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21
12
2016

Horst Milde ©Heinfried Maschmeyer

„Schiefes Licht auf den gesamten Sport“ – Der GRR-Vorsitzende und langjähriger Race-Director des Berlin-Marathon Horst Milde äußert sich in einem Interview über den Sport im Allgemeinen, die Leichtathletik und das Laufen im Besonderen.

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Herr Milde, als früherer Volkslaufwart des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV), langjähriger Vorsitzender der Leichtathletik-Abteilung des SCC Berlin und langjähriger Race-Director des Berlin-Marathon sowie als Mitglied des AIMS Board of Directors sind sie im Überschlag schon seit 60 Jahren in vielfältiger Weise mit dem Sport, zunächst als Leichtathlet, später als Funktionär im Verein und Verband und vor allem als Macher großer Veranstaltungen tätig.

Angesichts der jüngsten Geschehnisse in der weiten Welt des Sportes müsste Ihnen Angst und Bange für die Zukunft des Sports im Allgemeinen, um die Leichtathletik und das Laufen im Besonderen werden.

Horst Milde: Ich habe Angst um den Sport der Zukunft. Die Vorkommnisse um die zum Teil nur halbherzig betriebene Aufklärung von Doping, gleichgültig ob dieses vom Staat oder von Fachverbänden olympischer Sportarten verordnet oder von Erfolgssucht getriebenen Agenten und Trainern mit krimineller Energie betrieben wird, werfen ein schiefes Licht auf den gesamten Sport.

Es besteht die große Gefahr, dass mittelfristig der Nachwuchs einfach ausbleibt, weil die vielen negativen Schlagzeilen abschreckend, nein abstoßend, wirken. Und dies leider vor dem Hintergrund, dass, bleiben wir in Deutschland, zwei Drittel unserer Bevölkerung übergewichtig ist. Sicherlich sind die Gründe hierfür vielschichtig, aber ein Grund ist sicherlich die mangelnde Bewegung und körperliche Fitness. Gerade deshalb wäre ein Sport mit allen Facetten überaus hilfreich und letztlich in größtmöglichem Maße gesundheitsfördernd.

Zwischen den Zeilen wird offenbar deutlich, dass es letztlich an Vorbildern mangelt, die für die Jugend als wichtigen Anstoß zum eigenen, intensiven Training gelten können.

Horst Milde: Bleiben wir mit konkreten Fällen bei der Leichtathletik. Die in Rio erzielten Weltrekorde über 10.000 m von der Äthiopierin Almas Ayana oder der 400 m-Rekord des Südafrikaners Wayne van Niekerk sind derartige Quantensprünge, die nicht nur nach meiner Auffassung nur mit Doping möglich sind. 17 Jahre lang war man dem Fabelweltrekord von Michael Johnson nachgejagt, sogar 23 Jahre lang war die nachweislich im chinesischen Dopingprogramm integrierte Wang Junxia mit ihrer 10.000 m-Zeit der Weltelite entrückt. Warum nun ausgerechnet sind diese Rekorde in Rio gefallen und keineswegs bei einem prämienträchtigen Rennen? Heute weiß man tatsächlich nicht mehr, wem man trauen kann!  

Die „Medaillenbilanz" der Politik und der Funktionäre des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bzw. der jeweiligen Fachverbände fällt zwiespältig und zumeist durchweg mit kritischen Worten aus, lassen wir einmal die Schützen, Kanuten, Reiter oder die Mannschafts-Wettbewerbe im Fußball, Handball oder Beachvolleyball außen vor. Insbesondere werden natürlich die Kernsportarten Leichtathletik und Schwimmen genannt, die hinter den Erwartungen zum Teil meilenweit zurückgeblieben sind. Die Jagd nach Medaillen und der tägliche Medaillenspiegel konnte man nicht nur in vielen Tageszeitungen lesen, sondern auch in Internet-Portalen wie dem von German Road Races. Fördert diese Veröffentlichung nicht zudem den Druck auf die Sportarten bzw. auf deren Athleten?

Horst Milde: Es stellt sich natürlich die Frage, wer die Hauptverursacher des Drucks sind. Ist es die Politik mit Innen- und Sportminister Thomas de Maizière, der sich nach den Olympischen Spielen in einem Zeitungsinterview überaus enttäuscht gezeigt hatte und ein Drittel mehr Medaillen forderte, sind es die Verbände selbst, die Angst um die öffentlichen Fördermittel haben müssen oder ist es unsere Gesellschaft, die einfach eine dominierende Rolle im Sport erwartet? Unsere Leistungsgesellschaft erwartet nicht nur im Beruf eine hohe Leistungsfähigkeit, sondern dieses wird auch erfolgreich auf den Sportbereich projiziert. ‚Man‘ erwartet einfach Medaillen.

