
Der Reichstags in Berlin, Sitz des Parlaments - Foto: Horst Milde
Die Bundestagswahl 2025 und die Interessen der Sporttreibenden – ein sportpolitisches Wahlprüfprogramm – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel
Bei der bevorstehenden Bundestagswahl werben mehr als ein Dutzend Parteien um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Die Versprechen der Parteien sind dabei – so scheint es – vielfältiger denn je.
Doch wie bei allen früheren Wahlen werden nur wenige dieser Versprechen in der bevorstehenden vierjährigen politischen Praxis zur Realität. Manche der Versprechen sind wohl politisch, ökonomisch und sozial wünschenswert. Andere entsprechen weder aus einer politischen, ökonomischen und sozialen Perspektive der vorfindbaren Realität in Deutschland.
Einige erweisen sich bereits heute als finanziell nicht realisierbar und sind unter dem Aspekt eines wünschbaren Zusammenhalts der Gesellschaft in Deutschland sogar sehr gefährlich.
Es fällt auf, dass in den bisherigen öffentlichen Wahlkampfdiskussionen das gesellschaftlich außergewöhnlich bedeutsame Teilsystem des Sports so gut wie keine Rolle spielt. Dabei bindet das Sportsystem in seiner organisierten Ausprägung mehr als ein Drittel der Bevölkerung und erreicht in seinen informellen Erscheinungsformen noch ein weiteres Drittel unsere Gesellschaft.
Sowohl unter quantitativen als auch qualitativen Gesichtspunkten ist das Phänomen des Sports in unserer Gesellschaft jedoch ein äußerst bedeutungsvoller kultureller Faktor. Er darf durchaus den Anspruch erheben, dass seine Interessen in angemessener Weise von den Parteien vertreten werden, die zukünftig im deutschen Bundestag die Geschicke der deutschen Gesellschaft zu verantworten haben.
Seit einiger Zeit ist es üblich geworden, dass mit einem so genannten „Wahlomat“ die Parteien vor den Wahlen mit ihren Aussagen auf den Prüfstand gestellt werden. Dabei werden die Wahlprogramme mit den Meinungen der Wähler zu bestimmten Problemstellungen verglichen, die in unserer Gesellschaft existieren. Die Übereinstimmung der individuellen Meinung der Wähler mit den Programmen der Parteien wird dabei mit einem errechneten Prozentwert zum Ausdruck gebracht.
Es gibt auch Prüfprogramme, bei denen die tatsächlich erfolgte Politik der letzten Jahre mit den Meinungen der Wähler abgeglichen werden. Bei all den mir bekannten Wahlprüfungsprogrammen kommt das Teilsystem Sport mit seinen ohne Zweifel vorhandenen Problemlagen, die dringend einer politischen Lösung bedürfen, jedoch nicht vor.
Deshalb scheint es mir angebracht zu sein, die Frage nach den Gesichtspunkten zu stellen, unter denen die Parteien sich als empfehlenswerte Partei anbieten, wenn man an sie die Interessen heranträgt, die die Sporttreibenden im weitesten Sinne haben und von denen sie sich wünschen, dass sie zukünftig in unserem Parlament vertreten werden. Dabei muss der moderne Sport in all seinen komplexen Erscheinungsformen berücksichtigt werden, die vom Sport im Kindergarten über das informelle Sporttreiben in der Freizeit der Bürgerinnen und Bürger bis hin zum wichtigsten Phänomen des Sports, des Sports in den Turn- und Sportvereinen reichen.
Der nationale und internationale Wettkampfsport gehört dabei ebenso dazu wie der Behindertensport, wie der Sport der Senioren, das Sportangebot in Rehabilitationseinrichtungen und ein immer wichtiger werdender Präventionssport. Nicht zu vergessen sind die für die Ermöglichung all dieser verschiedenen Varianten des Sporttreibens erforderlichen Sportstätten, deren Restaurierung und Modernisierung eines der dringendsten Gebote der Stunde ist.
Ein kulturell und gesellschaftlich erstrebenswertes Teilsystem des Sports, das bedeutsame sozialpolitische Leistungen für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft erbringt, das ein zentraler Faktor jeglicher präventiver Gesundheitspolitik darstellt, das sich durch Inklusion und wichtige Integrationsleistungen auszeichnet, benötigt angemessen gestaltete Räume, ein funktionierendes Verkehrswegesystem, ein ausreichend ausgebildetes Personal und vor allem eine umfassende subsidiäre finanzielle Unterstützung durch den Staat.
