Der Dopingfall der weitbesten Marathonläuferin Rita Jeptoo erschüttert den kenianischen Sport in seinen Grundfesten. Wenn die Siegerin von Boston und Chicago der letzten beiden Jahre eine positive Dopingprobe abliefert - wem soll man dann noch trauen? ©Helmut Winter
Der Dopingfall Rita Jeptoo (KEN) – Jürg Wirz (Eldoret) in der Neuen Zürcher Zeitung
Der Dopingfall der weitbesten Marathonläuferin Rita Jeptoo erschüttert den kenianischen Sport in seinen Grundfesten. Wenn die Siegerin von Boston und Chicago der letzten beiden Jahre eine positive Dopingprobe abliefert – wem soll man dann noch trauen?
Was ist mit dem Weltrekordmann Dennis Kimetto, was mit dessen Vorgänger Wilson Kipsang, der am Sonntag in New York so überzeugend gewann?
Bis jetzt hat sich der Verband Athletics Kenia immer auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei den Sündern fast ausschließlich um zweitklassige Läufer handle, von einem echten Dopingproblem also nicht die Rede sein könne. Doch diese Argumentation geriet schon vor zweieinhalb Jahren ins Wanken, als Mathew Kisorio, im Halbmarathon die Nummer 3 der „ewigen" Weltbestenliste, an den nationalen Meisterschaften mit einem anabolen Steroid erwischt wurde.
Jetzt, mit der Causa Rita Jeptoo, ist sie wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Jeptoo war zwei Wochen vor dem Sieg in Chicago in einer Trainingskontrolle hängengeblieben; in ihrem Urin wurden Spuren des Blutdopingmittels EPO nachgewiesen.
Geldgierige Profiteure? Unmittelbar nachdem die positive Dopingprobe publik geworden war, glaubte Athletics Kenia die Schuldigen bereits gefunden zu haben: Die europäischen
Manager und Trainer, die in Kenia seit Jahren viel Basisarbeit leisten und die Laufszene beherrschen, weil der nationale Verband wenig bis nichts tut.
Kipchoge Keino, Übervater und Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, fordert, dass alle Europäer, die in irgendeiner Form mit gedopten Athleten zu tun hatten, das Land verlassen müssen.
„Mit ihrer Geldgier bringen sie die Athleten dazu, leistungsfördernde Medikamente zu sich zu nehmen. Sie sind die wahren Schuldigen – und nicht die Athleten, die meist gar nicht wissen, was erlaubt ist und was nicht." Keino steht mit dieser Meinung nicht allein da.
Doch sind die Europäer tatsächlich die Bösen? Stehen sie hinter der steigenden Zahl von Dopingfällen?
Man muss wissen, dass es inzwischen auch in Kenia immer mehr Straßenläufe gibt, an denen gutes Geld zu verdienen ist – und bei denen es keine Kontrollen gibt. Dass die Athleten in Sachen Doping schlecht aufgeklärt sind, liegt erstens am Verband, der
diesbezüglich viel zu wenig unternimmt, und zweitens an der Überforderung der meisten mit dieser komplexen Thematik.
Hinzu kommt, dass viele Ärzte und Apotheker ihr Einkommen mit dem Verkauf von legalen und illegalen Arzneimitteln aufbessern und praktisch alles in Kenia ohne Rezept erhältlich ist – selbst EPO.
Jeptoos itlienischer Manager Federico Rosa sagte der NZZ: "Ich bin weiß wirklich nicht, wer dahinter steckt. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann: Weder ich noch unser in Kenia tätiger Coach Claudio Berardelli haben etwas damit zu tun."
Tatsächlich hätte es für die Managementfirma Rosa Associati kaum einen Sinn gehabt, Jeptoo zwei Wochen vor dem Chicago Marathon EPO zu spritzen – zu einem Zeitpunkt, als sie bereits als Gewinnerin der Serie World Marathon Majors feststand.
Auch Renato Canova, der italienische Trainer, der seit Jahren in Kenia lebt und arbeitet, ist dieser Meinung: „Ein Manager kann nur verlieren, wenn einer seiner Athleten gedopt ist. Ich würde sagen: Es ist ein Problem, das weit über den Sport hinausgeht." Canova sagt auch: „In all meinen Jahren in Kenia hat mich nie ein kenianischer Topathlet nach leistungsfördernden Medikamenten oder Maßnahmen gefragt, sehr wohl aber europäische
und amerikanische Athleten, die für Trainingsaufenthalte hierherkommen."
Es braucht ein Dopinglabor
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung gibt es in Kenia viele Dopingkontrollen. In Eldoret ist ein Engländer für die Tests verantwortlich. Dass sie funktionieren, zeigt gerade der Fall Jeptoo.
Was fehlt, ist ein Labor, in dem auch Blutproben analysiert werden können. Das Blut muss nach Johannesburg oder Europa geschickt werden, „und das ist sehr teuer", wie Gabriel Dolle vom Internationalen Leichtathletik-Verband betont.
Seit einiger Zeit ist die Einrichtung eines Labors in Eldoret im Gespräch – mit der finanziellen Hilfe der World Marathon Majors. Doch konkret ist noch nichts.
Jeptoo hat inzwischen die Öffnung der B-Probe verlangt. Sollte das Ergebnis der A-Probe bestätigt werden, ist der Weg vorgezeichnet: Die Athletin wird für zwei Jahre gesperrt
und das Geld verlieren, das ihr der Sieg in Chicago eingetragen hätte. Zusammen mit der halben Million für Rang 1 in der Majors-Serie wären es rund 750.000 Dollar.
So oder so hat der Kenianische Sport seine Glaubwürdigkeit verloren und die Athletin weit mehr als ihren guten Ruf. An ihr liegt es jetzt, dass die Drahtzieher auffliegen. Und am Verband und der Regierung, dass diesen das Handwerk gelegt wird.
Nicht wie im Fall von Mathew Kisorio: Dr. Sammy Too, der Kisorio damals das Anabolikum verabreicht hatte, ist im Untergeschoss der Apotheke „Market View" im Zentrum von Eldoret immer noch als Arzt tätig.
Jürg Wirz (Eldoret) in der Neuen Zürcher Zeitung, Donnerstag, dem 6. November 2014