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18
05
2015

Sauber - Bei Julija wirkt nur noch Training ©JoAnna Zybon

Wie schnell bin ich ohne Doping? Interview von JoAnna Zybon in SPIRIDON mit Julija Igorewna Stepanowa

By GRR 0

Gut ein Vierteljahr nach der Erstausstrahlung und der Flucht der Familie Stepanow aus Russland beantwortet die mutige Neuberlinerin unbefangen alle Fragen – auch jene, deren Antworten sie selbst noch nicht kennt.

Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"

Ihre  persönliche  Bestzeit  gilt  nicht mehr: 2011 lief Julija Stepanowa bei den  Russischen  Meisterschaften  800 m  in  1:56,99  min.  2013  annulierte  der IAAF  dieses  Ergebnis, als  Julija  wegen EPO-Dopings  für  zwei  Jahre  gesperrt wurde. Aber auch ihre offiziellen, gültigen  Ergebnisse  sind  gedopt zustande gekommen. Julija selbst hat sich zu ihrer Doping Vergangenheit bekannt und nicht nur in der  ARD-Dokumentation ihre Sünden gebeichtet. 

Die  Sünden  heißen: EPO, anabole Steroide  und  Wachstumshormone  als kurzzeitiges  Experiment. Seit dem Beginn ihrer Schwangerschaft Anfang 2013 dopt sie nicht mehr.

Nun lautet die spannendste Frage, die Julija sich  selbst  stellt,  wie  leistungs- und konkurrenzfähig sie wirklich ist. Um das  herauszufinden trainiert die mädchenhafte Athletin  zweimal  täglich.  Sie wünscht keine Publicity, nutzt aber jede Chance, die Wahrheit über das russische Doping-System  zu  erzählen. 

Im Gespräcwirkt  sie  gelassen, bescheiden, natürlich und sehr mit sich im Reinen. Julija  und ihr  Ehemann Vitaly Stepanow  sind die  „wichtigsten  Whistleblower in der  Geschichte  der Doping-Bekämpfung“ (O-Ton  Seppelt), aber das Wort Whistleblower behagt ihnen nicht.

Es passt auch nicht zu  ihrer Unaufgeregtheit. Denn auch Vitaly wirkt  gelassen, ernsthaft und so ruhig, als wäre  seine Zukunft nicht  ungewiss.  Früher hat er für die  russische  Anti-Doping-Agentur RUSADA  gearbeitet, nun weiß er noch nicht, was er  in  Deutschland  arbeiten darf und wird.

Auch  Vitaly  ist  ein  Läufer.  Seine  PB über  10  km  beträgt  34  min.  Bei  Julijas langen  Trainingseinheiten  assistiert  er als Pacemaker. Am 18. April plant er einen Start beim Airport Night Run in Berlin.

Der Herzensbrecher der Familie heißt Robert und ist 16 Monate alt. Zwischenzeitlich zieht Robert beim Interview die volle Aufmerksamkeit auf sich – und im Grunde geht es ja um ihn bzw. um seine Generation.

Um den Traum vom sauberen  Sport.  Für  diesen Traum,  dass  die Strukturen  m  Sportsich irgendwann doch  verändern werden und Doping irgendwann  doch  ernsthaft  bekämpft werden  wird,  haben  Roberts  Eltern  ihr Leben  in  Russland  aufgegeben.  Dafür gebührt ihnen Dank und die größte Anerkennung.  Für  ihren  weiteren Weg  ist ihnen alles Gute zu wünschen.

Wer die schockierende ARD-Dokumentation im Fernsehen verpasst hat, kann  sie  übrigens  im Internet  immer noch abrufen:
www.daserste.de/sport/sportschau/videosextern/geheimsache-doping-wierussland-seine-sieger-macht-102.html

Indes arbeiten Hajo Seppelt und sein Team  an  einer  Fortsetzung  der  Dokumentation.
Ob im zweiten Teil auch deutsche Athleten eine Rolle spielen werden? Eine Aussage  des  ersten Teils lautet, dass 99 % der russischen Sportler  edopt  sind.

Sind woanders ausschließlich reines Talent und Trainingsfleiß für die Erfolge verantwortlich?

