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25
09
2025

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EINE ANALYSE DES DLV BEI DER WM IN TOKIO – Ein Rückblick mit Zahlen, Fakten und Einschätzungen zum Abschneiden des DLV – von Dr. Wolfgang Blödorn*

By GRR 0

Die Ausgangslage

Mit 80 Athletinnen und Athleten reiste der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nach Tokio. Ziel war es, das schwache Abschneiden bei den Weltmeisterschaften 2023 in Budapest vergessen zu machen.

Dort hatte das deutsche Team keine Medaille gewonnen und war in der Nationenwertung – den Platzierungen unter den besten Acht – nur auf Rang zwölf gelandet (vgl. Tab. 1).

Tab. 1: Abschneiden des DLV bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften in der Nationenwertung im Zeitraum von 2019 bis 2024

Bei den diesjährigen Weltmeisterschaften (13.–21. September 2025) sollte der Aufwärtstrend fortgesetzt werden, der bereits bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris erkennbar war. Mit 69 Einzelstarterinnen und -startern stellte der DLV sein leistungsstärkstes Team seit Jahren: Rund 70 Prozent aller Startenden hatten 2025 eine persönliche Bestleistung erzielt. „Die Athletinnen und Athleten sind bestens vorbereitet“, erklärte DLV-Leistungssportvorstand Dr. Jörg Bügner vor der Abreise.

Die Ergebnisse

Tab. 2: Medaillenspiegel der WM von Tokio 2025

In Tokio wurden insgesamt 147 Medaillen vergeben – 132 in den Einzeldisziplinen, 15 in Mannschafts- bzw. Staffelwettbewerben. Am letzten Wettkampftag bescherte Leo Neugebauer dem DLV die ersehnte Goldmedaille im Zehnkampf, die Deutschland auf Rang 12 der Medaillenwertung katapultierte (vgl. Tab. 2). Das Daumendrücken der Funktionäre, der Athletinnen und der Athleten sowie der Freunde der Leichtathletik in Deutschland hat sich gelohnt.

Die Anzahl der Medaillen war klar besser als die die bei der WM 2023. Dies war allerdings auch nicht so schwer, wenn man die Medaillenzahl von Null verbessern musste.

Wesentlich aussagekräftiger ist jedoch die Nationenwertung, die die Breite der Leistungen abbildet (vgl. Tab. 3). Hier erreichte der DLV einen bemerkenswerten vierten Platz – punktgleich mit Großbritannien. Der beste Rang seit Jahren!

Tab. 3: Nationenwertung der WM von Tokio

Die detaillierte Analyse nach Disziplinblöcken (Tab. 4) zeigt ein bekanntes Bild: In absoluten Zahlen war der Wurfbereich erneut am erfolgreichsten, während im Mehrkampf die höchste Quote an Top-Acht-Platzierungen erreicht wurde. Am schwächsten schnitt der Sprintblock ab – ohne eine einzige Endlaufteilnahme! Lediglich zwei Sprinterinnen erreichten das Halbfinale. Da Schnelligkeit als Basisfähigkeit auch für andere Disziplinen entscheidend ist, liegt hier ein möglicher Schlüssel für künftige Verbesserungen für die anderen Disziplinen.

Tab. 4: Einzelplatzierungen unter den ersten Acht nach Disziplinblöcken differenziert in Tokio

Kadernominierung und Erfolg

Wie in den Vorjahren förderte der DLV 2025 i.d.R. über 200 Athletinnen und Athleten im Olympia-(OK) und Perspektivkader (PK). Diese Kader bilden die höchsten Förderstufen des Verbandes. Eine OK-Zugehörigkeit setzt Platzierungen unter den besten Acht bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen bzw. EM-Medaillen voraus. Für den PK reicht auch eine schriftlich begründete Prognose des Bundestrainers, wonach die Athletin oder der Athlet perspektivisch den OK-Status erreichen kann.

Für Tokio wurde jedoch nur rund ein Drittel der OK- und PK-Athleten von 2025 nominiert, was die Breite der Leistungsfähigkeit im DLV bestätigen könnte. Die übrigen zwei Drittel bilden – so eine mögliche Annahme – die „Leistungsreserve“ für 2026 bis 2028. Ob diese Annahme trägt, ist fraglich. Seit 2019 gab es über 1.500 Kaderernennungen im OK und PK. Steht diese Zahl im Verhältnis zu den erzielten Erfolgen in diesem Zeitraum oder schafft der DLV mit seinen Kadernominierungen
– wie Robert Farken kritisierte – eine „Komfortzone“ für Athletinnen und Athleten?

