Bei den Paralympics in Rio de Janeiro hat Léon Schäfer seine Konkurrenz überrascht, beim Eignungstest an der Deutschen Sporthochschule in Köln seine Mitstreiter – nun verbindet er in seiner neuen Heimat Studium und Leistungssport
Léon Schäfer: Paralympics-Athlet und Sportstudent mit Prothese
Frechen, 21. April 2017. Bei den Paralympics in Rio de Janeiro hat Léon Schäfer im Weitsprung überrascht.
Mit dem Umzug von Bremen nach Leverkusen und dem Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln optimiert der oberschenkelamputierte Leichtathlet nun seine Trainingsbedingungen – um in den kommenden Jahren vielleicht auch mal eine Medaille zu gewinnen.
Leichtathletik, Volleyball, Turnen, Tischtennis, Schwimmen: Während sich Léon Schäfers Gruppe beim berüchtigten Eignungstest an der Deutschen Sporthochschule in Köln von Disziplin zu Disziplin minimierte, ließ der 19-Jährige seine Mitstreiter immer wieder staunen: Was er – mal mit, mal ohne Prothese – so leicht aussehen ließ und ohne Fehlversuch bestand, schafften viele der nichtbehinderten Teilnehmer nur mit Mühe.
Lediglich das Zeitschwimmen und den abschließenden Ausdauerlauf brach er früher ab. Zu dem Zeitpunkt hatte er Dr. Thomas Abel, Professor für Paralympischen Sport, schon längst von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt: „Léon hat sich als herausragender Sportler verkauft und über solche Studierenden freuen wir uns immer sehr.“
Dass er es am Ende in seinen Wunsch-Bachelorstudiengang Sportmanagement geschafft hat, war dann aber auch ein bisschen Glück, schließlich kam die Zulassung erst im Losverfahren. Umso glücklicher war der gebürtige Bremer, dass es doch noch geklappt hat. Das Studium in Köln ist für ihn auch ein weiterer Schritt zu mehr Professionalität in einer Leichtathletik-Karriere, die schon mit 13 Jahren begann.
Nachdem ihm 2010 wegen Knochenkrebs der Unterschenkel und das Knie amputiert werden mussten, bekam er noch im Krankenhaus einen Flyer des TSV Bayer 04 Leverkusen in die Hand gedrückt und wurde auf den Behindertensport aufmerksam.
Kurz darauf hatten auf der Krebsstation in Bremen alle Kinder einen Wunsch frei. „Das hätte auch etwas Materielles wie eine Reise sein können. Ich wollte aber einen Behindertensportler treffen“, sagt Schäfer, der dann bei einem Wochenende in Leverkusen Markus Rehm begegnete und schon ein Jahr später selbst Goldmedaillen sammelte.
In seinen Disziplinen 100 und 200 Meter, im Weit- und Hochsprung wird er insgesamt fünf Mal Junioren-Weltmeister und hält bis heute den Junioren-Weltrekord im Hochsprung. Bis zum vergangenen Jahr trainierte er in Bremen beim SV Werder und war nur rund ein Mal im Monat in Leverkusen, erst Anfang November 2016 zog er um – für den Leistungssport.
Von der Uni ins Trainingslager auf Lanzarote – und dann ein Show-Wettkampf in Tokio
Neben dem Training hatte er viel Freizeit, fuhr an den Wochenenden oft in die Heimat. Jetzt hat er einen vollen Stundenplan mit Vorlesungen und Seminaren über die Funktionen von Kreislauf und Atmung, Sportmanagement-Inhalte oder wissenschaftliche Methoden: „Das ist schon eine große Umstellung, da ich das Training jetzt mit dem Studium kombinieren muss.“
Rund eine Stunde braucht er von Leverkusen nach Köln, doch weil er an der Sporthochschule gute Trainingsmöglichkeiten vorfindet, hat er mit Trainer Karl-Heinz Düe einen Plan erstellt:
Montags, wenn keine Vorlesung ansteht, hat er zwei Einheiten in Leverkusen, dienstags macht er seine Läufe in Köln, mittwochs trainiert er morgens und fährt dann erst zur Uni, donnerstags geht er an der Sporthochschule in den Kraftraum und am Freitag wie gewohnt mit seinen Bayer-Teamkollegen auf die Bahn. „Ich kann eben nicht mehr immer zur normalen Zeit mit den Jungs trainieren, deshalb nutze ich die Freistunden hier“, sagt Schäfer.
Die Planung ist wichtig, auch wenn sie ihn in den kommenden drei Wochen nicht kümmern wird, denn dann steht das Trainingslager auf Lanzarote im Vordergrund und Anfang Mai ein Show-Wettkampf im Zentrum Tokios, der Gastgeberstadt der Paralympics 2020. Eigentlich hätte Heinrich Popow für Prothesenhersteller Ottobock dort gegen Atsushi Yamamoto springen sollen, der ihm in Rio im Weitsprung unterlegen war.
Doch Popow ist bei der RTL-Tanzshow „Let’s Dance“ noch im Rennen und schickte seinen jüngeren Teamkollegen nach Japan, der bei seiner Paralympics-Premiere mit 6,06 Metern Vierter wurde und dabei 35 Zentimeter weiter sprang als bei seiner vorherigen Bestleistung. Popow hatte anschließend „Frauenschwarm“ Schäfer gelobt: „Der Junge weiß, wie man fliegt. Vor dem Wettkampf habe ich ihm gesagt: Ich mache es heute – und du in Tokio.“
Bis Schäfer ohne Popow 2020 möglicherweise um den Sieg kämpft, muss das Talent weiter an sich arbeiten, sich kontinuierlich verbessern. In diesem Jahr werden sich beide aber noch sportlich in London begegnen, wo er noch keinen Weg an seinem erfahrenen Teamkollegen vorbei sieht: „Ich will ihn und die anderen aber ein bisschen kitzeln und zeigen, dass ich in Zukunft da bin. Rio hat mir einen Riesen-Motivationsschub gegeben.“ Möglicherweise springt und sprintet Schäfer dann mit einer Prothese, die Popow bei seiner Prüfung zum Orthopädietechnik-Mechaniker gebaut hat – ein Novum unter Konkurrenten. Nicht nur deshalb ist ihm Schäfer dankbar: „Es ist einfach sehr geil, wie viele Ratschläge er mir schon gegeben hat und was mir das gebracht hat. Nicht mal unbedingt nur im Sport, sondern hauptsächlich im Alltag.“
Der besteht nun aus Studieren und Trainieren. Die erste Woche hat er schon hinter sich, das Zwischenfazit fällt grundsätzlich positiv aus, „auch wenn ich manche Seminare natürlich spannender finde als andere.“ Nur ein Problem hat er noch: Dadurch, dass die Zulassung erst im Losverfahren erfolgte, hat er keine Praxiskurse bekommen. Dabei will ihm aber der Leistungssportbeauftragte der Sporthochschule helfen – während Schäfer auf Lanzarote die Grundlagen für eine hoffentlich erfolgreiche Weltmeisterschaft legt.
Quelle: Nico Feißt
Kevin Müller
Stv. Leitung Kommunikation & Events
Deutscher Behindertensportverband e.V. –
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