Blog
05
10
2015

Hans Ulrich Gumbrecht: Digital_Pausen. Konturen einer flüchtigen Gegenwart. Springe 2015: zu Klampen Verlag. 200 S.; 18,- € ©zu Klampen Verlag

Im Stadion den Kontrast zwischen dem Leben und dem Nichts erleben – Hans Ulrich Gumbrecht erklärt den Sport als ein flüchtiges Faszinosum – Die Buchrezension von Prof. Detlef Kuhlmann

By GRR 0

Hans Ulrich Gumbrecht verdanken wir das „Lob des Sports“ – ein schmaler roter Band, der 2005 in der „Bibliothek der Lebenskunst“ bei Suhrkamp erschienen ist.

Darin erklärt uns der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler „seine“ Faszination am Sport – vorzugsweise aus der Perspektive des Zuschauers, wenn wir in „fokussierte Intensität“ versinken, die sich mit einer Form von Gelassenheit vermischt, weil wir beim Sport als Zuschauer mit der Vorstellung leben müssen, die Welt um uns herum nicht kontrollieren bzw. manipulieren zu können. Für Gumbrecht folgt daraus, dass „die Freude des ästhetischen Erlebens … das wohl zentrale und sichtbarste Moment der Attraktivität des Sports ausmacht“.

Gegenstände dieses ästhetischen Erlebens im Sport sind wesentlich Körperbewegungen in höchst unterschiedlicher Ausführung als Offerte zur Beurteilung durch die Zuschauer. Alles, was im Sport stattfindet, ist jedoch flüchtig.

Nach Abpfiff ist das Spiel aus. Nach Erreichen des Ziels beim Rudern oder Radrennrennen gibt es kein Zurück. Gerinnt der Sport so auch zu „Konturen einer flüchtigen Gegenwart“, wie der Untertitel des neuen lila Bandes von Gumbrecht lautet? Das war zu prüfen:

In den Texten von „Digital_Pausen“ geht es vordergründig gar nicht um Sport, obwohl sich gerade der Titel schon wieder sportiv interpretieren lässt. Wer das Buch jedoch ein wenig näher inspiziert, findet sogleich mehrere textliche Belege darin, die Gumbrecht abermals als Liebhaber und Zuschauer des Sports ausweisen. Doch erstmal der Reihe nach: Der Band ist eine Auswahl jener Texte, die Gumbrecht als „Blog-Einträge“ für die Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in den letzen Jahren verfasst hat.

Mit diesem Unternehmen, das auf eine Idee des inzwischen verstorbenen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher zurückgeht, sollte der Versuch unternommen werden, aus der geografischen Distanz in den USA, wo Gumbrecht an der Stanford University (Kalifornien) lehrt, an aktuell in Deutschland laufende politische oder kulturelle Diskussionen anzuknüpfen.

Die nun gedruckt vorliegenden Texte hat Gumbrecht in vier thematische Blöcke gegliedert – nämlich in: „Das größere Ganze“ (1), „Das eigenartig Politische“ (2), Nation aus Provinzen“ (3) und schließlich „Schönheiten aus Momenten“ (4). Allein diese Überschriften lassen erkennen, wo man am ehesten zu suchen beginnen sollte, wenn man sich in Texte einlesen möchte, die unter Umständen vom Sport handeln könnten. Meine (geprüfte) Empfehlung lautet daher: mit dem allerletzten Beitrag auf Seite 195 beginnen!

Dazu muss man vorab noch wissen: Hans Ulrich Gumbrecht, 1948 in Würzburg geboren und dort aufgewachsen, ist seit 1956 bekennender Fan von Borussia Dortmund. Also kann die „Philosophie des leeren Stadions“ (Titel des Textes) nur in Dortmund spielen und wo er in einem Moment nach Abpfiff der Partie, die „seine“ Borussia mit 4:0 gegen Eintracht Frankfurt gewonnen hat, noch einmal zurück auf das Spielfeld und die Südtribüne blickt, um den Kontrast zwischen Leere und Intensität noch einmal aufzusaugen:

„Die Form aller Stadien inszeniert diese säkulare Sakralität, in der ein Kontrast zwischen dem Leben und dem Nichts auf dem Spiel steht“. Denn nach dem Spiel ist das Spielfeld „ein Raum, der nun wieder offen ist für etwas, was sich noch nicht ereignet hat“. Auf Wiedersehen in zwei Wochen!

Ein zweiter Referenztext mit Bezügen zum (Fußball-) Sport findet sich in der Rubrik: „Nation aus Provinzen“. Es spielt ebenfalls in Westfalen, nur weiter westlich in Bochum, wo mit der Ruhr-Universität 1962 die erste Hochschulgründung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand und wo Gumbrecht 1975 mit 26 Jahren ab 1975 bis 1983 selbst als Professor gewirkt hat „Ist Bochum besser, als man denkt?“ ist der Blogtext überschrieben.

Sein Ergebnis ist hart und trifft ins Herz: Bochum ist für Gumbrecht „die Unfähigkeit, etwas aus sich zu machen“. Da helfen weder Opel und das Schauspiel noch der VfL Bochum, für ihn „heute die unauffälligste Mannschaft der zweiten Bundesliga“. Das ist allerdings mit Blick auf die Tabelle nicht ganz stimmig. Aber dafür entschuldigt er sich schon vorn im Buch, wenn er „für vermeintlich aktuelle Themen aus dem Sport“ mit seiner „chronisch verspäteten kalifornischen Perspektive“ antwortet.

Ein Fazit mit Blick auf beide Gumbrecht-Bände: Der Sport ist und bleibt vor allem deswegen ein flüchtiges Faszinosum unserer Zeit, weil er ständig Neuigkeiten produziert.

Hans Ulrich Gumbrecht: Digital_Pausen. Konturen einer flüchtigen Gegenwart. Springe 2015: zu Klampen Verlag. 200 S.; 18,- €

Prof. Detlef Kuhlmann

author: GRR

Comment
0

Leave a reply