Coach Renato Canova mit seinen beiden Schützlingen Kiplagat und Kirui nach dem Chicago Marathon 2016. ©Helmut Winter
Rückblick auf die internationale Straßenlaufszene im Jahr 2016 (Teil 3): Zweimal knapp am (Marathon-) Weltrekord vorbei – Helmut Winter berichtet
Zu einem (leistungssportlichen) Desaster geriet am 9. Oktober auch im zweiten Jahr ohne Tempomacher das Rennen der Männer beim Marathon Major Event des Chicago Marathon.
Während mit Florence Kiplagat (KEN) die Frauen in 2:21:32 flott unterwegs waren, gingen die Männer auch dieses Jahr auf eine Jogging-Tour, die nach den Tempojagden früherer Jahre Ex-Doppel-Weltmeister Abel Kirui in sehr bescheidenen 2:11:23 gewann.
Der Sieger Kirui träumt nun von dem Wettstreit mit den Besten der Zunft beim London Marathon im April 2017, da wird er dann aber etwa 8 Minuten schneller laufen müssen.
Die Zeit des Siegers bei den letzten Ausgaben des Chicago Marathon. Es geht in der Tat bei den Männern ohne Tempomacher „bergauf" (zu langsameren Zeiten …). (c) H. Winter
Schnell lief man im Oktober auf niederländischem Terrain, mit Tempomachern wohlgemerkt. In Eindhoven gewann sogar der „Hase" Festus Talam (KEN) in 2:06:26 und in Amsterdam bedeuteten 2:05:21 durch den Nobody Daniel Wanjiru sogar neuen Kursrekord. Gleich 4 Läufer blieben in Amsterdam unter einer Zeit von 2:06 Stunden und machten mit einem Zehnermittel von 2:06:22 Amsterdam zum schnellsten Marathon des Jahres 2016 hinsichtlich dieses Kriteriums.
Zehnermittel der schnellsten Marathonläufe 2016: | ||
1. | Amsterdam | 2:06:22 |
2. | Dubai | 2:06:27 |
3. | Berlin | 2:07:36 |
4. | London | 2:08:25 |
5. | Paris | 2:08:55 |
In Toronto vereitelte am 16. Oktober nach Eiseskälte im Vorjahr diesmal schwülwarmes Wetter den Angriff auf den Streckenrekord. Philemon Rono siegte in 2:08:25, während die mittlerweile 85 Jahre (!) alte Lauflegende Ed Whitlock aus Milton bei Toronto für das Highlight sorgte.
In einer Zeit von 3:56:33 blieb der rüstige Senior unter 4 Stunden und verbesserte den Jahrgangsrekord im Methusalem-Regime um über eine volle Stunde.
Ed Whitlock blieb als erster Mensch über 85 Jahren im Marathon unter einer Zeit von vier Stunden. (c) Screenshot Veranstalter
Beim 10. Gyeongju International Marathon am 16. Oktober gab es beim Jubliäum sehr gute Leistungen bei den Männern. Der Sieger des Honolulu Marathon des letzten Jahres Felix Kiprotich (KEN) war auch in der südkoreanischen Metropole vorne. Der Läufer, der seine internationale Karriere unter dem Detmolder Manager Volker Wagner begann und in dem sehenswerten Film „The Long Distance" auf seinen ersten Schritten außerhalb Kenias begleitet wurde, siegte in hochklassigen 2:06:58. Mit sehr guten, aber nicht den erhofften Topleistungen ging eine Woche später der „Trinidad Alfonso Valencia Half Marathon" mit Siegen von Stephen Kibet (KEN) in 59:27 sowie HM-Weltmeisterin Peres Jepchirchir (KEN) in 1:07:09 über die Bühne.
Die dreifache Olympische Goldmedaillen-Gewinnerin Tirunesh Dibaba (ETH) sorgte beim Great South Run in Portsmouth mit einer Zeit von 51:49 über 10 Meilen für das leistungssportliche Highlight. Dabei lief sie nach 4 Meilen im Alleingang eine der besten Zeiten bei dieser Veranstaltung, bei der nach wie vor Sonia O´Sullivan (IRE) mit 51:00 den Kursrekord hält.
Den Lauf des schwächer besetzten Männerfeldes gewann der Brite Chris Thompson in 47:23. Julius Rotich (KEN) konnte in einer Zeit von 2:10:22 seinen Sieg aus dem Vorjahr beim 31. Venedig Marathon wiederholen. Noch überlegener gewann die Konkurrenz der Frauen Priscah Cherono (KEN), die nach 2:27:41 mit einem Vorsprung von über 7 Minuten auf die Zweite im Ziel war.
Die Verpflichtung von drei kenianischen Läufern hob die Leistungsbilanz beim 18. Piepenbrock Dresden Marathon, die für einen beachtlichen Streckenrekord in der Elbestadt sorgte. Am Ende siegte Joseph Kyengo Munywoki (KEN) in einer Zeit von 2:10:21 vor seinem Landsmann Vincent Kipchumba in 2:10:31.
