milde

 

Die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 hat auch den Laufsport in Deutschland enorm tangiert. Die Enklave Berlin wurde zu einem internationalen Treffpunkt. Der Berlin Marathon hatte 13.433 Finisher, im folgenden Jahr verdoppelte sich die Zahl beinahe.

Was im November/Dezember 1989 in und um Berlin geschah, war einfach „Waaahnsinn!“ – so das in Ost und West gebräuchliche Wort.

Die Lockerung der Reisebestimmungen im Herbst 1989 ermöglichten bereits diversen Läufern aus der DDR die Teilnahme am Berlin Marathon 1989. SPIRIDON stellte einen mit dem Startschuss jubelnden Roland Winkler auf den Titel mit der hintersinnigen Bezeichnung „als Läufer, der sich freut, in seiner Heimatstadt laufen zu dürfen“.

Es war damals nicht ungefährlich, so präsentiert zu werden, denn Winkler hatte zwar die Genehmigung für einen Verwandtenbesuch, nicht aber für die Teilnahme an einer Sportveranstaltung in West-Berlin. Damals gab es nur ganz begrenzten offiziellen Sportaustausch zwischen dem Deutschen Sportbund in Frankfurt und dem Deutschen Turn- und Sportbund in Ostberlin. Das galt auch für Westdeutsche in der DDR.

Werner Sonntag schrieb damals in der November-Nr. von SPIRIDON: „Endlich dürfen wir es laut sagen: Mancher von uns hat an Läufen in der DDR teilgenommen; bis zum Frühjahr 1989, als es zum Rennsteiglauf erstmals ein Startplatz-Kontingent für Läufer aus der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt worden ist, waren diese Teilnahmen illegal. Wir sind unter falschem Namen gestartet. DDR-Läufer haben eine Startnummer erworben, was gar nicht so einfach gewesen ist, und sie haben diese Startnummer an einen ihnen oftmals persönlich Unbekannten weiterverschenkt.“

In der Folge wurde bei bundesdeutschen Läufen weitgehend auf das Startgeld verzichtet. Zuerst wurde dies beim Crosslauf um den Teufelsberg im Grunewald (am 12. November 1989) gehandhabt, als 35 Ostberliner teilnahmen. Mitte November gab es einen im Tiergarten neben der Mauer vom Sri Chinmoy Marathonteam ausgerichteten Lauf, an dem viele aus West und Ost mit verklärten Augen teilnahmen.

Während des Freundschaftslaufs, bei dem auch ich mitlief, hörte man das Klopfen der Mauerspechte, die mit Hammer und Meißel vom Westen her Mauerstücke herausbrachen. Den einen war es ein privates Souvenir, andere verkauften Graffiti-Steine und wieder andere hauten sich lange angestauten Zorn aus dem Leib.

Der München Marathon spendierte tausend Freikarten für seinen Lauf 1990, in Steinheim kam es bereits im Frühjahr zu der ersten großen deutsch-deutschen Marathonbegegnung, in Leipzig wurden mit SPIRIDON als Westpaten die Vorbereitungen für den von der Bundesbahn gesponserten „14. KMU Marathon“ getroffen.

Eine gemeinsame Wertung der DB-Läufe in Leipzig, München und Frankfurt wurde ausgerufen. In Steffnys Laufladen in Düsseldorf bestellten Ostdeutsche Schuhe und bezahlten mit Büchern von Waldemar Cierpinski oder einem Dresdner Stollen.

Schon in New York, eine Woche vor dem Quasi-Mauerfall des 9. November, diskutierten wir im kleinen Kreis mit Horst Milde die Zukunft des Berliner Marathons, den dieser als Renndirektor nach Osten öffnen wollte. Am 8. November nach der Rückkehr schrieb ich an Horst Milde: „Sollte der Berlin-Marathon tatsächlich die Mauer durchbrechen und auch durch Ostberlin führen, würde er meiner Meinung nach zum Lauf Nr. 1 in der Welt aufsteigen können durch das Medien-Interesse und das gleichzeitig steigende Interesse der Sponsoren.“

Zwei Tage später schrieb ich morgens einen weiteren Brief an Horst Milde und las ihn abends bei meinem gerade stattfindenden Laufseminar im Neandertal den heftig zustimmenden Läufer vor.

Hier einige Auszüge: „Nach der Nacht, in der wir Deutsche das glücklichste Volk auf der Erde waren (Zitat Walter Momper), möchte ich zwei Dinge ansprechen:

1. Was du beim Berlin-Marathon praktizierst hat – Startgeldfreiheit für alle DDR-Bewohner – sollte sofort eine Regelung des DLV werden … Nebenbei: wir versenden an viele Adressen in der DDR seit Freigabe der Zeitungen und Zeitschriften auch SPIRIDON kostenlos. In der jetzigen Lage kann man das Notopfer DDR von den Bundesbürgern verlangen.

2. Nutze die Gunst der Stunde zu einem Anlauf zu einem richtigen Berlin-Marathon. Greif zu, jetzt oder nie. Auch im Sport gibt es historische Momente, die man nicht verschlafen darf.

Fordere jetzt alles: Unter den Linden und Ziel, ja Ziel, Brandenburger Tor! …“

Wir malten uns dann schon einmal eine mögliche Strecke aus und publizierten diese auf dem Titel, der um den 20. November erschienen SPIRIDON 11/89 aus (siehe Abbildung).

Damals schrieben wir: „Verständlicherweise darf der Veranstalter selbst nicht vorpreschen, sondern muss eine Fülle von Gesprächen führen. Drei Maximen hat Horst Milde als Leiter des Berlin-Marathons ausgegeben: – auf jeden Fall durch das Brandenburger Tor, – ungefähr ein Drittel durch Ostberlin, – Ziel nach wie vor am Kurfürstendamm.“

Mit diesem SPIRIDON-Heft ging Horst Milde dann bei den diversen Behörden hausieren. Vieles wurde verwirklicht und der avisierte Ansturm von über 20.000 Finishern sogar weit übertroffen.

Milde, der als Verhandler stets ein harter Knochen war, schon mal mit Rücktritt oder Ausfallen des Laufs gedroht hatte, wenn ihm zu viele Steine in den Weg gelegt wurden, setzte sein und unser Konzept durch: eine Woche vor der deutschen Einigung liefen 25.000 Marathonläufer durch Ost und West und durch das Brandenburger Tor. Damals noch nach knapp 2 km.

Beim Berlin Marathon 2009 – 20 Jahre später – war von den Spuren einer Mauer nichts mehr zu sehen. Durch eine Fotokollage machte der Veranstalter SCC-Running an drei Stellen deutlich, wo die Demarkationslinien auf dem jetzigen Kurs lagen: bei km 7 (Kronprinzessinnen-Brücke), nach 14,5 km (Übergang Heinrich-Heine-Straße) und km 38,5 (Potsdamer Platz). So hieß denn auch das Motto: „20 Jahre Mauerfall – Grenzenlos laufen 1989-2009.“

Zur Jahreswende 1989/1990 gab es dann die große Sause, bei der alle Beteiligten ohne einen Tropfen Alkohol besoffen waren. Drei Silvesterläufe machten viele Läufer wie ich mit: erst im Plänterwald, dann mit dem Trabi nach Charlottenburg und obendrein am 1. Januarmorgen der „Erste Gesamt-Berliner Neujahrslauf“ über 6 km ohne Zeitnahme durch das Brandenburger Tor, ausgerichtet vom SCC mit Horst Milde und dem Organisator des damaligen Berliner Friedenslauf, Stefan Senkel.

Dieser Lauf lebt jetzt weiter als Halbmarathon im April. Es gab keine Zeitnahme und statt eines Startgeldes Spenden für UNICEF. 13.000 DM kamen zusammen. Der Lauf war ein Mix von Karneval und Revolution, mit den beiden Bürgermeistern der Halbstädte am Start.

Damals schrieb ich in SPIRIDON 1/90 unter der Überschrift: „Der schönste Neujahrslauf aller Zeiten“: „Es ging um nix und im Grunde um alles. Der erste Gesamt-Berliner Neujahrslauf wurde zur gewaltigen Bürgerdemonstration im Laufschritt. Die Vorstellung, erstmals legal, ohne Grenzpapiere die Mauer und das Brandenburger Tor durchlaufen zu können, war so faszinierend, dass die 20.000 vorbereiteten Startnummern weggingen wie warme Semmeln.

Tausend liefen ohne mit, von niemandem behelligt.“

Manfred Steffny in SPIRIDON 

 

Themengleich:

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Gedanken zum Mauerfall vom 9. November 1989 – Gerd Engel berichtet – Teil 5

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Familie Roland Winkler und die Postkarte von Sabine vom 4. November 1989 – Teil 4

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Rainer Boßdorf und seine Grenzöffnungslaufgeschichten – Teil 3

25 JAHRE MAUERFALL IN BERLIN: Gerhard Thiel und sein 9. November 1989 in der Berliner Staatsoper – Teil 2

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author: GRR

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