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07
09
2016

Jennifer Simpson ©Victah Sailer

Jetzt zeigen die USA-Läufer auf breiter Front ihr Weltniveau – Von KLAUS BLUME*

By GRR 0

Nach den Olympischen Spielen in Rio zeigen die Leichtathleten was sie, ohne den Olympia-Druck, wirklich können: In Lausanne, Paris, Zürich, Berlin und am 9. September in Brüssel.

Große Rekorde, große Gagen – also nichts Neues? Von wegen. Neu ist das diesmal die Zugpferde aus den USA kommen. Aber nicht wie einst, als muskelbepackte Sprinter oder zottelbärtige Werfer aus Massachusetts – jetzt sind Läuferinnen und Läufer aus den USA gefragt, wie sonst nur Ostafrikaner. Athleten, die – von 800 Meter über die Hindernisse bis zum klassischen Marathon – alles können.

Und alles erstklassig. 

So ändern sich die Zeiten – die langjährigen Bemühungen von Wirtschaft und Leistungssport zahlen sich aus! Vor dem weltberühmten Meeting zuletzt in Paris-St. Denis, zum Beispiel, stellten die regionalen Zeitungen ihren geneigten Lesern nicht etwa die spätere Hindernis-Weltrekordlerin Ruth Jebet aus Kenia vor, sondern die Amerikanerinnen Jennifer Simpson und Emma Coburn.

Das fiel auf, weil in europäischen Gazetten sonst immer nur zu lesen war, die amerikanische Lauf-Szene werde ausschließlich vom US-Sportartikel-Hersteller Nike dominiert. Der Branchen-Primus zahle Millionen und erhalte dafür Werbe-Rekorde, Medaillen und Ansehen – summa summarum, eine gewaltige Steigerung seines ohnehin fast unbotmäßig hohen Umsatzes. 

Jennifer Simpson & Emma Coburn

Also haben wir bei Jennifer Simpsons Vorstellung, der Olympiadritten von Rio über 1500 Meter, einmal genauer hingeschaut. Ebenso bei Emma Coburn, der Weltranglisten-Dritten über 3000 Meter Hindernis. Beide haben einen Vertrag mit dem Sportschuh-Hersteller New Balance – im Vergleich mit Nike (62 000 Mitarbeiter) ein Zwerg in dieser Branche (4000 Mitarbeiter).

Außerdem, was Amerikaner schon deshalb nicht verstehen können, weil sogar der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs deren Schuhe trug, gilt New Balance in Europa als verrufen. Vielleicht weil dessen Schuhe auch zur bevorzugten Fußbekleidung hiesiger Neo-Nazis gehören.

Doch zurück zu Jennifer Simpson, die bereits 2011 in Daegu Weltmeisterin war, und zu Emma Coburn. Beide werden von der 63-jährigen Trainer-Legende Mark Wetmore betreut, fernab der Nike-Läufergruppen in Boulder (US-Bundesstaat Oregon). Wetmore, der für seine Trainertätigkeit 2014 den renommierten Jacky Joyner-Kersee-Preis erhielt, lüftet das Geheimnis seiner Erfolge stets mit dem Satz:

„Lass‘ dir Zeit, investiere Geduld und stecke viel harte Arbeit hinein." Mehr bedürfe es nicht.

Es gibt in USA nicht nur Alberto Salazar, Mo Farah (GBR) und Galen Rupp – Es gibt auch Colleges und Universitäten mit richtigen Trainern

Ich erzähle das, weil in Europa bisher geradezu irrige Vorstellungen über den Aufstieg amerikanischer Läuferinnen und Läufer kursieren. Natürlich stimmt es, dass Nike bereits vor fünfzehn Jahren die darbende amerikanische Lauf-Szene – den DLV aber leider nicht – ins Visier genommen hat, doch die inzwischen auch international boomende Branche fußt vor allem auf der Arbeit an vielen Colleges und einer ganzen Reihe an Universitäten.

Da gibt es, zum Beispiel in Rhode Island den erfahrenen Ray Treacy oder an der University Akron in Ohio den verehrten Coach Lee LaBadie. Ich werde auf beide noch zurückkommen, muss aber vorerst über das berühmt-berüchtigte „Oregon Objekt" des Hauses Nike berichten. Es ist ohne Alberto Salazar, den dreimaligen Gewinner des New-York-Marathon (1980, 1981, 1982), nicht denkbar. Der gebürtige Kubaner überzeugte im Jahre 2001 Nike von seinem Plan, die riesige, angeblich nicht schließbare Lücke, zu den Ostafrikanern aus Kenia, Äthiopien und Eritrea zu schließen. 

Salazar, der Somalier Mo Farah und die USADA

Salazar, der nachweislich auch von den DDR-Forschungen am FKS Leipzig profitierte und diese gern als eigene Entwicklungen „verkaufte", fügte diesen Erkenntnissen jedoch durchaus einiges Neues hinzu. Die Fachwelt staunte, als er, zum Beispiel, seine Athleten auf Unterwasser-Laufbändern mit reduzierter Schwerkraft trainieren ließ, Sprint- und Krafttrainer engagierte oder sie in Kälte-Saunas schneller regenerieren ließ.

Ich beobachtete auch, wie seine Läufer, direkt nach einem Diamond-League-Meeting in Europa, ein äußerst heftiges Intervalltraining absolvierten. Das schien mir ebenso verrückt, wie seine Auskunft, sein britischer Schützling Mo Farah würde während der Olympischen Spiele 2012 in London – ohne Unterbrechung – in einem Höhenzelt geschlafen haben. Das hatte in den 1990er Jahren schon der große norwegische Skilangläufer Björn Dählie versucht, aber nach wenigen Tagen aufgegeben – weil ihn danach immer wieder Kopfschmerz-Anfälle geplagt hatten.

