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04
2016

2015 Passatore 100km Faenza, Italy May 30, 2015 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Der legendäre italienische 100-km-Lauf “Il Passatore” von Florenz nach Faenza – ein Volksfest bei Nacht – Susanne Mahlstedt in LAUFZEIT&CONDITION

By GRR 0

Bereits zum 43. Mal wurde am 30. Mai 2015 um 15 Uhr „Il Passatore“ unweit des imposanten Doms von Florenz gestartet. Die Piazza della Repubblica, eine weitere der unzähligen Touristenattraktionen von Florenz war die Stunden zuvor wie eine Festung von den Läufern eingenommen.

Mehrere Hundert der 2504 mit Teilnehmerrekord gemeldeten Läufer bereiteten sich unter den Arkadengängen im Schatten mental, oft mit geschlossenen Augen, auf die schlaflose, durchzulaufende Nacht vor. Diesmal war der Himmel wolkenlos bei knapp 30 Grad, nach der vorangegangnen Kälteperiode fast etwas beängstigend.

Vor zwei Jahren dagegen regnete es und auf dem Appenin-Pass nach Faenza lag Schnee. Bis 14 Uhr konnte bei drei LKW’s Gepäck abgegeben und bis Faenza durchgecheckt oder für zwei weitere Punkte unterwegs Wechselsachen deponiert werden.

Der 43-jährige Giorgio Calcaterra, der zukünftige 10-malige Gewinner in Folge, plauderte entspannt mit dem einen und dem anderen und ließ sich hier und da auf ein privates Foto mit dem Star ohne jegliche Allüren ein. Jeder in Italien ist ein Fan des römischen Taxifahrers, der durch seine Natürlichkeit die Herzen erobert.

Im März hat er den Rommarathon gleich zweimal hintereinander durchlaufen und dabei zum Schluss den letzten Läufer begleitet. Diesmal hat er den Passatore in 7:08,05 fast neuneinhalb Minuten vor dem Russen Dmitry Pavolv gewonnen. Seine Bestzeit liegt hier bei 6:25,49, im Marathon bei 2:13,15. Diverse Male hat er den Weltmeistertitel im 100-km-Lauf nach Italien gebracht.

Zypressen und Olivenhaine so weit das Auge reicht

Die anderen Läufer wollten eine längere, unvergessliche Nacht meist in Begleitung verbringen. Entweder liefen die Liebsten direkt mit oder begleiteten ihre Helden unermüdlich auf dem Rad oder, was erst später deutlich wurde, mit dem Auto. Zunächst führte die Strecke auf gesperrten Straßen hinaus aus Florenz über Serpentinen vier Kilometer hoch nach Fiesole in bereits luftiger Höhe.

Die Radbegleitung hatte ihre Schwierigkeiten und die meisten Läufer mussten gleich zu Beginn Kräfte sparen und gehend in unerbittlicher Hitze die Höhe erklimmen. Überall Zypressen und Olivenhaine am Wegesrand. Die toskanische Landschaft als Panoramabild. Vereinzelt lagen private Wasserschläuche vor den Villen, um den Läufern zusätzlich Erfrischung zu bieten.

Ansonsten waren alle fünf Kilometer Verpflegungspunkte eingerichtet, hier oben sprühte die Feuerwehr Wasser zur Abkühlung. Überall gab es reichhaltig zu essen und zu trinken, niemand musste auf Gewohntes verzichten, Säfte in allen Geschmacksrichtungen, Tee, Cola uvm.

Sogar Rot- und Weißwein wurde schon recht bald serviert, später Kaffee. Es gab Mortadella-, Nutella und Olivenölbrote, Teigtaschen und Rosinen neben allem üblichen.

Vor dem ersten Kontrollpunkt in Borgo San Lorenzo, einem kleinen Städtchen bei Kilometer 32, ging es ca. zehn Kilometer steil bergab, um dann wieder zum höchsten Punkt, dem Passo di Casaglia über 1000 m über dem Meeresspiegel bei Kilometer 48 anzusteigen. Für viele war hier schon die Dunkelheit mit kühlerer Luft hereingebrochen, die bis zum Ziel nicht mehr weichen wollte.

Nur die Langsameren mussten zusätzlich zur langen Zeit auf den Beinen und der Müdigkeit auch am Morgen wieder gegen die Hitze kämpfen. Die Landschaft änderte sich. Die lieblichen toskanischen Hügelketten gingen in typische Gebirgslandschaft über.

Wer zum ersten Mal lief, wunderte sich über den starken Verkehr auf dem Weg zum Pass, der als recht störend empfunden wurde. Die Autos parkten auch ständig am Wegesrand, um aus ihnen die Helden der Nacht zu versorgen und verursachten sogar einen Stau. Man mussten es den Fahrern aber wohlwollend nachsehen, da teilweise die gesamten Familie anwesend waren um liebevoll zu unterstützen: hier noch etwas Leckeres zu Essen, dort noch ein wenig Creme, ein anderes Paar Schuhe, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.

