McLaren-Report - Gastfreundschaft auf Russisch - Michael Reinsch und Christoph Becker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©WADA
McLaren-Report – Gastfreundschaft auf Russisch – Michael Reinsch und Christoph Becker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Russland hat jahrelang Hunderte Sportler in praktisch allen Sportarten gedopt und mit Hilfe des Geheimdienstes die Doping-Kontrollen bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi 2014 zugunsten gedopter russischer Sportler manipuliert.
Nach dem enttäuschenden Abschneiden der russischen Olympiamannschaft in Vancouver 2010 entschied Sportminister Witali Mutko, diesen Plan im Hinblick auf die Winterspiele im Kaukasus umzusetzen.
Dies ergibt der Report des kanadischen Juristen Richard McLaren, der im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) erstellt und am Montag in Toronto veröffentlich wurde.
Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sagte, der Bericht zeige „einen erschreckenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und der Olympischen Spiele“.
Er kündigte an: „Deshalb wird das IOC nicht zögern, die härtestmöglichen Strafen für jedes Individuum und jede Organisation zu verhängen, die darin verwickelt sind.“ Das IOC habe den Bericht am Montag erhalten und werde seine komplexen und detaillierten Vorwürfe sorgfältig lesen, insbesondere in Bezug auf das russische Sportministerium. Die Exekutive des IOC werde am Dienstag eine Telefonkonferenz halten, um erste Entscheidungen in Bezug auf die Spiele in Rio zu treffen.
Die Wada, geführt von IOC-Vizepräsident Craig Reedie, forderte am Montagabend, das IOC und das Paralympische Komitee sollten russische Athleten von den Olympischen und den Paralympischen Spielen ausschließen.
Russischen Sportlerinnen und Sportler solle überhaupt die Teilnahme an allen internationalen Wettbewerben verweigert werden, heißt es in einer Mitteilung von Montagabend, „bis zu einem Kulturwandel“.
Vertretern der russischen Regierung solle der Zugang zu Sportveranstaltungen einschließlich Olympias verweigert werden. Da dass Sportministerium systematischen Betrug orchestriert habe, stehe die Unschuldsvermutung für die Athleten aller russischen Verbände ernsthaft in Frage. Zudem solle die Ethikkommission des Internationalen Fußball-Verbandes (Fifa) das Verhalten des russischen Sportministers Witali Mutko untersuchen, der Mitglied der Fifa-Exekutive ist.
Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete den Bericht einer Mitteilung des Kreml vom Montagabend zufolge als „gefährlichen Rückfall einer Einmischung der Politik in den Sport“, kündigte aber die Suspendierung der im Bericht als „direkt beteiligt“ genannten Personen „bis zum Abschluss der Untersuchungen“ an. Putin forderte die Wada auf, „detailliertere und objektive Informationen“ zu liefern, damit russische Strafverfolger ihre Arbeit machen könnten.
McLaren sagte, er habe in den Bericht nur aufgenommen, was jenseits jedes begründbaren Zweifels stehe. Demnach habe Russland „staatlich diktierte“, „störungssichere“ Methoden angewandt. Eine bestand darin, dass alle positiven Fälle, die im Kontrolllabor in Moskau auffielen, dem Ministerium gemeldet werden mussten. Dort wurde entschieden, ob die Russische Anti-Doping-Agentur den Befund unterschlagen oder melden solle.
McLaren nannte dies die „Disappearing Positive Methodology“. Sie sei auch bei einer Reihe von internationalen Meisterschaften in Russland angewandt worden, darunter der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau und der Schwimm-Weltmeisterschaft 2015 in Kasan.
Für Sotschi, wo der Einsatz internationaler Experten erwartet wurde, entwickelten Staat, Sport und Geheimdienst die „Sample Swapping Methodology“, den Trick, Proben auszutauschen.
Dazu wurden Flaschen mit den Urinproben gedopter russischer Athleten nachts durch ein Loch in der Wand aus dem Labor gereicht, ihre Deckel wurden geöffnet, und die Proben wurden durch sauberes Urin der Athleten ersetzt, das der Geheimdienst in einem Gefrierschrank eingelagert hatte. McLaren sagte, sie wüssten nicht, wie die Russen die Flaschen geöffnet hätten, doch auch seinem Team sei dies gelungen. Bei der Überprüfung der eingelagerten Proben von Sotschi seien Spuren der Manipulationen gefunden worden.
McLaren belastet in seinem Bericht alle Wintersportarten und nennt in einer Grafik zu unterdrückten Befunden 21 Sommer-Sportarten. Leichtathleten mit 139 Fällen und Gewichtheber mit 117 waren demnach am häufigsten gedopt; Paralympische Sportarten sind mit 37 unterschlagenen Proben notiert, Ringen mit 28 vor Kanu (27) und Radsport (26). Selbst Basketball, Snowboarding, Segeln und Tischtennis kommen vor. Der Welt-Leichtathletikverband IAAF hatte den russischen Verband im November, nach Vorlage des entsprechenden Berichtes der Unabhängigen Kommission unter Leitung des Wada-Gründungspräsidenten Richard Pound, von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen.
