Money, Money, Money: Lilija Schobukowa hatte ihre eigene Methode, Strafen abzuwenden ©Victah Sailor
Doping und Korruption – Lichterlohe Flammen in der Leichtathletik – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Korruptionsskandal der Welt-Leichtathletik scheint sich aus der Vertuschung von möglicherweise weit verbreitetem Doping zu speisen. Nicht nur die Russin Lilija Schobukowa habe Funktionäre bestochen, um trotz auffälliger Blutwerte einer Doping-Sperre zu entgehen, heißt es laut französischer Medien aus Reihen der Ermittler.
Schon bald könnten weitere Fälle bekanntwerden, nicht allein aus Russland. Die seinerzeit erfolgreichste Marathonläuferin der Welt hatte vor knapp einem Jahr bekanntgemacht, dass sie beim russischen Verband in Moskau 450.000 Dollar in bar abgeliefert hatte, um bei den Olympischen Spielen in London starten zu dürfen.
Nun heißt es im Umfeld von Ermittlungsrichter Renaud Van Ruymbeke in Paris, Lamine Diack, der langjährige Präsident des Weltverbandes IAAF, habe rund eine Million Euro eingestrichen. Auch deshalb musste er 500.000 Euro Kaution für seine Freilassung aus der Untersuchungshaft hinterlegen.
Sein Pass wurde eingezogen; Diack darf ebenso wie sein senegalesischer Landsmann und Berater Habib Cissé, gegen den ebenfalls ermittelt wird, Frankreich nicht verlassen. Auch gegen den langjährigen Leiter der Anti-Doping-Abteilung der IAAF, Gabriel Dollé, wird ermittelt. Angeblich musste er vor einem Jahr auf Druck von Diack gehen.
Lamine Diack: der Ehrenpräsident muss 500.000 Euro Kaution hinterlegen
Die unabhängige Ermittlungsgruppe der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) will am Montag in Genf die Ergebnisse der Recherchen vorstellen, mit denen sie nach dem spektakulären Fernsehfilm der ARD über systematisches Doping in der russischen Leichtathletik im Januar begonnen hatte. Sie besteht aus Richard Pound, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Gründungspräsident der Wada, aus dem Polizisten Günter Younger vom Bayerrischen Landeskriminalamt sowie dem britischen Anwalt und Rechtsprofessor Richard McLaren.
Zu den Ermittlungen der Kommission gehörte, im Juni am Sitz der IAAF in Monaco zu erscheinen und Akten einzufordern. Im August waren die Ermittler derart alarmiert von dem, was sie erfuhren, dass sie Interpol ins laufende Verfahren einschalteten. Acht Wochen später, Anfang Oktober, eröffnete die französische Justiz ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption, Hehlerei, bandenmäßiger Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung, welches zu der Durchsuchung und den Festnahmen am Dienstag führte.
Das IOC kündigte an, dass sich seine Ethik-Kommission mit dem Fall beschäftigen werde. Diack, 1958 als Student französischer Meister im Weitsprung und dreißig Jahre später Mitglied der Nationalversammlung von Senegal, wurde als Vertreter der Leichtathletik 1999 Mitglied des IOC und 2014 dessen Ehrenmitglied; vor vier Jahren erhielt er einen Verweis, weil er Jahre zuvor knapp 60.000 Schweizer Franken von der Vermarktungs- und Bestechungs-Agentur ISL angenommen hatte.
Er behauptete, dies sei nur geschehen, weil er einen Kredit brauchte; sein Haus sei 1993 abgebrannt. Nun scheint es in der Leichtathletik lichterloh zu brennen.
Weitere fünf gedopte Russen
Am Donnerstag meldete der russische Leichtathletik-Verband die Doping-Sperre von fünf Athleten. Sie verlängern die ohnehin schon lange Liste der überführten und gesperrten russischen Leichtathleten auf 49; unter ihnen befinden sich praktisch alle Top-Geher des Landes. Die jüngsten Suspendierungen erfolgen wenige Tage nach dem Besuch des neuen IAAF-Präsidenten Sebastian Coe in Moskau.
Bei Gesprächen mit Sportminister Witali Mutko, dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Alexander Schukov und dem neuen Verbandspräsidenten Wadim Zelitschenok will er Offenheit, Leidenschaft, den Appetit auf Veränderungen gespürt haben sowie Unterstützung für seine Pläne, die Leichtathletik zu modernisieren.
Zehn mal zehn Kommissionen
Zu diesem Zweck hat Coe zehn Kommissionen und zehn Beratungsgruppen mit jeweils zehn Mitgliedern gegründet, die in zehn Telefonkonferenzen pro Jahr Reformen für den Verband entwickeln sollen. Einer der Pläne Coes ist es, Doping-Kontrollen und Sanktionierung aus der IAAF auszugliedern. Pound sagte, die Wada sei dazu in der Lage, dies zu übernehmen, sie brauche dafür lediglich mehr Geld.
Über die Leichtathletik-Weltmacht Kenia, Nummer eins des Medaillenspiegels bei der Weltmeisterschaft von Peking, klagt derweil Wada-Generalsekretär David Howmann. Es fehle der politische Wille, die von der Wada mit aufgebaute neue nationale Anti-Doping-Agentur zu finanzieren.
„Das hat einen krisenhaften Punkt erreicht“, sagte er. „Wirklich.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 5. November 2015