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Sogenannte Rücktritte und Datendiebe – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der Welt-Leichtathletikverband gerät im Doping-und-Korruptions-Sumpf weiter in die Defensive. Nun ist der Chef der Anti-Doping-Abteilung zurückgetreten. Der designierte Präsident Sebastian Coe schweigt derweil.

Selbst Rücktritte im Welt-Leichtathletikverband IAAF, die der russische Doping-Skandal ausgelöst hat, sind merkwürdig unentschieden. Walentin Balachnitschew, der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes, ist am Donnerstag aus dem Präsidium der IAAF zurückgetreten – widerwillig und nur zeitweise, daran lässt er keinen Zweifel. Er werde seine Pflichten als Schatzmeister und Mitglied des Councils nicht wahrnehmen, schreibt er an IAAF-Präsident Lamine Diack und seine Kollegen, „bis diese Auseinandersetzung zu einem Ende gebracht ist“.

Gleichzeitig teilt die IAAF mit, dass der Sohn des Präsidenten, Papa Massata Diack, schriftlich bestätigt habe, dass er seine „Aktivitäten zugunsten der IAAF“ bis zum endgültigen Bericht der Ethik-Kommission aussetze. Diack junior wird wie Balachnitschew damit in Verbindung gebracht, dass die russische Marathonläuferin Lilija Schobuchowa mit der Zahlung von 600.000 Dollar eine Doping-Sperre während der Olympischen Spiele 2012 in London vermied; als 2014 eine Sperre wegen ihrer Blutwerte nicht mehr verhindert werden konnte, erhielt sie über einen Absender in Singapur 400.000 Dollar zurück. Diack junior hat bestätigt, dass der Eigentümer der inzwischen aufgelösten Briefkastenfirma ein Geschäftspartner sei.

Papa Massata Diack gilt als Vermarktungspartner der IAAF. Die millionenschweren Sponsoringpakete, mit denen Daegu, Moskau, Peking und jüngst Doha den Zuschlag für die Weltmeisterschaften förderten (Samsung, VTBank, Sinopet, Bank of Qatar), werden offiziell von seiner Agentur in Dakar, Pamozdi Sports Marketing, akquiriert und, gegen Provision, an die Vermarktungsagentur der IAAF, Densu, weitergeleitet. 2007 war Diack junior Berater der siegreichen Moskauer Bewerbung um die WM 2013. Laut „Guardian“ bot er vor der Vergabe der Leichtathletik-WM 2017 (an London) dem Kandidaten Doha seine Hilfe für fünf Millionen Dollar an.

Die WM 2019 geht in das Emirat. Diack junior und Balachnitschew bestreiten jede Schuld.

Balachnitschew bleibt offenbar Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes. Die Vorwürfe nennt er „gewalttätige und voreingenommene, jedoch völlig grundlose Angriffe“. Er betrachte sie als „gut orchestrierte Verschwörung gegen mich“. Seine Abwesenheit werde er nutzen, um seine Rechte durchzusetzen, versichert Balachnitschew, „ohne die Stabilität oder die Glaubwürdigkeit des IAAF-Councils zu gefährden“.

Coes taktisches Schweigen

Gerade die Versicherung der Loyalität ist in diesem Gremium wichtig. Wer sich mit Kritik und Kritikern der IAAF gemein macht, droht isoliert und ausgestoßen zu werden. Das könnte auch die Zurückhaltung von Sebastian Coe erklären.

Der Mann, der Olympiasieger wurde und Weltrekorde lief, der die Olympischen Spiele 2012 nach London holte und organisierte, der als Abgeordneter im Unterhaus saß und von der Queen geadelt wurde, der im August in Nachfolge von Diack Präsident der IAAF und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees werden soll, ist abhängig vom Votum der nationalen Verbände. Zwar hat er mit großem Aplomp vor wenigen Tagen ein Programm veröffentlicht, in dem er der Leichtathletik verspricht, in ein neues Zeitalter zu wachsen.