Jahresplanung und Saisonhöhepunkt

Ein weiterer Schwachpunkt: Von den 69 Einzelstarterinnen und -startern erzielten nur acht in Tokio eine persönliche Bestleistung. Zwar hatten 48 DLV-Athleten 2025 ihre Bestmarke verbessert, doch nur fünf von ihnen konnte diese auch beim Saisonhöhepunkt erringen. Von einer optimalen Vorbereitung auf die WM kann daher kaum die Rede sein. Probleme in der Jahresperiodisierung zeigen sich nicht zum ersten Mal – ein strukturelles Defizit, das dringend aufgearbeitet werden muss.

Fazit

Mit Platz 12 im Medaillenspiegel und Rang 4 in der Nationenwertung erfüllte das DLV-Team die Vorgabe, besser abzuschneiden als 2023 in Budapest mit null Medaillen. Die Breite zeigt sich verbessert – die Spitze bleibt ausbaufähig. Für Euphorie gibt es keinen Anlass, dafür überwiegen neben einigen Glanzpunkten auch strukturelle Schwächen.

Individuelle Höhepunkte

Leo Neugebauer: Gold im Zehnkampf nach starkem 1500-m-Lauf auf regennasser Bahn – eine eindrucksvolle Demonstration des „Königs der Athleten“.
Amanal Petros: Silber im Marathon nach dramatischem Rennverlauf – die Goldmedaille wurde ihm erst buchstäblich auf den letzten Metern entrissen.
Merlin Hummel: Silber im Hammerwurf mit persönlicher Bestleistung von 82,77 m.
Malaika Mihambo: Silber im Weitsprung mit 6,99 m.
Niklas Kaul belegte trotz eines Patzers im Stabhochsprung einen guten vierten Platz im Zehnkampf.
• Sandrina Sprengel steigerte sich mit persönlicher Bestleistung auf Platz fünf im Siebenkampf.
Robert Farken: Über Protest in den 1500 m-Endlauf gelangt, überzeugte er hier mit Platz sechs.
Emil Agyekum blieb im 400 m-Hürden-Endlauf zum ersten Mal unter der 48 Sekunden-Marke und erreichte Platz sechs.

Strukturelle Schwächen

Nur 10 % der Athleten mit bereits erzielten Bestleistungen in 2025 konnten in Tokio nochmals zulegen. Acht persönliche Bestmarken insgesamt beim Saisonhöhepunkt sind ein schwaches Signal für die Qualität der Vorbereitung. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang auch – trotz der persönlichen Bestleistung von Nele Weßel im Vorlauf über 1500 m und des sechsten Platzes von Robert Farken – die erkennbare Schwäche über die flachen Distanzen auf der Laufbahn. Hier ist die Weltspitze doch bereits sehr weit enteilt. Auch fehlende DLV-Startende in manchen Disziplinen sind für einen so großen Leistungssportverband wie dem DLV nicht hinnehmbar.

Ausblick – Was muss der DLV tun?

Die Verantwortlichen sind gefordert, den positiven Trend zu stabilisieren und konsequent auszubauen. In einigen Disziplinen, wie z.B. dem Einzelsprint, ist der Abstand zur Weltspitze noch viel zu groß. Es scheinen bessere Konzepte zur Talentauswahl und Talentförderung für die Zukunft notwendig zu sein. Hierauf weisen die zahlreichen im Ausland trainierenden Spitzenathleten des DLV hin. Auch die wissenschaftliche Begleitung und die Einschätzungen der Bundestrainer scheinen
nicht immer deckungsgleich.

Dringend notwendig sind:

• Verbesserte Talentauswahl und -förderung – nicht nur im Sprint, sondern auch im Lauf – um den Anschluss an die Weltspitze wieder herzustellen.
• Realistische und zukunftsorientierte Kadernormen, die nicht an den internationalen Leistungen vergangener Jahre orientiert sind.
• Engere Verzahnung von wissenschaftlicher Begleitung und Trainerentscheidungen.
• Bessere Schulung der Trainer in wettkampforientierter Jahresplanung. Defizite in der Periodisierung zeigen sich seit Jahren und kosten internationale Erfolge.

Dr. Wolfgang Blödorn

*Wolfgang Blödorn ist promovierter Sportwissenschaftler und Ex-Bundes- und Landestrainer;
Kontakt: wbloed.@gmail.com

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