Das 35. Jubiläum des Frankfurt Marathon am 30. Oktober gewannen Mark Korir (KEN) in 2:06:48 sowie Mamita Daska (ETH) in 2:25:57. Bei idealen äußeren Bedingungen wurden Fate Tola in 2:25:45 und Marcus Schöfisch in 2:20:12 deutsche Marathonmeister des Jahres 2017.
Den Frankfurt Marathon gewann in diesem Jahr Mark Korir (KEN). (c) H. Winter
Mit kenianischen Siegen endete gleichfalls am 30. Oktober der 21. Volkswagen Ljubljana Marathon in der slowenischen Haupstadt. Laban Mutai (KEN) sorgte mit seiner Siegerzeit von 2:09:16 für das sportliche Highlight der Veranstaltung. Bei den Frauen war Purity Changwony (KEN) die Beste in 2:29:32.
Beim Shanghai International Marathon konnte der Südafrikaner Stephen Mokoka in 2:10:18 den dritten Sieg in der chinesischen Metropole feiern. Sechsmal in Folge war er bei diesem mittlerweile mit dem Gold Lable Road Race der IAAF bedachten Event dabei, 2013, 2014 und nun 2016 war er vorne. Letztes Jahr musste er dem in 2:07:14 Streckenrekord rennenden Kenianer Paul Lonyangata den Vortritt lassen.
Die Siegerin des 2. Saitama International Marathon am 13. November im Norden der japanischen Hauptstadt Tokyo war Flomena Cheyech Daniel (KEN), die das Rennen am Ende sehr überlegen nach 2:23:18 gewann. Nach der ersten Auflage dieser Veranstaltung mit dem Sieg von Atsede Baysa (ETH) in 2:25:44 bedeutete die Zeit der Siegerin einen neuen Streckenrekord. Beim JoongAng (International) Seoul Marathon, 1999 zunächst als Halbmarathon in Erinnerung an die Olympischen Spiele 1988 in Seoul ins Leben gerufen, gewann der Kenianer Joel Kemboi in 2:08:07.
Mary Keitany (KEN) in 2:24:26 und Ghirmay Ghebreslassie (ERI) in recht flotten 2:07:51 waren die Sieger Anfang November beim TCS New York City Marathon. Damit konnte Keitany in New York City zum dritten Mal in Folge gewinnen, während Marathon-Weltmeister Ghebreslassie nach Platz 4 bei Olympia im August den ersten Sieg im Big Apple für einen Läufer aus Eritrea verbuchte.
Die Veranstaltung sorgte insofern auch für Furore, als im Ziel 51.388 Finisher registriert wurden. Der Paris Marathon als zweitgrößtes Events meldete etwa 10.000 Aktive weniger (41.801) vor Chicago mit 40.545 Zieleinläufern.
Für das Highlight des Valencia Trinidad Marathon Alfonso am 20. November sorgte diesmal die Kenianerin Valery Aiyabei, die das Rennen der Frauen in 2:24:49 gewann. Diese Zeit verbesserte nicht nur den Kursrekord in Valenica von 2:26:58 aus dem Jahr 2015 durch Beata Naigambo (NAM), die Marke steigerte auch die schnellste jemals von einer Frau auf spanischem Boden gelaufene Zeit von 2:26:03 (2009, Sevilla) sehr deutlich.
Die hohen Erwartungen an den Lauf bei den Männern erfüllten sich nur bis ca. 35 km, wo einer Dreiergruppe noch auf Kursrekord lag. Es gewann am Ende Victor Kipchirchir (KEN) in 2:07:39, der seine Bestzeit von 2:09:13 deutlich zu steigern wusste.
Die Erstplatzierten beim Valencia Marathon, in der Mitte der Sieger Victor Kipchirchir (KEN), davor der holländische Manager van de Veen. (c) Veranstalter
In der „Waschküche" – einer Mischung aus Smog und hoher Luftfeuchte – in der indischen Hauptstadt beim Airtel Delhi Half Marathon am gleichen Tag waren Eliud Kipchoge (KEN) in 59:44 und Worknesh Degefa (ETH) in 67:42 am schnellsten. Das leicht verregnete 70. Jubiläum der Fukuoka International Open Marathon Championchips am 4. Dezember gewann der Äthiopier Yemane Tsegay in 2:08:48 und verhinderte damit den dritten Sieg von Patrick Makau (KEN) in Folge, für den diesmal nur Platz 2 neun Sekunden hinter dem Sieger blieb.
Erstaunlich in Fukuoka war der Auftritt des japanischen Lauf-Unikums Yuki Kawauchi, der trotz Verletzungen einen tollen Lauf hinlegte und sich als Dritter in 2:09:11 vermutlich einen Startplatz im japanischen Team für die WM 2017 in London erlief.