ENTHÜLLUNGEN NICHT BEREUT

SPIRIDON: Hast  du  die ARD-Dokumentation und deine Rolle als Whistleblowerin bisher schon mal bereut?

STEPANOWA:Ich bereue nichts. Wir haben das Richtige getan! Wir beide, Vitaly und ich, wir  wollten  einfach  nur  die Wahrheit erzählen – und das haben wir gemacht. Es war richtig so.

SPIRIDON: Was  sagst  du  zum  Rücktritt von Valentin  Balachnitschew,  dem  Präsidenten  des  russischen  Leichtathletikverbands?

STEPANOWA: Herr Melnikow  und  Herr Portugalow sind noch da! In der Dokumentation haben wir Beweise gegen die beiden  gebracht,  trotzdem  dürfen  der Nationaltrainer Melnikow und der Chefmediziner Portugalow weiter arbeiten. Generell kann man sagen: Das System muss sich ändern, die Personen selber ändern sich ja leider nicht. Wir aber sehen nicht, dass sich das System ändert.

SPIRIDON:Dein neuer Trainer ist AndréHöhne. Wie  klappt  eure  Zusammenarbeit?

STEPANOWA: André Höhne ist der aushelfende Co-Trainer,  der  mir  sehr  zur Seite  steht.  Der  Haupttrainer  ist  Peter Selzer,  der  mich  sehr  unterstützt  und der auch André selbst betreut. Ich mag es sehr, wie man hier mit dem Trainer zusammenarbeitet  und  das  Training bespricht.  In  Russland  war  das  so: Du trainierst, dops und  musst sofort  Ergebnisse  liefern,  z.B.  bei  nationalen Meisterschaften  gewinnen.  Auch  war es  in  der  russischen  Trainingsgruppe üblich, dass alle Mädchen den gleichen Trainingsplan  erhielten.  Der  Coach  hat einen Plan für alle gemacht. Hier ist es anders,  Peter  schreibt  den  Plan  individuell nur für mich.

SPIRIDON: Bei  den  Norddeutschen Meisterschaften in Berlin bist du außer Konkurrenz  gestartet. Willst  du  irgendwann für den DLV oder einen anderen Nationalverband starten, und wenn ja, wann?

STEPANOWA:Ich würde gerne für den DLV starten, aber wir wissen noch nicht, ob das möglich sein wird. Vorläufig konzentriere ich mich aufs Training, weil ich wissen will wie schnell ich laufen kann. Bei  vielen  Wettkämpfen  im  Sommer kann  man  unabhängig  starten.  Einen Nationalverband  braucht  man  nur  für große  internationale  Wettkämpfe  wie EM und WM.

SPIRIDON: Welche sind deine nächsten läuferischen Ziele?

STEPANOWA: Mein  Ziel  ist  zu  trainieren,  gesund  zu  bleiben  und  zu  sehen wie  schnell  ich  ohne  Doping  rennen kann,  nur  mit  meinen  natürlichen  Fähigkeiten. Wenn die Organisatoren von Wettkämpfen mich laufensehen  wollen,  würde  ich  gerne  im  Sommer  bei kommerziellen  Läufen  in  Deutschland und  Europa  starten.  Wir  haben  noch keinen Plan.

SPIRIDON: Welcher Institution traust du am ehesten zu, deine Aussagen und
Enthüllungen wirklich gewissenhaft zu untersuchen?  Zum Beispiel WADA, IAAF, NADA?

STEPANOWA: Natürlich der WADA. Für uns  war  es  von Anfang  an  die WADA. Wir  beide  hoffen  dass  die  WADA  gut ermittelt,  und  dass  all  diejenigen  bestraft  werden,  die  das  Doping-System in  Russland  aufgebaut  haben.  Womit wir  wieder  bei  der  Frage  nach  Balachnitschew wären: Ok, Balachnitschew hat zwar seinen Posten verlassen,aber  er wurde  nicht  gesperrt.  Auch  Maslakow (Leichtathletik-Cheftrainer,  Anmerkung
Red.) wurde nicht gesperrt. Ein anderes aktuelles Beispiel ist Viktor Chegin, der Geher-Coach. Obwohl mehr als 20 seiner Athleten wegen positiver Doping-Proben  gesperrt  sind,  darf  er weiter  arbeiten.  Diese  Leute  müssten offiziell  gesperrt  werden.  Coaches,  die
Doping-Mittel  zur  Verfügung  stellen, müssten  für  ihr  ganzes  Leben  von  der
Leichtathletik gesperrt werden. Was die RUSADA angeht: die RUSADA kämpft  nicht  gegen  Doping,  sondern hilft beim Dopen. IAAF:Wir  hörten, dass  es  dort Korruption  gibt,  haben  aber  keine  Beweise. WADA  und  IAAF  arbeiten  bei  der  Untersuchung in Russland zusammen. Wir hoffen auf die WADA.