Schließlich ist ein Medaillenspiegel auch ein Aushängeschild für die eigene Nation. Aber wenn wir einmal ehrlich sind: Eine derartige Erwartungshaltung nach Höchstleistung macht natürlich auch vieles kaputt!

Fördert eine derartige, allgemein formulierte Erwartungshaltung nach einem Drittel mehr Medaillen, nicht nur den psychischen Druck auf die Sportler, sondern zeigt auch den schmalen Grat zwischen dem geforderten sauberen Sport und der manipulierten Leistung, ohne die offenbar eine Weltklasseleistung und damit ein Medaillenrang bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften kaum zu schaffen ist?

Horst Milde: Die Bandbreite von manipulierten Leistungen ist allgegenwärtig. Sie fängt im Berufsleben an – und führt letztlich über den Hochleistungssport auch bis hinein in den Freizeitsport. Gerade hier haben Untersuchungen immer wieder mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, daß gut die Hälfte, angefangen von Schmerztabletten und Aufputschmitteln, Leistungsmanipulation betreibt. Eine wohlgemeinte Aufklärung fruchtet offenbar wenig bis nicht, denn es handelt sich dabei um eine eher ‚anonyme Masse von Sportlern‘, die keinem Verein und damit auch keinem Verband angehören. 

German Road Races hat sich gerade bei der Nominierung bzw. Nicht-Nominierung von deutschen Läufern für die Olympischen Spielen eingeschaltet und hat ‚weichere Normen" entsprechend den internationalen Zulassungsbestimmungen gefordert. Müssen Sie Ihre Auffassung nach den dort gezeigten Leistungen etwas korrigieren oder sind Sie mit den Ergebnissen einverstanden?

Horst Milde: Es ist richtig, dass wir als einer der größten Leichtathletik-Verbände und im Freizeit- und Breitensport weltweit führenden Nation eine breit aufgestellte Mannschaft stellen müssen. Es gibt aber kein Rezept, keine Norm, die alle zufriedenstellen wird. Wichtig ist, dass alle mit der richtigen Einstellung und bestmöglichen Vorbereitung antreten können. Letztlich vertreten wir mit dem Disziplinblock Laufen einen Bereich, der weltweit ohne besonderen Hilfsmittel betrieben werden kann, dazu bedarf es weder einem Kugel- oder Diskusring oder einer Sprunganlage. Wir müssen uns abfinden, dass in manchen Disziplinen der Leichtathletik genetische Präpositionen entscheidend sind.

Die US-Läufer haben uns allerdings wieder einmal gezeigt, dass es durchaus mit größtmöglichem Einsatz möglich ist, auf den klassischen Laufstrecken wie über 1500 m, im Hindernis- oder Marathonlauf Medaillen zu gewinnen. Offenbar ist das in den USA praktizierte Trial-System geeignet, dass die dadurch qualifizierten Athleten topfit auf die Minute starten können – und nicht durch eine Reihe von Rennen auf der Jagd nach hohen Normen und zusätzlichen Leistungsnachweisen ihre internationale Tauglichkeit beweisen müssen. Eine unglückliche Situation ist allerdings, dass sich manche Länder, ich kann es nicht anders bezeichnen, Söldner leisten, die zu Medaillen laufen und dann noch zum Überfluss die eher fremdländische Fahne küssen!

Wie sehen Sie als Vorsitzender von German Road Races, der Interessenvereinigung von Laufveranstaltern, ihre Rolle für die nächsten Jahre? 

Horst Milde: GRR hat gerade in kritischen Fragen wie zur Veröffentlichung der Dopingrecherchen, der Rolle des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach bei der Aufklärung von staatsgelenktem Doping oder der Anpassung von Zulassungsbestimmungen zu den Olympischen Spielen den ‚Mund aufgemacht‘, weil wir verbandsunabhängig argumentieren und diskutieren können. Wir haben zu Entscheidungen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes wie der Laufmaut eine klare Position bezogen und den vielen, vor allem auch kleineren Veranstaltern in Deutschland eine wichtige Hilfestellung geben – und letztlich mit Erfolg die Reduzierung der Abgaben erreichen können.

In der Vergangenheit ist es uns gelungen, mit der Chip-Zeitmessung, der Streckenvermessung und der Förderung des Laufsports im Allgemeinen wichtige Erfolge gegenüber dem Verband zu erzielen. Unseren Mitgliedern können wir inzwischen Mehrwerte wie eine GEMA-Rahmenvereinbarung, eine Haftpflichtversicherung für die Veranstaltung und ein interessantes Online-Anmeldeportal anbieten.

Wir werden auch künftig versuchen, überall im Bereich des Laufsports den Finger zu erheben, wo wir denken, dass es nicht richtig oder in die falsche Richtung läuft – im Sinne des Laufsports!  

Erschienen in "road races 2017", der Fachzeitschrift von German Road Races (GRR) e.V. am 22. September 2016

 

 

 

 

 

 

 

author: GRR

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