Doping und die Laufsöldner sind Themen der Stunde - Können wir im Leistungssport noch konkurrieren? ©Volke
Doping und die Laufsöldner sind Themen der Stunde – Können wir im Leistungssport noch konkurrieren? – Lothar Pöhlitz im Interview
1. Was ist nur aus der olympischen Leichtathletik geworden, Herr Pöhlitz? Einerseits blüht der „Handel“ mit afrikanischen Läufern, vor allem mit der Türkei und den Golfstaaten, andererseits erschreckt uns der ständige Dopingverdacht.
Es gibt für mich zwei sportpolitische Themen, die derzeit die Leichtathletik berühren. Das weltweite Doping und die Laufsöldner. Vor allem für uns in Europa ist dieses Söldnerproblem eine noch öffentlich zu diskutierende Frage. Dabei ist zwischen jenen Ländern zu differenzieren, die nach dem 2. Weltkrieg ihre Kolonien behalten durften – wie Frankreich und Großbritannien – und denen, die sie verloren haben, wie Deutschland und Italien. Mit den von vielen Ländern „eingekauften Spitzenathleten“ aus Kenia, Äthiopien oder Eritrea sowie den geflüchteten aus Kuba werden die Schwächen in der Nachwuchsarbeit vertuscht; die Förderung der eigenen Kinder und Jugendlichen vernachlässigt.
Die Türkei hat es mit ihren „Einkäufen“ ein wenig übertrieben, weil diese Sportler gleich in der Weltspitze präsent sind. Sie stehen auch deshalb im Zentrum des Interesses, weil die Zweifel groß sind, ob deren Weltniveauleistungen auch „sauber“ vorbereitet wurden.
Natürlich sind damit – wie damals in der DDR, allerdings dort mit eigenen Sportlern – politische Ziele der Regierenden verbunden. Mit viel Geld wollen sie den Weg in die Führungspositionen internationaler Gremien, nicht nur im Sport, verkürzen, um möglichst schnell weltweit „mitregieren“ zu können.
2. Schon bei den Europameisterschaften im Juli in Amsterdam trat Erdogans „türkische Weltauswahl“ mit 16 eingebürgerten Athleten auf. Bei den Asien-Meisterschaften 2015 startete das Königreich Bahrain sogar mit 32 (!) gebürtigen Ostafrikanern. In Rio gewann die Kenianerin Ruth Jebet Gold für Bahrain über 3000 m Hindernis, ihre kenianische Landsfrau Eunice Kirwa holte für Bahrain Silber im Marathonlauf, über 10 000 Meter triumphierte der Somalier Mo Farah für Großbritannien. Was bewirkt das in den traditionellen Leichtathletik-Ländern?
Die Türkei ist aktuell zwar für viele ein Thema, die Anfänge dieses Menschenhandels liegen aber weiter zurück. Schon zu meiner Zeit als Bundestrainer in den 1980er Jahren begann das in den Ländern am persischen Golf. Jetzt kommt zum Ausdruck, das ein aus 33 Inseln bestehendes Königreich, nämlich Bahrain im Persischen Golf, auf die Tube drückt. Es beherrschte die Erdteil-Meisterschaften 2015 in chinesischen Wuhan fast nach Belieben. Traditionelle Leichtathletik-Länder, wie Japan und Südkorea geraten dabei unter die Räder. Auch Länder, die, wie Korea, schon seit 1931 historische Marathonläufe veranstalten. Oder Japan, dessen breitgefächerte Nachwuchsarbeit lange beispielhaft war.
Katar, 2019 Veranstalter der LA-Weltmeisterschaften – mitten in der Wüste- , hält sich bei den „Einkäufen“ derzeit noch zurück. Doch WM-Veranstalter wollen auch immer eine gute Mannschaft am Start haben. Vor allem schnelle Läufer! Wer also nach Katar wechseln möchte, müsste es eigentlich jetzt tun – weil man danach drei Jahre lang auf eine Startgenehmigung warten muss. Doch Geld hilft ja in allen Lebenslagen.
Wenn die traditionellen Leichtathletik-Länder Europas nicht endlich aufwachen und es wirkliche Konsequenzen gibt – wenn Läufer nicht das auch trainieren wollen, was sie in Iten oder Eldoret in Kenia sehen, dann sind wir bald nur noch unwichtige Staffage.
3. Es ist verlockend, mit Hilfe afrikanischer Läufer zu einer der führenden Leichtathletik-Nationen aufzusteigen. Auch die deutsche Leichtathletik stützt sich auf eingebürgerte Ausländer. Die bekanntesten Läufer sind die Äthiopier Homiyu Tesfaye und Tola Geleto. Entwertet so etwas nicht den Sport?
Nur das IOC, die IAAF, die europäischen Sportverbände könnten gemeinsam mit den Länderregierungen dafür das STOP-Schild aufstellen, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Gemeinsam mit dem Doping aufräumen, wäre die Aufgabe der Stunde. Aber wie, wenn sich selbst die WADA dabei uneins ist.
Es bedarf dringend einer konzertierten Aktion.
Ich wäre dafür das nur die in ein Land spätestens mit 10-12 Jahren eingewanderten Kinder solche Startmöglichkeiten bei EM, WM oder OS für ihr neues „Heimatland“ erhalten. Damit würde auch verhindert das – wie derzeit – nicht im Land lebende Sportler – als Söldner und damit als Betrüger die wahre Leistungsfähigkeit eines Landes verschleiern.
