Sauber - Bei Julija wirkt nur noch Training ©JoAnna Zybon
Wie schnell bin ich ohne Doping? Interview von JoAnna Zybon in SPIRIDON mit Julija Igorewna Stepanowa
Gut ein Vierteljahr nach der Erstausstrahlung und der Flucht der Familie Stepanow aus Russland beantwortet die mutige Neuberlinerin unbefangen alle Fragen – auch jene, deren Antworten sie selbst noch nicht kennt.
Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"
Ihre persönliche Bestzeit gilt nicht mehr: 2011 lief Julija Stepanowa bei den Russischen Meisterschaften 800 m in 1:56,99 min. 2013 annulierte der IAAF dieses Ergebnis, als Julija wegen EPO-Dopings für zwei Jahre gesperrt wurde. Aber auch ihre offiziellen, gültigen Ergebnisse sind gedopt zustande gekommen. Julija selbst hat sich zu ihrer Doping Vergangenheit bekannt und nicht nur in der ARD-Dokumentation ihre Sünden gebeichtet.
Die Sünden heißen: EPO, anabole Steroide und Wachstumshormone als kurzzeitiges Experiment. Seit dem Beginn ihrer Schwangerschaft Anfang 2013 dopt sie nicht mehr.
Nun lautet die spannendste Frage, die Julija sich selbst stellt, wie leistungs- und konkurrenzfähig sie wirklich ist. Um das herauszufinden trainiert die mädchenhafte Athletin zweimal täglich. Sie wünscht keine Publicity, nutzt aber jede Chance, die Wahrheit über das russische Doping-System zu erzählen.
Im Gespräcwirkt sie gelassen, bescheiden, natürlich und sehr mit sich im Reinen. Julija und ihr Ehemann Vitaly Stepanow sind die „wichtigsten Whistleblower in der Geschichte der Doping-Bekämpfung“ (O-Ton Seppelt), aber das Wort Whistleblower behagt ihnen nicht.
Es passt auch nicht zu ihrer Unaufgeregtheit. Denn auch Vitaly wirkt gelassen, ernsthaft und so ruhig, als wäre seine Zukunft nicht ungewiss. Früher hat er für die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA gearbeitet, nun weiß er noch nicht, was er in Deutschland arbeiten darf und wird.
Auch Vitaly ist ein Läufer. Seine PB über 10 km beträgt 34 min. Bei Julijas langen Trainingseinheiten assistiert er als Pacemaker. Am 18. April plant er einen Start beim Airport Night Run in Berlin.
Der Herzensbrecher der Familie heißt Robert und ist 16 Monate alt. Zwischenzeitlich zieht Robert beim Interview die volle Aufmerksamkeit auf sich – und im Grunde geht es ja um ihn bzw. um seine Generation.
Um den Traum vom sauberen Sport. Für diesen Traum, dass die Strukturen m Sportsich irgendwann doch verändern werden und Doping irgendwann doch ernsthaft bekämpft werden wird, haben Roberts Eltern ihr Leben in Russland aufgegeben. Dafür gebührt ihnen Dank und die größte Anerkennung. Für ihren weiteren Weg ist ihnen alles Gute zu wünschen.
Wer die schockierende ARD-Dokumentation im Fernsehen verpasst hat, kann sie übrigens im Internet immer noch abrufen:
www.daserste.de/sport/sportschau/videosextern/geheimsache-doping-wierussland-seine-sieger-macht-102.html
Indes arbeiten Hajo Seppelt und sein Team an einer Fortsetzung der Dokumentation.
Ob im zweiten Teil auch deutsche Athleten eine Rolle spielen werden? Eine Aussage des ersten Teils lautet, dass 99 % der russischen Sportler edopt sind.
Sind woanders ausschließlich reines Talent und Trainingsfleiß für die Erfolge verantwortlich?
ENTHÜLLUNGEN NICHT BEREUT
SPIRIDON: Hast du die ARD-Dokumentation und deine Rolle als Whistleblowerin bisher schon mal bereut?
STEPANOWA:Ich bereue nichts. Wir haben das Richtige getan! Wir beide, Vitaly und ich, wir wollten einfach nur die Wahrheit erzählen – und das haben wir gemacht. Es war richtig so.
SPIRIDON: Was sagst du zum Rücktritt von Valentin Balachnitschew, dem Präsidenten des russischen Leichtathletikverbands?
STEPANOWA: Herr Melnikow und Herr Portugalow sind noch da! In der Dokumentation haben wir Beweise gegen die beiden gebracht, trotzdem dürfen der Nationaltrainer Melnikow und der Chefmediziner Portugalow weiter arbeiten. Generell kann man sagen: Das System muss sich ändern, die Personen selber ändern sich ja leider nicht. Wir aber sehen nicht, dass sich das System ändert.
SPIRIDON:Dein neuer Trainer ist AndréHöhne. Wie klappt eure Zusammenarbeit?
STEPANOWA: André Höhne ist der aushelfende Co-Trainer, der mir sehr zur Seite steht. Der Haupttrainer ist Peter Selzer, der mich sehr unterstützt und der auch André selbst betreut. Ich mag es sehr, wie man hier mit dem Trainer zusammenarbeitet und das Training bespricht. In Russland war das so: Du trainierst, dops und musst sofort Ergebnisse liefern, z.B. bei nationalen Meisterschaften gewinnen. Auch war es in der russischen Trainingsgruppe üblich, dass alle Mädchen den gleichen Trainingsplan erhielten. Der Coach hat einen Plan für alle gemacht. Hier ist es anders, Peter schreibt den Plan individuell nur für mich.
