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Hajo Seppelt: „Doping im Sport wird es immer geben.“ – Kea Müttel in „Leichtathletik“
Der Journalist Hajo Seppelt hat mit seiner Dokumentation „Geheimsache Doping“ dafür gesorgt, dass die Debatte über Doping in der Leichtathletik neuin Schwung kam. Seitdem beschäftigt das Thema die Leichtathletik-Welt wie kein anderes.
Hajo Seppelt, sind Sie noch überrascht über so etwas wie die aktuellen Meldungen über mögliche Sperrungen von italienischen Athleten?
In Italien werden jetzt Dinge offenbar, die in anderen Ländern ja auch schon passiert sind. Vor ein paar Jahren etwa gab es eine Reihe von Missed Tests von deutschen Sportlern.
Da ich aber den italienischen Fall im Detail nicht kenne, kann ich dazu nichts sagen. Allenfalls, dass es mich nicht überrascht. Es passiert immer wieder, dass Doping-Tests von Athleten versäumt werden, nicht nur in der Leichtathletik. Und das wird viel zu selten öffentlich.
Im Zuge Ihrer jahrelangen Dopingrecherchen haben Sie bereits 2012 erstmals über Kenia berichtet – erst jetzt gibt es dort erste Konsequenzen …
… die Konsequenzen folgen immer nur auf öffentlichen Druck, meistens von den Medien. Jetzt war der Druck so stark und die Dokumente lagen ja auf dem Tisch, außerdem hat die Ethikkommission der IAAF einen größeren Spielraum, als sie es bisher hatte, und konnte deshalb so schnell handeln und kenianische Funktionäre suspendieren.
Aber dass die IAAF nicht schon Monate vorher reagiert hat, ist unglaublich und zeigt einfach einmal mehr, dass Teile dieses Verbandes mehr an ihrer eigenen Reputation interessiert sind als daran, wirklich glaubwürdig gegen Doping zu kämpfen.
Insgesamt hat Ihr Film „Geheimsache Doping“ ja recht viel bewirkt und für Konsequenzengesorgt. Haben Sie mit so einer großen Aufmerksamkeit gerechnet?
So eine große Aufmerksamkeit wie diesmal gab es noch nie – und ich mache seit 1997 Dopingrecherchen. Richard McLaren von der Independent Commission der WADA hat gesagt, dass die Dokumentation eine Art „game changer“ sein könnte, also etwas, das wirklich einmal etwas ändert. Es gibt jetzt in der Tat mehr Hoffnung als früher, dass es so passieren wird. Auch wenn die IAAF selbst, wie man ja schon wieder an der Anhörung
von Coe vergangene Woche mitbekommen hat, genauso zu sein scheint, wie sie es vorher war: eine sehr intransparente Organisation mit wenig Glaubwürdigkeit derzeit. Herr Coe ist bisher nicht etwa der Heilsbringer der Leichtathletik, sondern kann – wenn er so weitermacht – zu ihrem Totengräber werden.
Der IAAF-Präsident Sebastian Coe hat nach der Veröffentlichung des zweiten Filmes im August ja von einer „Kriegserklärung an seinen Sport“ gesprochen. Gab es auch harsche Reaktionen, die Sie persönlich erreichten?
Dass Herr Coe uns seit einem Jahr aus dem Weg ging, war ja offenkundig. Und dass er der Öffentlichkeit immer wieder Sand in die Augen streut mit seinen häufig unsubstanziellen
Statements und dann noch nicht einmal unseren zweiten Film gesehen hat, ist wirklich frappierend. Es geht ja nicht darum, dass wir darauf aus sind, dass Menschen wie er unseren Film gucken – aber wenn einer von der „Kriegserklärung an seinen Sport“ spricht und noch nicht einmal die Bilder gesehen hat, dann ist das demaskierend, wenn man behauptet, den Kampf gegen Doping zu einem Hauptanliegen zu machen. Offensichtlich
scheint es Coe ja dann nicht groß interessiert zu haben. Und wie man es nicht schaffen kann, innerhalb eines Jahres Whistleblowern wie Witali und Julia Stepanow die Hand
zu reichen, zu gratulieren oder Kontakt aufzunehmen, macht einen nur noch fassungslos.
