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15
03
2015

Sven Güldenpfennig: Vom Missbrauch des Sports. Eine unendliche Geschichte erfolgreichen Scheiterns. Hildesheim 2014: Arete. 478 S.; 34,95 € ©arete Verlag Hildesheim

Über den Eigenwert der Sportidee und gegen alle Instrumentalisierung – Sven Güldenpfennig: Vom Missbrauch des Sports – Die Buchvorstellung aus dem ARETE Verlag

By GRR 0

Über den Sinn des Sports ist schon viel nachgedacht und geschrieben worden – nicht nur in einer Buchreihe, die selbst den Titel „Sport als Kultur. Studien zum Sinn des Sports" trägt.

Dessen jüngster Band 12 mit der Überschrift „Vom Missbrauch des Sports. Eine unendliche Geschichte erfolgreichen Scheiterns" ist jetzt dazugekommen. Alle Werke der Reihe sind verfasst von Dr. habil. Sven Güldenpfennig, der früher u.a. wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Olympischen Instituts in Berlin war sowie an verschiedenen Universitäten in Deutschland gelehrt hat und heute als freier Autor in Vohburg an der Donau lebt.

Zugegeben: Der Titel des Bandes und noch mehr der Beipackzettel des Verlages mit dem eindeutigen Aufruf: „Lasst den Sport Sport sein – zu aller Wohle" wecken spontane Lesebereitschaft. Doch wer das dicke Buch zur Hand nimmt, fragt sich sodann: Warum müssen es denn gleich 476 Seiten sein? Das ist harte Kost, die man nicht mal eben so nebenbei in der U-Bahn anrührt, geschweige denn wie einen spannenden Roman oder Krimi verschlingt – oder doch?

Schließlich behandelt Sven Güldenpfennig im Buch ganz aktuelle „Missbrauchsfälle" wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, den „Höllensturz des Uli Hoeneß", den „Fall" des behinderten Rekord-Weitspringers Markus Rehm, widmet sich der kirchlichen Begleitung der Olympiamannschaft bei den Winterspielen in Sotschi 2014 etc. etc.

Wer jedoch wissen möchte, warum diese Beispiele aus dem Sport zu Missbrauchsfällen des Sports werden und was sie mit dem „Sport als Kultur" verbindet, der muss sich zunächst nach dem vierseitigen Vorwort des Verfassers durch die beiden ersten Kapitel von Sven Güldenpfennig hindurchwühlen, wo (sorry: gleich schon mal auf über 100 Seiten!) das weite Feld abgesteckt wird, in dem sich der Sport seinem Sinn nach bewegt. Das geschieht unabhängig von den Missbrauchsfällen selbst.

Hier wird ausführlich erklärt, wo und wie die Sportidee sich sinngerecht und praktisch entfalten kann und hier werden zugleich die Maßstäbe dafür gesetzt, um die Versuche der mit dem Sport nicht vereinbarten Instrumentalisierungen später der Reihe nach zu identifizieren.

Darum geht es Sven Güldenpfennig und darum ist die Botschaft so einfach („Lasst den Sport Sport sein") und doch so paradox – wie seine zeithistorischen Beispielfälle in den Kapiteln danach zeigen, aus denen er „Eine unendliche Geschichte des erfolgreichen Scheiterns" (Untertitel) strickt.

Eigensinn, Eigenwert und Eigenrecht der Sportidee – das ist der fundamentale Dreiklang, auf dem das Buch basiert und von dem Güldenpfennig gleich im ersten Satz des Vorwortes schreibt, dass es parteilich (aber kein Parteibuch) ist. Parteilich ist sein opulentes Werk insofern, als es streng aus der Perspektive des Kulturgutes Sport argumentiert – mehr noch: Sven Güldenpfennig entfaltet im Einführungskapitel einen Sportdiskurs, der ihn primär im Feld kulturellen Handeln lokalisiert und ihn darin als eine besondere Kunstgattung deutet. Dabei betont der Autor auch und gerade wesentlich den „ästhetisch-schöpferischen Kern eines Sportgeschehens".

Um den Sport in die Familie der Künste einzuordnen und seine Verwandtschaft zur Literatur, zum Film, zur Malerei und zur Musik herzuleiten, entfaltet Güldenpfennig eine Architektur des Sports mit zwanzig Säulen, die die Idee des Sports (im wahrsten Sinne des Worts:) mit der „Kunst verkörpern".

Und worin liegt die Idee des Sports ganz genau? Wie sind demnach diese Säulen beschaffen? Ohne hier alle Säulen im Einzelnen zu beschreiben, wenigstens ein paar Kernsätze, die das Wesen des Sports klar und deutlich nachvollziehbar erscheinen lassen: Im Sport arbeiten wir künstlich geschaffene Widerstände ab … im Sport schaffen wir eine fiktive Realität … im Sport geht es originär um ästhetische Formgestaltung … im Sport produzieren wir das Geschaffene selbst, und zwar in den Grenzen unserer körperlichen Möglichkeiten … ist das nicht ein Wunder? Ja, denn der Sport gehört zu der Familie der Künste und: „Kunstwerke sind Wunder, schaffen friedliche schöpferische Ausnahmezustände".

Güldenpfennig ist ein Verehrer des Sports … ein Liebhaber dieser wundersamen Ausnahmezustände. Deswegen teilt er gleich zu Anfang das „Lob des Sports", das der Literaturwissenschafter Hans Ulrich Gumbrecht vor Jahren in Buchform präsentierte. Lob nach diesem Verständnis bedeutet grundsätzliche Anerkennung und Wertschätzung des Kulturgutes Sport.

Dieses gilt es, als ein gutes Gut zu pflegen und zu bewahren. Nur wer auf dieser Seite steht, kann die Kehrseite der Medaille betrachten und den Missbrauch des Sports anprangern. Dazu legt Güldenpfennig akribische Untersuchungen vor. Sie wiederum sind allesamt getragen von dem Ziel, die Kernkompetenz des Sports zu stärken und nach weiteren Verbündeten zu suchen, die diese gleichsam „verkörpern".

Nur so kann es gelingen, den Sport vor sich selbst zu immunisieren und vor weiterem außersportlichem Missbrauch zu schützen – es sei denn, die unendliche Geschichte das erfolgreichen Scheitern geht weiter.

Sven Güldenpfennig: Vom Missbrauch des Sports. Eine unendliche Geschichte erfolgreichen Scheiterns. Hildesheim 2014: Arete. 478 S.; 34,95 €

Prof. Detlef Kuhlmann

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