Sebastian Coe (r) 1984 in Los Angeles ©Victah Sailer
Leichtathletik-Weltpräsident – Verdruckster Wettlauf um die Macht – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung
Die russische Doping-Affäre durchkreuzt die Pläne zweier Olympiasieger: Sebastian Coe und Sergei Bubka wollen künftig den Leichtathletik-Weltverband anführen – doch deutliche Worte zu den Vorwürfen sind von beiden nicht zu hören. Bubka hängt sogar selbst mit drin.
Der Tag, an dem die Zukunft der globalen Leichtathletik beginnen soll, steht fest. Es ist der 18. August 2015, der Wahltag im Weltverband IAAF. Ein neuer Präsident wird gesucht, der sechste seit 1912 – und zudem eine Richtung, die der olympische Kernsport einschlagen soll. Entschieden wird in Peking, wenn der Sommersmog in Chinas Kapitale nur schwer zu durchdringen sein wird.
Deutlich zeichnet sich heute schon ab, dass die Zeit bis dahin nicht frei sein wird von Friktionen, wie sie die International Association of Athletics Federations selten erlebt hat. Das liegt an einer kritischen Gemengelage, in der sich die beiden Kandidaten um das prestige-beladene Amt bewerben.
Dieses gibt der Senegalese Lamine Diack, 81, nach 15 Jahren ab. Die Kandidaten sind benannt, charakterlich könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Was sie verbindet: Beide waren Olympiasieger, beide brachen Weltrekorde in Serie, der eine als Läufer auf der Mittelstrecke, der andere im Stabhochsprung.
Zum einen ist da der smarte Brite Sebastian Coe, 58, Typ Everybody's Darling, ein Angehöriger des Establishments, der Chef des Organisationskomitees der Olympischen Sommerspiele 2012 in London. Sein Geschick im Umgang mit jedem und allem wird von liberalen Kräften als Chance für eine bessere Zukunft der darbenden Leichtathletik angesehen. Coe, der Dauerläufer, hat die Kandidatur bereits erklärt.
Reformen des IOC Dopingvorwürfe stören den schönen Schein
Das IOC will sich selbst reformieren, 40 Punkte werden beim Gipfel in Monte Carlo im Sprinttempo durchgewinkt. Dabei stört der Dopingskandal im russischen Sport nur. Für Präsident Thomas Bach müssten die Vorwürfe höchst unangenehm sein. Analyse
Zum anderen Sergei Bubka, 51, aus der Ostukraine, ein Wendegewinnler, dessen Sozialisation vorwiegend im sowjetischen und später im russisch zugewandten System des Donbass für die Zementierung des Status quo in der Leichtathletik zu stehen scheint. Bubkas offizielle Kandidatur steht noch aus. Via Twitter deutete der Höhenjäger aber an: "Meine Freunde in der IAAF kennen meine Pläne."
Dass der Wettlauf um die Macht nun viel zu früh eine den beiden Großmeistern der Leichtathletik unwillkommene Brisanz erhielt, hat mit einem "schmutzigen Krieg" (Independent) zu tun. So wird nicht nur in englischen Medien jener Anfang Dezember vom deutschen Fernsehen (ARD/ WDR) aufgedeckte Skandal um Systemdoping in Russland bezeichnet – und um dessen Vertuschung durch Ärzte, Trainer und Funktionäre in Russland.
Von der Affäre ist die IAAF-Führung peinlich berührt, weil sie ihren angeblich so erfolgreichen Antidopingkampf ins Lächerliche zieht. Der Fall erschüttert die Glaubwürdigkeit dieses Sports so schwer wie ehedem die Entschlüsselung des flächendeckenden DDR-Dopings oder die Enttarnung der Sprint-Olympiasieger Ben Johnson (Kanada) und Marion Jones (USA). Und er durchkreuzt die Pläne der Kandidaten zur Übernahme des IAAF-Hochsitzes.
Profundes war zuletzt von beiden nicht zu hören
Hautnah bekam das der Adelsmann Coe (seit 2000 Baron of Ranmore, Mitglied im House of Lords) am 3. Dezember zu spüren. Mittags hatte er sein "Manifesto" zum Start seiner Wahlkampagne samt Spin Doctor und sonstigem Pipapo vorgestellt, hatte er seine Vision von einer recycelten, "wachsenden Leichtathletik in einer neuen Zeit" gewohnt eloquent erläutert (und es abgelehnt, von einer Krise der Leichtathletik zu sprechen). Am Abend dann: die knallharte ARD-Sendung. Sie lieferte diese Krise frei Haus nach London.