SPIRIDON: Bei den Norddeutschen Meisterschaften in Berlin bist du außer Konkurrenz gestartet. Willst du irgendwann für den DLV oder einen anderen Nationalverband starten, und wenn ja, wann?
STEPANOWA:Ich würde gerne für den DLV starten, aber wir wissen noch nicht, ob das möglich sein wird. Vorläufig konzentriere ich mich aufs Training, weil ich wissen will wie schnell ich laufen kann. Bei vielen Wettkämpfen im Sommer kann man unabhängig starten. Einen Nationalverband braucht man nur für große internationale Wettkämpfe wie EM und WM.
SPIRIDON: Welche sind deine nächsten läuferischen Ziele?
STEPANOWA: Mein Ziel ist zu trainieren, gesund zu bleiben und zu sehen wie schnell ich ohne Doping rennen kann, nur mit meinen natürlichen Fähigkeiten. Wenn die Organisatoren von Wettkämpfen mich laufensehen wollen, würde ich gerne im Sommer bei kommerziellen Läufen in Deutschland und Europa starten. Wir haben noch keinen Plan.
SPIRIDON: Welcher Institution traust du am ehesten zu, deine Aussagen und
Enthüllungen wirklich gewissenhaft zu untersuchen? Zum Beispiel WADA, IAAF, NADA?
STEPANOWA: Natürlich der WADA. Für uns war es von Anfang an die WADA. Wir beide hoffen dass die WADA gut ermittelt, und dass all diejenigen bestraft werden, die das Doping-System in Russland aufgebaut haben. Womit wir wieder bei der Frage nach Balachnitschew wären: Ok, Balachnitschew hat zwar seinen Posten verlassen,aber er wurde nicht gesperrt. Auch Maslakow (Leichtathletik-Cheftrainer, Anmerkung
Red.) wurde nicht gesperrt. Ein anderes aktuelles Beispiel ist Viktor Chegin, der Geher-Coach. Obwohl mehr als 20 seiner Athleten wegen positiver Doping-Proben gesperrt sind, darf er weiter arbeiten. Diese Leute müssten offiziell gesperrt werden. Coaches, die
Doping-Mittel zur Verfügung stellen, müssten für ihr ganzes Leben von der
Leichtathletik gesperrt werden. Was die RUSADA angeht: die RUSADA kämpft nicht gegen Doping, sondern hilft beim Dopen. IAAF:Wir hörten, dass es dort Korruption gibt, haben aber keine Beweise. WADA und IAAF arbeiten bei der Untersuchung in Russland zusammen. Wir hoffen auf die WADA.
SPIRIDON: Die Amtszeit von Lamine Diack (Präsident IAAF) geht dieses Jahr zu Ende. Um seine Nachfolge konkurrieren Sebastian Coe und Sergei Bubka. Wer von den beiden ist deiner Ansicht nach der bessere Kandidat für den AntiDoping-Kampf?
STEPANOWA: Als Athletin kenne ich keinen der beiden Kandidaten persönlich. Aber ich hoffe, wer auch immer der nächste Präsident werden wird, dass er Doping bekämpfen wird. Dass er die Fähigkeit für den Anti-Doping-Kampf mitbringt. Ich hoffe dass er korrekt arbeiten wird: dass er Athleten sperrt, die dopen, und sauberen Athleten hilft bei fairen
Wettkämpfen zu konkurrieren. Wir beide hoffen, dass ihm faire Wettkämpfe mehr bedeuten werden als Geld und Weltrekorde.
SPIRIDON:Hast du dich schon in Berlin eingelebt? – Wie gefällt dir das Leben hier?
STEPANOWA: Wir sind früher viel gereist. Wir fuhren zu vielen Trainingscamps, wir wohnten mal in Moskau, mal in Tscheljabinsk, wo Vitaly herkommt, mal in Kursk, wo ich herkomme. Berlin mögen wir nun sehr, denn hier kann man gut laufen! Es gibt viele Parks und Sportplätze. Das Winterwetter ist viel besser als in Russland. Im
ganzen letzten Winter hatten wir zwei kalte Wochen. Die Trainingsbedingungen sind hier viel besser. Die Straßen sind sauberer und haben nicht so viele Löcher. Wir können mit dem Babyjogger trainieren. In Russland sind die Wege nicht geeignet für einen Babyjogger.
Das Leben ist hier gut.
Steckbrief
Julija Igorewna Stepanowa
* 3. Juli 1986 in Kursk
Verheiratet mit Vitaly Stepanow
1 Sohn (16 Monate)
Körpergröße: 164 cm – Gewicht: 53 kg
Trainer: Peter Selzer, André Höhne
Hobbys: Kochen und Reisen
Persönliche Bestzeiten (gedopt erzielt, trotzdem weiterhin offiziell):
800 m: 1:58,99, 2009 Cheboksary
1.000 m: 2:39,81, 2009 Dubnica
1.500 m: 4:06,08, 2009 Bryansk
Halle:
600 m: 1:24,02, 2011 Moskau
800 m: 1:58,14, 2011 Moskau
1.500 m: 4:16,08, 2008 in Moskau
Auszug aus Julijas Trainingsplan(ohne Krafttraining)
Morgens Abends
Montag 10 km in 50 min 4 km locker und 5 x 100 m
Dienstag 5 x 1.000m in 3:30 min 6 km locker
Mittwoch 15 km in 75 min Laufpause
Donnerstag Intervalle 10 x 300 m in 51-52 sec 6 km locker
Freitag Laufpause 6 km locker und 8 x 80 m
Samstag Tempo 8 km in 32 min 8 km locker
Sonntag Laufpause Laufpause
JoAnna Zybon in SPIRIDON – April-4/2015
Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT:
Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"
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