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2014

2014 IAAF Gala Awards Monaco, Monte Carlo November 20-22, 2014 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Drechsler und Koch fanden es gut in der DDR – Michael Reinsch, Monaco in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Berufung von Marita Koch und Heike Drechsler in die Hall of Fame des Welt-Leichtathletikverbandes IAAF überrascht und empört – jedenfalls in Deutschland. Steht doch zumindest der Weltrekord von 47,60 Sekunden von Marita Koch seit 1985 für die vergifteten Bestzeiten, die gerade Frauen seit jener Zeit der sportlichen Hochrüstung Rekorde unmöglich machen.
 
Gegen diese Sicht der Dinge wehrte sich Marita Koch in Monaco. Auf einer Pressekonferenz bei der Gala für die Leichtathleten des Jahres – Valerie Adams und Renaud Lavillenie – warf die Olympiasiegerin von Moskau 1980, die dreimal Weltmeisterin und sechsmal Europameisterin wurde und siebzehn Weltrekorde aufstellte, dem Westen Scheinheiligkeit im Umgang mit Doping vor.

„Gesellschaftlich tut es dem Sport nicht gut, dass man im Rückblick mit dem Finger auf die DDR zeigt und selbst versucht, vieles unter den Teppich zu kehren“, sagte sie am Freitag. „Das ärgert mich nach wie vor.“ Brigitte Berendonk und Werner Franke haben in ihrem Buch „Doping-Dokumente“ bereits 1991 belegt, dass Marita Koch und ihr Trainer und Ehemann Wolfgang Meier mit hohen Dosen Testosteron (Oral-Turinabol) dopten.

Marita Koch hat nie dagegen geklagt. Die spektakulären Ergebnisse zeithistorischer Forschung über Doping in der Bundesrepublik scheinen ihr unbekannt zu sein.

Verherrlichung von Dopern?

„Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich nicht mehr zeigen konnte, dass ich sicher auch 1992 und 1993 Weltmeister hätte werden oder eine gute 48 oder eine 47 laufen können mit doppelt und dreimal so viel Kontrollen“, sagte Marita Koch. Das ist sehr selbstbewusst, schließlich sind in der Geschichte der Zeitmessung lediglich sie und die Tschechin Jarmila Kratochvilova – seit 1983 im Besitz des nicht minder zweifelhaften Weltrekords über 800 Meter von 1:53,28 Minuten – die Stadionrunde je in weniger als 48 Sekunden gelaufen.

Marita Koch hatte ihre Karriere nach der Europameisterschaft 1986 im Alter von 29 Jahren beendet; im Jahr des Mauerfalls 1989 wurde sie Mutter und brach ihr Medizinstudium ab.

Doping-Opfer beklagten, dass die IAAF – nicht zum ersten Mal – gedopte Athleten und ihre Leistungen, letztlich also Doping, verherrliche. Diskus-Olympiasieger Robert Harting verlangte vor der Gala, von der Vorschlagsliste zum Leichtathleten des Jahres gestrichen zu werden, weil die IAAF auch den Sprinter Justin Gatlin nominiert hatte, der vier Jahre wegen Dopings gesperrt gewesen war. Immerhin will die IAAF künftig keine vorbestraften Athleten mehr zur Wahl stellen.

Clemens Prokop, Präsident des deutschen Verbandes, und Helmut Digel, Mitglied des Councils der IAAF, versuchten derweil herauszufinden, wer Marita Koch und Heike Drechsler nominiert hatte. Abgesprochen mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband war das Vorgehen nämlich nicht, und DLV-Präsident Prokop hätte gerne vorab von dem fragwürdigen Schritt erfahren, den Bob Hersh, der amerikanische Vizepräsident der IAAF, eingeleitet hatte.

Hersh beruft sich darauf, bei der Besetzung der vor zwei Jahren initiierten Ruhmeshalle mit einer Gruppe von Sporthistorikern zu kooperieren. Gemeinsam haben sie Wang Junxia an die Seite von Fanny Blankers-Kohn und Wilma Rudolph gestellt, Jesse Owens und Abebe Bikila.