Von irgendwelchen Unpässlichkeiten wusste Mo Farah indes nicht zu berichten. Das machte viele Experten stutzig. Und weil der Somalier Farah für Großbritannien zwar Medaillen wie am Laufband erobert, jedoch fern der Heimat in Oregon lebt und trainiert, recherchierte die penible Londoner BBC in dieser Sache.

Sie zitierte den Whistleblower Steve Magness, einen ehemaligen Assistenten Salazars. Demnach hätte dieser schon vor Jahren seinen 15-jährigen Sohn für Dopingversuche missbraucht. Magness erzählt: "Alex Salazar sagte mir: Ich reibe ein bisschen Testosteron-Gel ein, gehe dann in unser Doping-Labor. Ich reibe mich so oft ein, bis es als Doping auffällt. Dann wissen wir, wie weit wir gehen können." 

Erzählt 2014. Im Jahr darauf nannte der New Yorker Enthüllungsjournalist und Bestseller-Autor Brian Epstein einige aus Salazars Oregon Projekt ausgestiegene Athleten, die allesamt aussagten, Salazars Läufer würden auffällig häufig Asthmamittel und Schilddrüsen-Hormone zu sich nehmen.

Epstein, der in diesem Zusammenhang auch Salazars Lieblingsschüler Galen Rupp nannte, erntete – wie erwartet – von Salazar einen Wust an Aussagen und Gegenargumenten. Doch gleichzeitig auch die ungeteilte Aufmerksamkeit der amerikanischen Antidoping-Agentur (USADA), die mit ihrer Hartnäckigkeit sogar den einstigen texanischen Tour-de-France-Star Lance Armstrong zu Fall gebracht hat.

Die USADA nahm ihre Untersuchungen in Sachen Salazar und Galen Rupp am 29. Juni dieses Jahres auf; wann sie diese beenden wird, ließ sie nicht verlauten …

Aber Salazar, dessen Trainingsgruppe von Nike schon einmal im Jahre 2007 getrennt wurde, weil der gebürtige Kubaner einen Herzanfall erlitten hatte, konnte bei Olympia in Rio de Janeiro verblüffende Erfolge vorweisen: Matthew Centrowitz bestätigte über 1500 Meter mit seinem Sieg über die Afrikaner die These seines Lehrmeisters, dass weiße Läufer die Afrikaner schlagen können.

Auch Salazars Lieblingsschüler Galen Rupp, 2012 in London schon Olympiazweiter über 10 000 Meter, folgte im Marathonlauf von Rio – um ein Haar – dieser These: als Dritter hinter einem Kenianer und einem Äthiopier, viel hat an Gold nicht gefehlt.

Jerry Schumacher und Evan Jager

Das Salazar dennoch bei Nike über kurz oder lang durch Jerry Schumacher ersetzt werden könnte, scheint dortigen Beobachtern alles andere als abwegig. Schumacher geriet nämlich mit Salazar 2014 in einen handfesten Streit, der – nach Augenzeugen – sogar in eine Schlägerei ausgeartet sein soll. Dennoch sei Salazar bei seiner fachlichen Einschätzung über Schumacher geblieben: Er sei ein ausgezeichneter Fachmann, ein idealer Nachfolger. Was dessen Schützling Evon Jager in Rio auch als Olympiazweiter über 3000 Meter Hindernis eindrucksvoll bewies. Ein Mann, der längst mit jedem Afrikaner Schritt halten kann. 

Ray Treacy und Molly Huddle, Lee LaBadie und Clayton Murphy (mit 21 J. 1:42,93 und Bronze)

Aber der Aufschwung der amerikanischen Läuferinnen und Läufer ist nicht nur Salazar und Schumacher sowie den Nike-Millionen zu verdanken. Da gibt es, zum Beispiel, in Providence (Rhode Island) den fantastischen Ray Treacy, der seit dreißig Jahren als Trainer arbeitet und seit neun Jahren Molly Huddle betreut, derzeit die sechstschnellste 10 000-Meter-Läuferin der Welt.

Eine Frau, die es zu schnellen Marathonläufen drängt. Oder Lee LaBadie, der an der Universität von Akron arbeitet. Der Mann hat 1971 über eine Meile (1609 m) eine persönliche Bestzeit von 3:58,6 Minuten geschafft, weiß also, wie man als Läufer tickt.

LaBadie brachte in Rio über 800 Meter den erst 21-jährigen Clayton Murphy an den Start, der in sagenhaften 1:42,93 Minuten Bronze gewann. Nun reißen sich die Meeting-Direktoren in Europa um den jungen Mann. Wo wird er laufen? Da könne er ihm nicht dreinreden, behauptet LaBadie, der seit drei Jahren mit ihm arbeitet.

In solchen Sachen lasse sich Murphy nämlich von seiner Großmutter Wilma beraten. Die sei mit ihren 75 Jahren weise genug für kluge Ratschläge. Und zwar daheim, am Küchentisch.

Bei einem Glas Milch und selbst gebackenen Keksen.

*Klaus Blume – freier Journalist – Hamburg 

(https://www.laptopwerk.de)

klausblume@t-online.de

Weitere Beiträge von Klaus Blume:

Gesa Felicitas Krause – ein Portrait – Von KLAUS BLUME*

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