SPIRIDON: Die  Amtszeit  von  Lamine Diack (Präsident IAAF) geht dieses Jahr zu  Ende.  Um  seine  Nachfolge  konkurrieren Sebastian Coe und Sergei Bubka. Wer von den beiden ist deiner Ansicht nach der bessere Kandidat für den AntiDoping-Kampf?

STEPANOWA: Als  Athletin  kenne  ich keinen  der  beiden  Kandidaten  persönlich. Aber ich hoffe, wer auch immer der nächste Präsident werden wird, dass er Doping bekämpfen wird. Dass er die Fähigkeit für den Anti-Doping-Kampf mitbringt. Ich hoffe dass er korrekt arbeiten wird: dass er Athleten sperrt, die dopen, und  sauberen  Athleten  hilft  bei  fairen
Wettkämpfen  zu  konkurrieren. Wir  beide  hoffen,  dass  ihm  faire Wettkämpfe mehr  bedeuten  werden  als  Geld  und Weltrekorde.

SPIRIDON:Hast du dich schon in Berlin eingelebt?  – Wie  gefällt  dir  das  Leben hier?

STEPANOWA: Wir  sind  früher  viel  gereist.  Wir  fuhren  zu  vielen  Trainingscamps,  wir  wohnten  mal  in  Moskau, mal  in  Tscheljabinsk,  wo  Vitaly  herkommt,  mal  in  Kursk,  wo  ich  herkomme.  Berlin  mögen  wir  nun  sehr,  denn hier kann man gut laufen! Es gibt viele Parks  und  Sportplätze.  Das Winterwetter  ist  viel  besser  als  in  Russland.  Im
ganzen  letzten Winter  hatten  wir  zwei kalte  Wochen.  Die  Trainingsbedingungen  sind  hier  viel  besser.  Die  Straßen sind  sauberer  und  haben  nicht  so  viele  Löcher. Wir  können  mit  dem  Babyjogger  trainieren.  In  Russland  sind  die Wege nicht geeignet für einen Babyjogger.

Das Leben ist hier gut.

Steckbrief
Julija Igorewna Stepanowa
* 3. Juli 1986 in Kursk

Verheiratet mit Vitaly Stepanow
1 Sohn (16 Monate)
Körpergröße: 164 cm  – Gewicht: 53 kg
Trainer: Peter Selzer, André Höhne
Hobbys: Kochen und Reisen

Persönliche Bestzeiten (gedopt erzielt, trotzdem weiterhin offiziell):
800 m:    1:58,99, 2009 Cheboksary
1.000 m: 2:39,81, 2009 Dubnica
1.500 m: 4:06,08, 2009 Bryansk

Halle:
600 m:      1:24,02, 2011 Moskau
800 m:      1:58,14, 2011 Moskau
1.500 m:  4:16,08, 2008 in Moskau

Auszug aus Julijas Trainingsplan(ohne Krafttraining)

                   Morgens                                         Abends
Montag        10 km in 50 min                               4 km locker und 5 x 100 m
Dienstag      5 x 1.000m in 3:30 min                    6 km locker                    
Mittwoch      15 km in 75 min                              Laufpause
Donnerstag  Intervalle 10 x 300 m in 51-52 sec    6 km locker
Freitag         Laufpause                                       6 km locker und 8 x 80 m
Samstag      Tempo 8 km in 32 min                      8 km locker
Sonntag       Laufpause                                       Laufpause

JoAnna Zybon in SPIRIDON – April-4/2015

Laufmagazin SPIRIDON

Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT: 

Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"

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