Die chinesische Weltmeisterin und Olympiasiegerin wurde zwar ebenfalls nie positiv getestet. Doch da sie zu „Ma’s Army“ gehörte, der Gruppe des diskreditierten Trainers Ma Junren, welcher angab, seinen Athletinnen Schildkrötenblut verabreicht zu haben, steht sie unter Doping-Verdacht. Im September 1993 unterbot sie innerhalb von sechs Tagen den Weltrekord über 10 000 Meter um 42 Sekunden, den Weltrekord über 1500 Meter um eine halbe Sekunde und den über 3000 Meter zweimal um insgesamt 17 Sekunden.

Lernen aus der Vergangenheit

„Es war gut, in der DDR aufzuwachsen“, sagte in Monaco Heike Drechsler. Sie habe viel gelernt, sie habe die Chance auf eine sportliche Karriere gehabt und dazu beste Bedingungen. „Das war die Geschichte der DDR im Sport. Aber jeder hat auch seine individuelle Geschichte“, sagte die Weitspringerin zum Thema Doping. „Man weiß, ob Ost oder West, dass es immer noch ein internationales Problem ist.“

Von dem Anti-Doping-Gesetz, das die Bundesregierung vorgeschlagen hat, verspreche sie sich, dass der Sport wieder an Glaubwürdigkeit gewinne. „Man kann nur lernen aus der Vergangenheit, um die Dinge zu gestalten für die Zukunft“, sagte sie. „Auch die Athleten in der DDR haben hart trainiert für ihre Leistungen.“

Ihr Glück sei gewesen, dass sie, sieben Jahre jünger als Marita Koch, ihre Karriere nach dem Fall der Mauer 1989 habe fortsetzen können. So habe sie unter den neuen Bedingungen 1992 ihre Bestleistung von 7,48 Metern wiederholen können. Olympiasiegerin wurde sie 1992 in Barcelona und 2000 in Sydney, Weltmeisterin 1983 in Helsinki und 1993 in Stuttgart. „Keiner kann etwas dafür, dass er in so einem System geboren wird“, sagte sie über die DDR, „und nicht alle sind Märtyrer.“

Die Enthüllungen von Berendonk und Franke über ihr Doping in den achtziger Jahren hatte sie seinerzeit als Lüge bezeichnet. Daraufhin wurde sie von den Autoren verklagt und unterlag. Zeugen wurden wegen Falschaussagen verurteilt.

Koch bestreitet Doping

In Monte Carlo saßen die beiden Athletinnen gemeinsam vor den Journalisten aus aller Welt. „25 Jahre nach dem Mauerfall wird der DDR-Sport noch in die Schmuddelecke gestellt, vielleicht zum Teil berechtigt“, sagte Marita Koch. „Aber man muss das individuell betrachten, und jeder kann nur selbst für sich sagen, was er getan hat und was nicht.“

Sie bestreitet Doping, beharrt darauf, dass sie mit den Angaben über die Vergabe von Doping-Mitteln schon zu Zeiten der DDR Sportapparat und Staatssicherheitsdienst getäuscht habe. „Ich habe immer gesagt, dass ich ein gutes Gewissen hatte, dass ich hunderttausendmal getestet wurde und alles war gut“, sagte sie nun. „Sicher war das nicht immer und überall so, und das ist weltweit so: Überall gibt es schwarze Schafe, und mit zunehmendem Kommerz wird es das vielleicht immer geben, dass jemand versucht, seine Leistung zu pushen.“

Dann wurde Marita Koch gefragt, warum sie nicht als Trainerin arbeite. Sie habe nicht das Gefühl, sagte sie, dass irgendjemand in Deutschland Wert auf ihre Mitarbeit lege.

Michael Reinsch, Monaco in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,  Dienstag, dem 25.11.2014

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