Vor vier Wochen hat die IAAF diese Suspendierung für die Olympischen Spiele bekräftigt.
Der Bericht nennt den stellvertretenden Sportminister Juri Nagornich als Ansprechpartner der Doper im Ministerium. Er war demnach auf staatlicher Seite zuständig für den Schutz der Doper und berichtete direkt an Minister Mutko. Dies ist insofern besonders heikel, als Nagornich Mitglied des Führung des Nationalen Olympischen Komitees Russlands ist, welches von IAAF und IOC als Bastion der Unabhängigkeit im russischen Sport beschrieben wurde.
Nun steht der Sport vor der Frage, ob jeder Verband für sich entscheidet, ob er die russischen Athleten seiner Sportart ausschließt oder nicht oder ob Thomas Bach und das IOC diese Entscheidung treffen.
An diesem Donnerstag wird die Entscheidung des Internationalen Sport-Schiedsgerichtshofs (CAS) in Lausanne über die Rechtmäßigkeit der Sperre der russischen Leichtathleten erwartet. Sportler, die einem Doping-Kontrollsystem außerhalb Russlands unterlagen, durften sich bei der IAAF um den Status als „neutraler Athlet“ bewerben; lediglich zwei wurden akzeptiert. Das IOC vertrat bislang die Ansicht, allein das russische NOK dürfe russische Athleten nominieren. Das war zumindest im Fall von Julija Stepanowa unmöglich, da sie gemeinsam mit ihrem Mann Witali Stepanow im Dezember 2014 den russischen Doping-Skandal ausgelöst hat.
Damals zeigte die ARD in einer Reportage Bilder von Doping und Gespräche über Doping, die Juljia Stepanowa aufgezeichnet hatte. Der Sprecher des russischen Präsidenten Putin nannte sie „Judas“.
Der Kanadier Richard McLaren stellte den Report in Toronto vor.
Wie die Unabhängige Kommission die Aussagen des Ehepaares Stepanow bestätigte, bestätigt nun der McLaren-Report die Vorwürfe, die im Mai Gregorij Rodschenkow erhob, der nach Amerika geflohene, frühere Leiter des Doping-Kontroll- labors von Moskau. Er hatte gegenüber der „New York Times“ berichtet, dass er in Sotschi zusammen mit dem russischen Geheimdienst FSB mehr als 100 Doping-Proben russischer Olympiateilnehmer ausgetauscht habe; mehr als ein Dutzend der russischen Medaillengewinner seien gedopt gewesen. In der Kreml-Mitteilung vom Montagabend nennt Putin Rodschenkow eine „Person mit skandalösem Ruf“.
Die Details des großen Betruges haben durchaus Unterhaltungswert. Wenn ein Fall die Befehlskette hinauf gemeldet worden war, entschied Nagornich mit den Befehlen „Schützen“ oder „Quarantäne“.
Im ersten Fall wurde in den Büchern vermerkt, dass die Probe keinerlei Auffälligkeiten ergeben habe. Im zweiten Fall wurde der Athlet geopfert. Auf die Frage einer russischen Journalistin, warum er in seinem Bericht außer Rodschenkow keine russischen Zeugen zitiere, erwiderte McLaren, dass er Sport-Minister Mutko befragt habe. „Wir fanden seine Antworten nicht hilfreich.“
Weitere Zeugen, die er um Aussagen gebeten habe, hätten nicht aussagen wollen, sagte er, womöglich aus Sorge um ihre Sicherheit.
Die zentralen Ermittlungsergebnisse des McLaren-Reports
Die drei zentralen Ergebnisse im Ermittlungsreport der Welt-Anti-Doping-Agentur zu Doping in Russland.
1. Das Moskauer Labor agierte zum Schutz von gedopten russischen Athleten innerhalb eines vom Staat bestimmten, unfehlbaren Systems. Dieses wird im Report als Methode der verschwundenen Positivproben beschrieben.
2. Das Labor in Sotschi entwickelte eine einzigartige Methode zum Austausch von Proben, um gedopten russischen Athleten die Teilnahme an den Spielen zu ermöglichen.
3. Das Sportministerium leitete, kontrollierte und überwachte die Manipulation der Athletenbefunde oder den Proben-Austausch. Das geschah unter aktiver Teilnahme und Hilfestellung von FSB (russischer Inlandsgeheimdienst), CSP (Trainingszentrum der russischen Top-Athleten) sowie der Labors in Moskau und Sotschi.
Michael Reinsch und Christoph Becker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 18. Juli 2016
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