Können Sie im Umfeld der Leichtathletik trotz Ihres großen Bekanntheitsgrades durch die Filme noch vernünftig recherchieren?
Ich glaube, dass der Vorteil dieser Recherchen nicht etwa der ist, dass die Leute jetzt alle Reißaus nehmen, sondern es eben auch welche gibt, die sich jetzt erst recht an uns wenden.
Deshalb könnte die mögliche Konsequenz eher positiv als negativ sein, weil sich Leute jetzt aus der Ecke wagen, die bisher immer glaubten, dass es ohnehin nichts bringt, Missstände anzuprangern. Aber in diesem Fall hat sich ja jetzt eindeutig gezeigt, dass das, was Witali und Julia Stepanow gemacht haben, eben sehr wohl große Auswirkungen hat und, wie ich finde, auch weiterhin haben sollte. Jeder, der sich ein bisschen mit Sport und Doping beschäftigt, weiß doch, dass der Effekt beispielsweise von Anabolika, die man im Training nimmt, ein langanhaltender ist und natürlich auch seine Auswirkungen auf die Leistungen
bei den Olympischen Spielen 2016 haben wird.
nd deshalb ist es völlig klar, dass die IAAF, wenn sie sich an ihre eigenen Richtlinien hält, zu dem Entschluss kommen muss, dassdie Russen es nicht schaffen könen, dann wieder mit einer sauberen Mannschaft anzutreten. Deswegen wäre schlusszufolgern, dass sie nicht an den nächsten Olympischen Spielen teilnehmen dürfen. Das wäre im übrigen ein wichtiges Signal an viele Athleten in der Welt, die nicht dopen. Und an jene, die dopen, was einer Mannschaft als Ultima Ratio blühen kann: der Ausschluss. Wenn die Russen jedoch zugelassen werden würden, weil Herr Bach möglicherweise im Hintergrund mit Herrn Putin kungelt, dann würde das, prognostiziere ich, einen weltweiten Aufschrei der Empörung auslösen. Und ich glaube, dass der Druck auf die Leichtathletik weltweit noch stärker wäre. Ob Olympia-Ausschluss oder nicht: Beide Entscheidungen bergen enormen sportpolitischen Zündstoff in sich.
Lässt sich das Doping-Problem in der Leichtathletik denn irgendwie aufhalten?
Es lässt sich nicht stoppen, aber reduzieren, wenn man nur will. Aber Doping im Sport wird es immer geben! Die Frage ist nur, mit welcher Entschlusskraft man dieses Thema angeht, was man dafür investiert und wie glaubwürdig man da ist. Die IAAF hat durch ihr ganzes Gebaren – obwohl sie vermutlich gar nicht zu den allerschlimmsten Verbänden zählt und es noch viel schlimmere geben mag, bei denen man nur noch nicht diese Beweise vorliegen hat – ihren Ruf aufs Spiel gesetzt. Und das liegt an Funktionären des Weltverbandes und an den Russen, auch an den Kenianern.
Denken Sie, dass Kenia und Russland noch weitere Nationen in den Doping-Skandal folgen werden?
Das hängt davon ab, was Recherchen ergeben und was die IAAF selber macht. Aber bisher war es ja so, dass es nur durch journalistische Recherchen oder durch Whistleblower herausgekommen ist. Deswegen muss man fast vermuten, dass, wenn es nicht woanders
Whistleblower wie die Stepanows gibt, noch vieles unter der Decke bleiben könnte, was eigentlich an die Öffentlichkeit gehört!
Aber dass noch viel unter der Decke ist, glauben Sie schon?
Ja, ganz sicher.
Glauben Sie, dass Deutschland auch von Dopingproblemen betroffen ist?
Aus empirischen Untersuchungen kann man sicher annehmen, dass auch wir ein nicht zu unterschätzendes Dopingproblem in Deutschland haben. Aber da wir konkret derzeit keine Belege haben wie etwa in Russland, ist eine weitere Spekulation müßig.
Interview: Kea Müttel in Leichtathletik – 16. Dezember 2015 – Nr. 51/52
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