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24
07
2016

Russische Leichtathleten dürfen nicht an Olympia in Rio teilnehmen. ©UKA Athletics

Russische Leichtathleten dürfen nicht an Olympia in Rio teilnehmen. Christoph Becker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

By GRR 0

Niemand sage Witali Mutko nach, dass er nicht schnell reagierte auf die Notlage, die Russlands Sportler erfasst hat. Es dauerte nicht einmal eine Stunde, da hatte der Sportminister der Russischen Föderation die Entscheidung der Sportrichter aus Lausanne zusammengefasst:

Ein „politisches Urteil“ sei das, „ohne rechtliche Grundlage“. Mutkos Woche hatte miserabel begonnen, als der McLaren-Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) weitere erdrückende Beweise lieferte für das staatliche Doping-Programm, das Mutkos Ministerium initiiert hatte.
 
Am Donnerstag wurde sie noch schlechter: Die Schiedsrichter des Internationalen Sportgerichtshofs Cas, Professor Luigi Fumagalli aus Italien, Jeffrey G. Benz aus den Vereinigten Staaten und der Ehrenwerte James Robert Reid, Kronanwalt Ihrer Majestät Königin Elisabeth II., bestätigten den Ausschluss der russischen Leichtathleten von den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro.

Eine weitere Niederlage für Russlands Leichtathleten, den russischen Sport, für Mutko, die russische Führung. Mutko stritt auf einer Pressekonferenz in seinem Ministerium am Nachmittag die Existenz des Doping-Programms wieder ab und rief zu Zivilklagen auf. Und Dmitri Peskow, Sprecher von Präsident Wladimir Putin, beklagte, das im Urteil vertretene Prinzip kollektiver Verantwortung sei kaum akzeptabel.

Doch genau dies ist der Kern des Urteils, das auch als Indikator für die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Wochenende gilt: Athleten muss nicht ihre individuelle Schuld nachgewiesen werden, wenn sie Teil eines staatlichen Doping-Systems sind. Damit bestätigt der Cas den Internationalen Leichtathletikverband (IAAF) und dessen Entscheidung vom Juni, dass russische Läufer, Springer und Werfer nicht willkommen seien in Rio. Bereits im November 2015 hatte die IAAF den russischen Leichtathletikverband ausgeschlossen. Sie bestätigte die Suspendierung für Olympia auf Basis der Ermittlungen einer Task Force unter Leitung des Norwegers Rune Andersen.

Zu Andersens Bericht hatte McLaren beigetragen, dass Mutkos Ministerium spätestens von 2011 an bestimmte, welche Athleten positiv getestet werden durften und wessen Resultate unterschlagen wurden. Andersen attestierte dem russischen Sport eine „tief sitzende Kultur des Dopings“. Das Doping-Kontrollsystem Russlands sei anderthalb bis zwei Jahre von der Rückkehr zur Regeltreue entfernt.

Die IAAF öffnete der Kronzeugin Julija Stepanowa eine Hintertür nach Rio, indem es eine Regel schuf, die der Läuferin erlauben würde, als „neutrale Person“ zu starten, also unabhängig von einer Nationalmannschaft.

Das IOC sah die Regel zunächst als nicht vereinbar mit der Olympischen Charta an, nach der allein Nationale Olympische Komitees Athleten nominieren. Da nun der McLaren-Report das russische NOK unter der Führung des inzwischen suspendierten Vize-Ministers Juri Nagornich kompromittiert, könnte sich das Bild ändern.

Für den Fall des Ausschlusses der russischen NOK könnten Athleten, die außerhalb des Doping-Systems trainierten, eventuell für Rio zugelassen werden.
In der Pressemitteilung des Cas, der die Begründung des einstimmigen Urteils „sobald wie möglich“ nachreichen will, heißt es hinsichtlich dieser Regeländerung, dass die Schiedsrichter Bedenken gehabt hätten. Wie sollen Sportler im Rückgriff auf einen beträchtlich in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nachweisen, nichts mit Staatsdoping zu tun gehabt zu haben? Die Gültigkeit der Regel bestätigten die Schiedsrichter gleichwohl.
 
Entsprechend zufrieden reagierte Sebastian Coe, der Präsident der IAAF. „Während wir dankbar dafür sind, dass unsere Regeln und unsere Macht, diese Regeln und den Anti-Doping-Kodex durchzusetzen, bestärkt worden sind, ist dies kein Tag für triumphierende Statements“, teilte er mit – und spricht schon von der Rückkehr der Russen:

„Ich bin nicht in diesen Sport gekommen, um Athleten an Wettkämpfen zu hindern. Der instinktive Wunsch unseres Verbandes ist es, einzubeziehen, nicht auszuschließen. Jenseits von Rio wird die Task Force der IAAF weiter mit Russland zusammenarbeiten, um eine saubere, sichere Umgebung für dessen Athleten zu schaffen, damit sein Verband und seine Mannschaft zu internationaler Anerkennung und internationalem Wettbewerb zurückkehren können.“

Der behaupteten Bescheidenheit widerspricht der Ton der Pressemitteilung der IAAF. Sie habe ohne Furcht und Vorteil den Welt-Anti-Doping-Kodex durchgesetzt, den Sport und saubere Athleten verteidigt sowie Glaubwürdigkeit und Integrität des Wettbewerbs geschützt.

Schon vergessen? Gegen den vor einem Jahr zurückgetretenen Präsidenten der IAAF, Lamine Diack, laufen polizeiliche Ermittlungen wegen Korruption, Erpressung und Geldwäsche.

Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), nennt das Urteil eine historische Entscheidung. „Erstmals sind Sanktionen bestätigt worden, die sich gegen systematisches Doping und nicht gegen einzelne Doper richten“, sagt er. „Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Rückkehr der Glaubwürdigkeit des Sports.“

Die Unterscheidung zwischen gedopten und ungedopten Athleten im russischen System sei bei 643 nachweislich unterschlagenen positiven Proben, bei der Vernichtung von mehr als 8000 weiteren Proben, bei der bis weit in dieses Jahr anhaltenden Behinderung und Verhinderung von Doping-Kontrollen unmöglich.

Der russische Hammerwerfer Sergej Litwinow, der schon die Europameisterschaft in Amsterdam in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Suspended“ (gesperrt) besucht hatte, stellte am Donnerstag das Logo der Spiele von Rio rot durchgestrichen ins Netz.

Litwinow weiß, bei wem er sich zu bedanken hat. „Es ist offiziell – ich werde nicht in Rio starten“, schreibt er bei Facebook. „Besonderer Dank geht an meinen Verband und mein Ministerium dafür, dass sie dies ermöglicht haben.“

Christoph Becker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnerstag, dem 21. Juli 2016

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