Doch allein durch die Reformpläne seines Freundes Thomas Bach für die Olympischen Spiele scheinen einige Disziplinen der Leichtathletik auf der Kippe zu stehen. Waren es – bei 47 verschiedenen olympischen Wettbewerben – bislang eher Disziplinen wie Hammerwerfen und Gehen, die von Veranstaltern und Neuerern auf die Streichliste gesetzt werden, erscheint nun die gesamte Sportart existentiell gefährdet zu sein durch Doping – allen voran die spektakulären Laufwettbewerbe.

In einer solchen Situation den Präsidenten des russischen Verbandes oder den gar den absolutistisch herrschenden IAAF-Präsidenten zu kritisieren, könnte Stimmen kosten im Rennen mit Sergej Bubka, dem ehemaligen Stabhochspringer aus der Ukraine.

Druck auf Coe

Zugleich erhöhen erklärte Doping-Gegner den Druck auf den Wahlkämpfer Coe. Renee Anne Shirley forderte Coe dazu auf, sämtliche Doping-Proben der Leichtathletik-Weltmeisterschaften zwischen 2007 und 2013 nach modernsten Standards unter anderem des Kölner Doping-Labors abermals testen zu lassen. Sie war einst Geschäftsführerin der jamaikanischen Anti-Doping-Agentur und hatte 2013 publik gemacht, dass die angeblichen Doping-Jäger in der Karibik von einem Hochstapler angeführt wurden und vor Olympia 2012 nur eine einzige Trainingskontrolle im Land von Usain Bolt und Co. genommen wurde.

Abermalige Tests nach neuesten Methoden? Auf diese Idee kommen die Funktionäre der IAAF bislang offenbar nicht, sie jagen lieber vermeintliche Datendiebe. In einer Mail an die Website letsrun.com schreibt Nick Davies, der Sprecher der IAAF, er sei von dem Film der WDR-Sendung Sport inside „extrem geschockt“, in dem Listen mit Blutwerten gezeigt wurden.

Diese irreführenden Informationen – 150 Athleten hätten verdächtige Blutwerte und seien nicht kontrolliert worden – seien aus der Anti-Doping-Abteilung der IAAF gestohlen worden. Diese hochsensiblen Daten seien von Journalisten bei der IOC-Session in Monaco eingesehen und für sensationsheischende Artikel benutzt worden. „Wie jeder halbwegs gebildete Leichtathletik-Fan mit Interesse an der Wissenschaft der Doping-Bekämpfung weiß“, schreibt Davies, „ist ein einziger Wert in einer Langzeitstudie von Blutwerten als Beweis für Doping wertlos, sondern wird als Hinweis genutzt.“ Athleten mit „roter Flagge“ könnten gedopt, aber, wie sich oft herausstelle, auch unschuldig sein. Deshalb sollten solche Daten im Safe der Anti-Doping-Abteilung der IAAF unter Verschluss bleiben.

Unterdessen hat sich die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) entschieden, nicht die Untersuchung der unabhängigen Ethik-Kommission der IAAF abzuwarten, sondern dem Vorwurf systematischen Dopings in Russland selbst nachzugehen. Wada-Präsident Craig Reedie kündigte an, eine Untersuchungskommission einzusetzen.

Rücktritt des Anti-Doping-Chefs

Und immerhin einen richtigen Rücktritt scheint es nun doch zu geben: Als Konsequenz aus den Vorwürfen über systematisches Doping in Russland soll Berichten der „L’Équipe“ und des „Guardian“ zufolge der Direktor der Anti-Doping-Abteilung im Leichtathletik-Weltverband (IAAF) zurückgetreten sein.

Der Franzose Gabriel Dollé habe nach einer Befragung durch die Ethikkommission des IAAF sein Amt niedergelegt, meldeten beide Blätter am Freitag. Zuvor hatte sich bereits Valentin Balachnitschew von seinem Posten als IAAF-Schatzmeister zurückgezogen, bis die Untersuchung abgeschlossen ist. Auch Papa Massata Diack, der Sohn von IAAF-Präsident Lamine Diack, lässt seine Tätigkeit als Marketingberater vorläufig ruhen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Donnerstag, dem 11. Dezember 2014

 

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author: GRR

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