Es darf von mir an dieser Stelle keine Wahlempfehlung zu Gunsten der einen oder anderen Partei abgegeben werden. Ich erlaube mir jedoch, einige Prüfsteine zu nennen, von denen die Sporttreibenden und Sportinteressierten ihre Wahlentscheidung möglicherweise abhängig machen könnten, wenn sie bei der bevorstehenden Wahl auch an die Interessen des Systems des Sports und seiner Sporttreibenden denken.
Es sollen 10 Gesichtspunkte unterschieden werden, unter denen eine bestimmte Partei gewählt werden kann, beziehungsweise nicht gewählt werden sollte.
- Sportstätten, insbesondere in den alten Bundesländern müssen dringend saniert und modernisiert werden. Zur Finanzierung eines neuen „Goldenen Planes Sport“ muss ein Sonderfond eingerichtet werden. Hierzu ist es erforderlich, dass die „Schuldenbremse“ aufgelöst, bzw. verändert wird. Parteien, die sich dafür einsetzen, sind für Sportinteressierte wählbar.
- Der Wettkampfsport in Deutschland zeichnet sich durch ein eine bewundernswerte multikulturelle Gemeinschaft seiner Mitglieder aus. Die Bundesligamannschaften aller Ballspielsportarten zeigen beispielhaft, welche Bedeutung Spielerinnen und Spieler mit einem Migrationshintergrund für das Gelingen des Hochleistungssports in Deutschland haben. Gleiches lässt sich in den deutschen Nationalmannschaften sämtlicher olympischer Sportarten beobachten. Bei den vergangenen Olympischen Spielen in Paris haben mehr deutsche Athletinnen und Athleten mit Migrationshintergrund teilgenommen denn jemals zuvor. Migration hat dazu geführt und führt auch weiterhin zu einer wünschenswerten kulturellen Bereicherung des deutschen Sports. Parteien, die sich für eine offene Migrationspolitik einsetzen, sind für Sportinteressierte wählbar.
Parteien, die Migration verhindern wollen oder gar die Absicht bekunden, deutsche Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund zukünftig aus Deutschland auszuweisen, sollten von Sporttreibenden nicht gewählt werden.- Der Wettkampfsport in Deutschland benötigt geeignete Verkehrswege, um die wöchentliche Begegnung von Millionen von Sporttreibenden im Kindes-Jugend- und Erwachsenenalter bei Wettkämpfen in Deutschland zu ermöglichen. Hierzu ist ein funktionierendes öffentliches regionales und überregionales und allen Bürgerinnen und Bürgern zugängliches Verkehrswesen auf der Schiene, auf der Straße und in der Luft dringend erforderlich. Parteien, die sich dafür einsetzen sind für Sportinteressierte wählbar.
- Der Sport ist das herausragendste Merkmal einer durch Globalisierung gekennzeichneten Welt, die auf eine friedliche Verständigung, auf internationale Kommunikation, auf Begegnung und Solidarität nicht nur angewiesen ist, sondern nur damit überleben kann. Es muss deshalb alles getan werden, dass der internationale Sportverkehr auch zukünftig aufrechterhalten werden kann. Für Deutschland gilt dies vor allem auch für den Sportverkehr innerhalb Europas. Wer das Schengen- Abkommen kündigen möchte, wer sich für langfristige Grenzschließungen einsetzt, wer den freien Reiseverkehr in Europa unterbinden möchte, der ist aus der Sicht einer an Sportbegegnungen interessierten Bevölkerung nicht wählbar.
- Die Situation des Sportunterrichts und der Schulsports in den öffentlichen Schulen wird schon seit längerer Zeit zurecht beklagt. Medizinische Experten haben eine zunehmende „Bewegungslosigkeit“ der Kinder und Jugendlichen angesichts eines umfassenden und unkontrollierten Konsums digitaler sozialer Medien sowie vielfach einer gesundheitsgefährdend Ernährung diagnostiziert. Eine tägliche Bewegungszeit und die Erhöhung der Pflichtstundenzahl auf möglichst 5 Stunden Sportunterricht in der Woche sind nicht zuletzt auch im Vergleich zu Sportnationen wie USA, Norwegen, Schweden, Dänemark, etc. mehr als angebracht. Parteien, die sich gezielt für eine neue Schulsportpolitik einsetzen, sind für Sporttreibende wählbar.Parteien, die hingegen dem sog. E-Sport den Status der Gemeinnützigkeit einräumen wollen und beabsichtigen, das „Gaming“ staatlich zu fördern, sollten von den Sporttreibenden missachtet werden.