Wenige Tage später musste Coe lesen, dass er "nur ein weiterer Sargträger der Leichtathletik ist, es sei denn, er macht sein Wahlversprechen wahr, setzt sich für Doping als Straftatbestand ein und wirft Nationen raus, die systematisch Individuen missbrauchen, um globales Prestige zu erlangen" (Independent).
Zusehends wird der Druck größer. Statt im Duell mit Sergei Bubka überzeugend die Hoffnung zu vermitteln, sein Sport werde die Herausforderungen der Zukunft schon bewältigen, muss Coe unbequeme Abwehrarbeit verrichten. Der Brite, Vizepräsident der IAAF, weiß: Gelingt es ihm nicht, den Stall zu säubern, setzt er seinen Ruf als moralische Instanz und respektierter Weltsportführer aufs Spiel.
Defensiv bleiben und wegducken
Nur; Seb Coe ("Sir Seb oder Lord Coe? Einfach nur Seb ist in Ordnung") bleibt defensiv, duckt sich weg, wirkt schmallippig und nervös – ein Treffen mit dem ARD-Autor der Dokumentation verweigerte er. Sein ausdrucksstärkster Kommentar zum Russen-Fall war bisher: "grässlich".
Dahinter steckt Taktik: Jedes falsche Wort könnte die Wahlchancen in Peking gefährden. Dabei hätte Coe, so die Meinung der Briten, sehr wohl die Autorität und Rhetorik für starke Statements.
Profunderes war auch von Gegenspieler Sergei Bubka ("Bin tief geschockt") nicht zu hören. Das kann nicht wirklich überraschen. Der Mann aus Luhansk nahe Donezk im Kriegsgebiet – einst Artist am Stab, aber selten Wortakrobat, schon gar nicht beim Thema Doping -, steckt in der Tinte.
Die Affäre tangiert und stört ihn mehr noch als Coe. Bubka, ebenfalls IAAF-Vize, wird eine Nähe zum russischen Verbandschef Walentin Balachnitschew nachgesagt, dem in die Doping-Causa verwickelten, inzwischen bis auf Weiteres suspendierten Schatzmeister des Weltverbands.
Und, wie geraunt wird, Bubkas bester Stimmenbeschaffer im Plenum der 212 Mitgliedsländer umfassenden IAAF.
Doping in Russland – Entlarvt im eigenen Sumpf
Ein Film und seine Folgen: Die ARD-Doku über Doping in Russland bringt die Sportwelt ins Wackeln. Sie enttarnt nicht nur Athleten und Funktionäre, sondern auch Labore, Kontrolleure und vermeintliche Anti-Doping-Experten. Wer betreibt nun die Aufklärung? Analyse
Die Mängelliste Bubkas ist aber auch so schon lang. Er entstammt dem von der Dopingseuche infizierten Spitzensportsystem zu Sowjetzeiten. Hinzu kommen die vielen Dopingfälle in der Ukraine, deren Olympiakomitee-Vorsitzender er ist. Zudem die in 2014 eskalierende Kriegspolitik seiner ostukrainischen Heimat. Nachrangig ist eher, dass Bubka im Februar 2014 seinen Stabhochsprung-Weltrekord nach zwanzig Jahren verlor, der Franzose Renaud Lavillenie verbesserte ihn um zwei Zentimeter auf 6,16 Meter.
Bubka, sagen Insider, sei naiv, wenn er gegen Coe antrete. Er werde verlieren, wie er 2013 bei der Wahl des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit nur vier Stimmen in Durchgang zwei gegen den Deutschen Thomas Bach verlor. Käme es soweit – was keineswegs sicher ist, denn Bubka-Bataillone gibt es im IAAF-Plenum -, verlöre der Ukrainer seinen einzig klar erkennbaren Vorteil gegen Coe: Bubka sitzt bereits im IOC, sogar in dessen Vorstand, der Brite nicht. Nur mit dem IAAF-Spitzenamt steigt Coe automatisch in den Olymp auf.
Coe oder Bubka? Das Votum entscheidet indirekt auch über die zweite Frage: Besteht doch noch eine Chance, dass die Leichtathleten die russische Doping-Affäre überzeugend aufarbeiten?
Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend, dem 27. Dezember 2014
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