Die Autofahrer arrangierten sich auch gut mit den Läufern, die ständig die Fahrbahnseite wechselten, um den kürzesten Weg zu nehmen. Eine blaue Linie war nicht gezogen. Die Läufer fanden sie selbst.

Eine Galerie von Glühwürmchen verzauberte die Nacht

Am Pass war die Hälfte fast geschafft, die meisten wechselten in Zelten ihre Bekleidung, die sie in Florenz abgegeben hatten und die hier nach Startnummern sortiert bereitgelegt war. Nach dem Pass war der Vollmond durch die Berge und Bäume verdeckt, aber Stirnlampen waren aufgrund der Fahrzeuge nicht nötig. Es ging wieder ca. 15 Kilometer steil bergab, des einen Freud, des anderen Leid.

Obwohl das Streckenprofil eindeutig zeigt, dass es bis zum Schluss nur noch bergab gehen sollte, wunderten sich Läufer bzw. wussten es schon durch vorherige Teilnahmen, dass dem nicht so ist. Kleine Anstiege kamen immer mal wieder, ansonsten wirkte die Strecke eher eben. Leider musste die herrliche Natur in der Dunkelheit oft ungewürdigt bleiben, sondern konnte nur erahnt werden. Wasserfälle waren zu hören, immer wieder gab es Brücken über plätschernde Flüsse. Graue Felswände blitzten durch das dunkle Grün.

Bestimmt 15 Kilometer lang leuchteten Glühwürmchen „lucciole“ am Wegesrand oder flirrten sogar über die Straße durch die laue Sommernacht.

Ein ungewöhnliches Naturlichtspiel. Vereinzelt zirrpten schon Grillen. Nicht nur von ihnen wurde die Nacht der Nächte genutzt, um sich zu präsentieren. Bars und Kneipen waren geöffnet. Es fand Livemusik statt, es wurde getanzt. Feuerchen leuchteten in Schalen und Tonnen an den Verpflegungsstellen. Überall wurde weit in die Nacht hinein auf den Straßen flaniert. Selbst die Läufer schienen am Volksfest teilzunehmen.

Überall wurde geplaudert und gescherzt, die Italiener hatten sichtlich Spaß trotz Anstrengung. Ausländer waren wenige auf der Strecke.

Beim Blick in die Ergebnislisten dominiert die italienische Fahne.

Auf den ersten Plätzen tummeln sich abgesehen von Giorgio Calcaterra die Ausländer. Dritter wird der Amerikaner Chad Ricklefs. Auch bei den Frauen eine Amerikanerin auf dem dritten Platz, umringt von 3 Ukrainerinnen. Nach exakt 20 Stunden sollte das Volksfest auf dem zentralen Platz von Faenza beendet werden. Der vorletzte Läufer hat exakt diese Zeit.

Zwanzig Minuten später wurde die letzte Läuferin willkommen geheißen. Vielleicht verdankt sie das ihrem Namen, der auf Deutsch genau das besagt: Benvenuta! 2309 sind gestartet. Für viele war trotz optimaler Bedingungen die Belastung wohl doch zu groß. 1894 sind ins Ziel gekommen. Mehr zu den Ergebnislisten über die offizielle Website: www.100kmdelpasssatore.it

Nach dem Zieleinlauf bekamen die Läufer neben der Medaille drei Flaschen edlen Rotweins von einem der Hauptsponsoren in einer praktischen Papptragetasche oder ein gut geschnittenes T-Shirt als Andenken.

Ein Funktionsshirt war gleich bei den Startunterlagen als Beigabe dabei. Ein Shuttlebus zu den Duschen stand bereit. Um 9 Uhr morgens stellte die italienische Bahn einen Sonderzug für die Läufer zurück nach Florenz zur Verfügung. Einige Läufer haben es sich aber auch gegönnt, das kleine mittelalterliche Städtchen abseits vom Touristenrummel noch ein wenig zu besichtigen und umgeben von Kiwi- und Cachiplantagen zu nächtigen bzw. die „verlorene Nacht“ gleich am Pool unter Palmen erschöpft Revue passieren zu lassen.

Der Name des Laufs „Il passatore“ geht übrigens auf einen Banditen zurück, der in den Bergen zwischen Florenz und Faenza im 19. Jahrhundert mit ständig wachsender Bande sein Unwesen trieb. Er war so etwas wie ein italienischer Robin Hood und inspirierte später die Volksmusik.

Dr. phil. Susanne Mahlstedt im LAUFZEIT&CONDITION
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Hypnosetherapeutin (ICHP)
Kreatives und biografisches Schreiben M.A.
Forstmeisterweg 64
23568 Lübeck
Tel.: 0451/5061631

www.schreibtherapie-und-coaching.de

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