- Das aktive sich bewegen, das Spielen und das Sporttreiben, sind nach Meinung aller Gesundheitsexperten bei nahezu allen gesundheitlichen Problemen, die in unsere Gesellschaft angetroffen werden, ein unverzichtbares Medium der Prävention und Rehabilitation. Die von Krankenkassen zurecht jenen Menschen gewährten Bonussysteme, die sich aktiv bewegen, spielen und Sport treiben, müssen dringend aufrechterhalten und möglichst sogar noch ergänzt bzw. erweitert werden. Parteien, die sich dafür einsetzen, sind für Sporttreibende wählbar.
Parteien, die die bestehenden Bonussysteme abschaffen möchten, sollten hingegen nicht gewählt werden.- Der DOSB mit seinen mehr als 90.000 gemeinnützigen Vereinen bedarf einer subsidiären Unterstützung durch den Staat. Gleichzeitig hat er sich durch parteipolitische Neutralität und ein autonomes sportpolitisches Handeln auszuzeichnen. Parteien, die die Neutralität des Sports und dessen autonomes Handeln respektieren sind für Sporttreibende wählbar.
Parteien, die beabsichtigen, den Sport zu bevormunden oder gar zu verstaatlichen, verstoßen gegen die Ideen des Grundgesetzes. Für Sporttreibende verbietet es sich, solche Parteien zu wählen.- Wettkampfsportlerinnen und Sportler sämtlicher olympischer Sportarten haben zurecht den Wunsch geäußert, dass möglichst zeitnah in Deutschland einmal mehr Olympische Spiele stattfinden können. Nicht zuletzt der Wunsch der Athletinnen und Athleten, die Deutschland bei internationalen Wettkämpfen bereits über viele Jahrzehnte repräsentiert haben, aber auch die gesellschaftspolitischen Chancen, die sich durch die Durchführung von Olympischen Spielen für Deutschland eröffnen, legen es nach, dass sich Deutschland aktiv um die Ausrichtung von Olympischen Sommerspielen bewirbt. Parteien, die diese Bemühungen unterstützten, sind für Sporttreibende, deshalb wählbar. Parteien, die eine deutsche Bewerbung für Olympische Spiele hingegen ablehnen, sollten nicht gewählt werden.
- Die Beachtung und Einhaltung der UN- Menschenrechtskonvention und damit aller Menschenrechte ist heute ein dringenderes Gebot denn je. Die Organisationen des Sports haben sich verpflichtet, die universell gültigen Menschenrechte zu beachten. Ganz gleich welcher Nation, Religion, Ethnie oder Stammeskultur Menschen angehören: Sie alle sind in den Organisationen des Sports willkommen zu heißen. Freiheit und Gleichheit sind für die internationalen Sportbegegnungen unverzichtbare Maximen. Parteien, die das Ideal der universellen Gültigkeit der Menschenrechte infrage stellen und sich durch Rassismus und Faschismus auszeichnen, sind für Sporttreibende nicht wählbar.
- Die freiwilligen Vereinigungen des Sports sind eine bedeutsame vermittelnde Instanz zwischen Staat und Privatheit und sie bilden ein wichtiges Erfahrungs– und Einübungsfeld für eine lebendige Demokratie. Besonders schützenswert ist dabei das ehrenamtliche Engagement an der Basis der Organisationen des Sports. Parteien, die dies zu würdigen wissen, und sich bei einem längeren zeitlichen Engagement für eine angemessene Steuerentlastung von Ehrenamtlichen einsetzen, sind für Sporttreibende aus naheliegenden Gründen wählbar.
Wir leben in diesen Tagen in einer von internationalen Krisen und fürchterlichen Kriegen geprägten Welt. Deutschland ist dabei in ganz besonderer Weise davon betroffen. Bei der bevorstehenden Bundestagswahl geht es vorrangig um die Frage, welche Parteien angemessene Antworten finden auf die nicht zuletzt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Rechtmäßigkeit der Schuldenbremse verursachte ökonomische Krise der deutschen Wirtschaft.
Fragen der Industriepolitik, der Energiepolitik, der Klimapolitik, des Naturschutzes, vor allem aber auch der Sozialpolitik und Steuerpolitik etc. sind dabei von sehr viel größerer Bedeutung als Fragen zur Sportpolitik.
Doch gerade in der Krise , in der sich die deutsche Gesellschaft derzeit befindet, ist es wichtiger denn je, dass man die soziale und gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports im Blick behält. Er muß als ein Medium zur Lösung der gesellschaftlichen Krise in diesen Tagen in die Erörterungen einbezogen werden, wenn es um die Suche nach einem Ausweg aus der Krise geht.
Es wäre wünschenswert, wenn die hier vorgelegten „Wahlprüfbausteine“ eine Hilfe sein könnten.
Letzte Bearbeitung: 10. 2.2025
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.
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Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
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