Yemane Tsegay (ETH) gewann den 70. Fukuoka Marathon in 2:08:48. (c) H. Winter
Bei (relativ!) ausgezeichneten äußeren Bedingungen (21°C, Taupunkt 19°C, schwacher Wind, teils wolkig) verbesserte beim Honolulu Marathon am 10. Dezember Lawrence Cherono (KEN) mit 2:09:39 den Streckenrekord von 2:11:12 durch Jimmi Muindi aus dem Jahr 2004 sehr deutlich und lief als erster Eliteläufer auf Hawaii eine Zeit von unter 2:10 Stunden. Überaus beachtlich!
Lawrence Cherono (KEN) gewann den Honolulu Marathon 2016. (c) Honolulu Marathon
Damit ging (fast) eine überaus ereignisreiche Straßenlaufsaison 2016 zu Ende.
Es besteht aber keine Frage, dass auch das kommende Jahr hochklassigen Sport verspricht. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Marathon-Weltrekord der Männer die Saison 2017 nicht überlebt. Die potentiellen Akteure haben sich schon in Stellung gebracht, bereits in Dubai könnte im Januar ein erster Angriff auf die globale Bestmarke erfolgen.
Bei den Frauen sieht dies anders aus, dort scheint der Fabel-Weltrekord von Paula Radcliffe aktuell außer Reichweite, zumal diese Leistung im Vergleich der Geschlechter einem „2 Stunden-Marathon" bei den Männern entspricht.
Letzter soll nun im Rahmen des Projekts „Breaking2" schon im kommenden Jahr Realität werden. Was an der ganzen Sache wirklich dran ist, wird sich schon in Kürze zeigen (müssen), ein brillant platzierter Werbegag eines großen Sportartikel-Herstellers ist die ganze Aktion allemal. Auch wenn sich die „männliche Paula" momentan vielleicht doch noch nicht finden lässt.
Und auch auf dem Weg zurück zur Normalität und der Aufarbeitung der schier unfassbaren Missstände in der unerlaubten Anwendung leistungssteigender Mittel und deren „Billigung" seitens der Verbandsoberen sowie sogar staatlicher Organe kann man sich für das kommende Jahr nur erhebliche Fortschritte wünschen.
Leider werden aktuell fast nur die „Athleten" in diesem kaum noch verständlichen Mix von Betrug und Spiel mit deren Gesundheit belangt. Vor allem auch für „Führungspersönlichkeiten" ist es an der Zeit, Konsequenzen für ihr skandalöses Handeln umzusetzen.
Wie dem auch sei, freuen wir uns auf ein ereignisreiches Jahr 2017.
Die TOP 10 im Marathon der Männer 2016 (Quelle: IAAF)
1. | Kenenisa Bekele | ETH | 2:03:03 | Berlin, 25. September |
2. | Eliud Kipchoge | KEN | 2:03:05 | London, 24. April |
3. | Wilson Kipsang | ETH | 2:03:13 | Berlin, 25. September |
4. | Stanley Biwott | KEN | 2:03:51 | London, 24. April |
5. | Tesfaye Abera | ETH | 2:04:24 | Dubai, 22. Januar |
6. | Lemi Berhanu | ETH | 2:04:33 | Dubai, 22. Januar |
7. | Tsegaye Mekonnen | ETH | 2:04:46 | Dubai, 22. Januar |
8. | Wilson Erupe | KEN | 2:05:13 | Seoul, 20. März |
9. | Sisay Lemma | KEN | 2:05:16 | Dubai, 22. Januar |
10. | Daniel Wanjiru | KEN | 2:05:21 | Amsterdam, 16. Oktober |
Die TOP 10 im Marathon der Frauen 2016 (Quelle: IAAF)
1. | Tirfi Tsegaye | ETH | 2:19:41 | Dubai, 22. Januar |
2. | Aberu Kebede | ETH | 2:20:45 | Berlin, 25. September |
3. | Amane Beriso | ETH | 2:20:48 | Dubai, 22. Januar |
4. | Helah Kiprop | KEN | 2:21:27 | Tokyo, 28. Februar |
5. | Florence Kiplagat | KEN | 2:21:32 | Chicago, 9. Oktober |
6. | Amane Gobena | ETH | 2:21:51 | Tokyo, 28. Februar |
7. | Meselech Melkamu | ETH | 2:21:54 | Hamburg, 17. April |
8. | Kayoko Fukushi | JPN | 2:22:17 | Osaka, 31. Januar |
9. | Meselech Melkamu | ETH | 2:22:29 | Dubai, 22. Januar |
10. | Edna Kiplagat | KEN | 2:22:36 | Tokyo, 28. Februar |
Anmerkung: Dieser Rückblick (Teil 1 bis 3) ist in Auszügen im aktuellen Heft von „RUNNING – Das Laufmagazin", Heft 1/2017 (Nr. 177) ab Seite 76 veröffentlicht.
Helmut Winter