Übrigens sind die Zweifel an Weltrekorden nicht gleichmäßig verteilt. Wenn ein „sauberer“ Brasilianer mit 6,03 m im Stabhochsprung den hohen Favoriten aus Frankreich unerwartet schlägt, werden diese Zweifel geweckt. Wenn aber Phelps und Kati Ledecky im Schwimmen für die USA Unfassbares leisten, redet man lieber über die Jahre zuvor erwischte heulende Jefimowa aus Russland.
Über 400 m "zertrümmerte" der Südafrikaner Wayne Van Niekerk den 17 Jahre alten Weltrekord des Amerikaners Michael Johnson. Ein Mann der sich bis heute jegliche Frage zum Doping verbietet.
Wer aber jetzt durch die dichten oder auch weniger dichten Maschen der WADA rutscht, bleibt so lange offen, bis in 10 Jahren die Nachkontrollen nach dann neuesten Erkenntnissen stattfinden. Und trotzdem ist es an den Sportstätten anders als früher: sie laufen oder schwimmen Weltrekord, und liegen nicht am Boden und schnappen nach Luft; sondern lächeln, suchen nach der für sie bereitgehaltenen Fahne, um diese zum Ruhme ihres Landes zu schwenken, auf das am Ende auch die Prämien stimmen. In anderen Sportarten schämt man sich derweil. die National-hymne mitzusingen !
4. In Rio verbesserte die Äthiopierin Almas Ayana über 10 000 m den 23 Jahre alten Weltrekord der Chinesin Wang Jungxia um 14 Sekunden. Ihr Coach hatte später gestanden, im Sinne des staatlichen chinesischen Dopingsystems gearbeitet zu haben. Die neuen Weltrekordlerin Ayana erklärt nun ihre Fabelleistung mit dem festen Glauben an Gott. Wieder eine neue Masche?
Inzwischen hat sich im Hintergrund ein Managerkartell von „Menschen-händlern“ gebildet; ausschließlich europäische Manager machen mit dem Handel afrikanischer Athleten gewinnbringende Geschäfte, seit Jahrzehnten! Manager aus Belgien, den Niederlanden, Italien; sie unterhalten Trainingscamps in Ostafrika und Mittelamerika. Personell ausgestattet mit Trainern und Ärzten, Physiologen, Psychologen und Physiotherapeuten. Mit Verwaltungskräften und Rechtsbeiständen. Natürlich bereiten sie ihre Athleten „im umfassenden Sinne“ auf die Höhepunkte vor.
Von Flandern aus betreibt, zum Beispiel, ein ehemaliger belgischer Läufer – Marc Corstjans – sein Geschäft mit bettelarmen Läufern aus Kenia, Äthiopien, Eritrea. So haben inzwischen Lauf-Söldner die ganze Welt erobert, oft nehmen zehn, zwölf – von europäischen Veranstaltern eingeladene aber nicht dopingkontrollierte, gut bezahlte Läufer unseren deutschen Läufern die Motivation. Das belegen auch die von Hajo Seppelt veröffentlichen Kenia – Beweise.
Aus Kenia wird berichtet, dass sich rund um die Höhentrainingszentren eine ganze Reihe Ärzte angesiedelt haben, die mit den dortigen Läufern nicht nur sauberes Geld verdienen.
5. Können wir uns bei Kip Keino bedienen: nur Bildung und Erziehung können die Sportnation retten? Laufen, Springen und Werfen bilden ideale Grundlagen für den Schulsport und viele anderen Sportarten
Wir können. Der große kenianische Läufer Kip Keino – der eine Leben lang auf seiner Farm Waisenkindern ein Zuhause geschaffen hat – mahnte in Rio anläßlich seiner IOC Auszeichnung zu dieser Problematik: "Schließt Euch mir an, um die Grundlagen der Menschlichkeit zu erhalten, jedes Kind soll Obdach, Nahrung, Bildung und Erziehung erhalten“.
Leider haben Bildung und Erziehung als Teil der Kultur in Deutschland Schaden genommen, dabei ist Sport doch Teil der Bildung. Nicht einmal die 2 bis 2 ½ Stunden Sportunterricht sind in der Praxis noch selbstverständlich, das nicht einmal als Minimalprogramm für Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen. Die Mediziner warnen seit langem, die Kinderkrankheiten und die Übergewichte nehmen beängstigend zu. Aber niemand reagiert. Nur die tägliche Sportstunde oder wenigstens 4 x 90 Minuten wöchentlich Sport wären hilfreiche Veränderungen. Wenn man sich aber LA-Mannschaften in fremden Ländern kauft, wird das Interesse an den Schulen bis auf Null sinken.
Für Sport-Spitzenleistungen bedarf es einer Strukturreform, die den Sportlern und ihren Trainer innerhalb der Olympiavorbereitung bis 2020 wöchentlich 25-30 Std, professionelles Hochleistungs-Training plus 5 Std. für sportmedizinisch-physiotherapeutische Begleitung ermöglicht. Das ist für Medaillen notwendig.
Wenn dann für das Hochleistungstraining das notwendige Geld und das Fachpersonal zur Verfügung stehen, müssen folgende Aufgaben in den Vordergrund rücken: 1. Eine Struktur für das Hochleistungstraining schaffen 2. Die Talentsuche und Talentausbildung für Spitzenleistungen in den Landesverbänden, 3. wenige echte Talente mit mehr Anspruch besser fördern (nicht jeder der bei Kreismeisterschaften vorn weg läuft ist ein Talent !)
*Lothar Pöhlitz – DLV-Bundestrainer 1980-1998/Olympia-Coach 1984-1988/1996 – Buch – Autor
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