2014 IAAF World Junior Championships Eugene, Oregon July22-27, 2014 Photo: Andrew McClanahan@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
Doping in der Leichtathletik – „Die Russen hätten ihn schon vor langer Zeit umgebracht“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Als sich die prominentesten Doping-Fälle nicht mehr unter dem Deckel halten ließen, waren die Russen verärgert. Habib Cissé, ein in dem Fall angeklagter Rechtsanwalt und ehemaliger Berater von Diack senior, sagte nun im Gespräch mit der französischen Zeitung „Le Monde“, die den Fall in ihrer Freitagsausgabe aufgriff, Diack junior habe von den erpressten Millionen etwas weniger als die Hälfte zurückgezahlt. „Dank mir ist er überhaupt noch am Leben“, prahlte Cissé demnach in einem Gespräch mit der Zeitung. „Die Russen hätten ihn schon vor langer Zeit umgebracht, und man hätte seine Leiche nie gefunden.“
Wie groß der Ärger der Russen war, zeigt ein Brief, den die französischen Ermittler im Haus von Cissé in der Nähe von Paris fanden. Walentin Balachnitschew, seinerzeit Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes und Schatzmeister der IAAF, fasst die Geschäftsbeziehung, Stand Frühjahr 2014, darin so zusammen: „Sie ein Geschäft zu nennen, wäre zu diplomatisch. Sie war zynische und grausame Erpressung.“
Gegen Diack senior wird wie gegen Cissé ermittelt; beide mussten ihre Pässe abgeben und dürfen Frankreich nicht verlassen. Diack junior hält sich in der gemeinsamen Heimat Senegal auf, wo Honoratioren auf Solidaritätsveranstaltungen für die Kaution Diacks in Höhe von einer halben Million Euro zusammengelegt haben. Diack bestreitet den Vorwurf der Erpressung und der Geldwäsche; Russland habe ihn finanziell unterstützt, um ihm einen Erfolg bei der senegalesischen Präsidentschaftswahl 2012 zu ermöglichen, behauptet er.
Laut Balachnitschew vereinbarten die IAAF und die Russen eine Art Vollkasko-Versicherung mit dem Namen „Total Protection“.
Sie galt insbesondere für eine Handvoll Geher, unter ihnen Olympiasiegerin Olga Kaniskina, Doppel-Weltmeister Waleri Borchin (je 600.000 Euro), Olympiasieger Sergej Kirdjapkin (700.000) sowie Hürdenläuferin Julija Saripowa. Als die IAAF offenbar Sanktionen durchsetzen will, droht Balachnitschew damit, die Manipulationen auffliegen zu lassen. „Wir werden nicht ruhig bleiben. Wir haben dieses Spiel nicht begonnen.
Wir haben genug Beweise, um die kriminellen Akte der IAAF-Leute zu belegen“, schreibt er. „Unsere Erklärungen werden eine Menge von Beschäftigten der IAAF schädigen einschließlich dem Anti-Doping-Verantwortlichen und seinen Kollegen, die in diese Sache direkt oder indirekt einbezogen waren. Sie erwähnten immer verschiedene Wada-Beschäftigte und andere ,mächtige‘ Anti-Doping-Personen, mit denen Sie all die Zeit in Verbindung standen. All ihre Namen werden veröffentlicht werden.“
Balachnitschew schreibt, unter den Athleten, deren Blutpässe Unregelmäßigkeiten aufwiesen, befänden sich nicht nur Russen, sondern auch einige prominente britische Athleten, darunter ein Olympiasieger, eine Ikone des britischen Sports. „Unsere Frage ist, warum hat die IAAF nicht vom britischen Verband verlangt, diese Athleten zu sanktionieren?“ Statt wie angedroht IOC, Wada und internationale Anti-Korruptions-Komitees zu informieren und die Bestrafung aller Beteiligten durchzusetzen, einigten sich Russen und Diack-Clan offenbar.
Sebastian Coe, acht Jahre lang Vizepräsident von Diack und seit gut einem Jahr sein Nachfolger, will von den Machenschaften innerhalb der IAAF nichts bemerkt haben. Lamine Diack ist immer noch Ehrenpräsident des Verbandes.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 25. November 2016
Autor: Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin.