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2017

NIKE Breaking2 Projekt am 6. Mai 2017: Mission (im)possible? ©NIKE

NIKE Breaking2 Projekt am 6. Mai 2017: Mission (im)possible? – Helmut Winter berichtet

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Wie erst gestern bekannt gemacht wurde, soll der Angriff auf die 2-Stunden-Barriere über die Marathondistanz im Rahmen des NIKE „Breaking2“-Projekts am Samstag, dem 6. Mai 2017 um 5:45 Ortszeit beginnen.
 
Damit kommt eine Unternehmung in die entscheidende Phase, die in der letzten Zeit ein erhebliches Interesse in Sachen Laufsport auf sich gezogen hat. Die Wahl des Termins fällt nun bedingt zufällig auf jenen historischen Tag, der im angelsächsischen Kulturraum eng mit dem Unterbieten der 4-Minuten-Barriere über die Meile (1609,344 m) durch Sir Roger Bannister vor 63 Jahren in Verbindung gebracht wird.

Doch während Sir Roger die bestehende Bestmarke von 4:01,4 um ca. 0,8 % auf 3:59,4 steigern konnte, müssen die Hauptakteure beim Zirkus auf der Piste des Autodroms von Monza – das sind: Eliud Kipchoge (KEN), Zersenay Tadese (ERI) and Lelisa Desisa (ETH) – den bestehenden Weltrekord von 2:02:57 durch Dennis Kimetto  (Berlin 2014) um etwa 2,5 % steigern, um das vorgegebene Ziel von sub-2-Stunden zu erreichen.

Wie außergewöhnlich die Steigerung ist, zeigt das Beispiel für den 100 m-Lauf, wo jemand die Bestmarke von 9,58 sec durch Usain Bolt auf 9,35 drücken müsste. 

Da bedürfte es schon eines Orkan-gleichen Rückenwindes (oder einer Rampe), um in solches Regime von Zeiten vorzudringen. Gleiches gilt auf der doppelten Distanz, die statt in 19,19 sec in 18,73 zu bewältigen wäre. Und die Erben von Kenenisa Bekele (der bei einem konkurrierenden Projekt dieser Art auf der Wunschliste steht und deshalb hier nicht dabei ist) müssten die 10.000 m statt in 26:17,53 in 25:39,47 rennen.

Momentan ist dies alles eigentlich kaum vorstellbar.

Geld spielt bei dem etwa seit 2014 gestarteten Projekt augenscheinlich keine Rolle, sonst hätte man den vermeintlich besten Marathonläufer der globalen Szene, Eliud Kipchoge, sicher nicht für dieses primär durch das Marketing motivierte Unternehmen gewinnen können. Zumal aktuell Eliud im Zenit seines Leistungsvermögens zu stehen scheint und auch in einem regulären Stadt-Marathon ein erster Anwärter auf den Weltrekord ist, den er im letzten Jahr nur knapp mit 2:03:05 beim London Marathon verfehlte. Zwei Stunden wären dabei etwas zu hoch gegriffen, aber in einem gut organisierten Rennen, wäre dem Mann aus Kapsabet im kenianischen Rift Valley eine Zeit um 2:02 Stunden gewiss zuzutrauen.

Dazu wird es frühestens im Herbst – mit gewisser Wahrscheinlichkeit beim Berlin-Marathon – kommen, jetzt muss der Ausnahmeathlet erst einmal zeigen, was unter zu Hilfenahme aller denklichen Vorteile und Hilfsmittel über die volle Marathondistanz („Menschen“) möglich ist. Dass man dabei das Regel konforme Regime verlässt und am Ende selbst bei einem „erfolgreichen“ Abschluss ein Muster ohne Wert produziert, nimmt man bewusst in Kauf. Von sportlicher Seite her ist das mehr als bedenklich, man schickt ja (bisher zumindest) auch Usain Bolt nicht auf eine abfallende Rampe, um unter 9 Sekunden oder was immer zu rennen.

Während der Topstar Kipchoge sicherlich erste Wahl für ein solches Unterfangen ist, kann man sich bei den anderen beiden Mitstreitern Zersenay Tadese (ERI), der aktuelle Inhaber des Weltrekords über die halbe Marathon-Distanz, und vor allem auch bei Lelisa Desisa (ETH), zweifacher Boston Marathon-Sieger und Gewinner des Marathon in Dubai, fragen, ob sich für die das Training auf dieses Event hin überhaupt lohnt.

Vor allem Tadese hat in den letzten Jahren immer wieder demonstriert, dass der (volle) Marathon augenscheinlich nicht seine Disziplin zu sein scheint. Mit Tadeses Bestzeit aus dem Jahr 2012 von 2:10:41 beim London Marathon erscheint eine Jagd in Richtung 2 Stunden nahezu aberwitzig.

Auch der Testlauf über die halbe Distanz im März in Monza bestätigt diese Einschätzung. Dort hatte ein allerdings nicht ganz fitter Desisa bereits nach gut 10 km den Anschluss verloren, auf den letzten Kilometern musste auch Tadese abreißen lassen.

Einen Marathon in 2 Stunden, d.h. 42.195 Meter in 7200 Sekunden, zu laufen, erfordert einen Schnitt von 5,8604 Meter pro Sekunde oder 21,0975 km/h.

Auf der (Lauf-)Bahn sind dies recht genau 68er-Runden, jeder Kilometer ist somit in 2:50,64 Minuten zu laufen. Gewaltige Vorgaben, mit noch außergewöhnlicheren Splits: 5 km in 14:13, 10 km in 28:27, den Halbmarathon (trivialer Weise) in 1 Stunde, 25 km in 1:11:06 und 30 km in 1:25:19. Und während die Dinge bis zum Halbmarathon sowie 25 km noch machbar scheinen und diese Zeiten auch schon gelaufen wurden, wird es spätestens bei 30 km eng. Liegt doch diese Zeit fast 2 Minuten unter dem aktuellen Weltrekord auf dieser Distanz, den Wilson Kipsang erst im September 2016 als Durchgangszeit beim Berlin-Marathon aufstellte.

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Eine essentielle Rolle bei dem Projekt spielt ein Elektromobil, das das 2-Stunden-Tempo als primärer Schrittmacher vorgibt. Laserstrahlen markieren den Korridor, in dem sich die Läufer bewegen sollten. (c) H. Winter

Das Rennen wird auf einer 2400 m langen Runde des Autodroms von Monza stattfinden, die entsprechend der Vorgaben der IAAF zu 2402,4 m von den Grade A Vermessern Katz und Winterman exakt vermessen wurde. Da der Lauf nominell bei 1398 m vor Ende einer Runde gestartet wird, werden am Ende 3 m mehr zurückgelegt als nötig (plus 42 m Längen-Aufschlag). Alle 200 m werden Zwischenzeiten genommen, die auf die Endzeit umgerechnet den Läufern instantan angezeigt werden.

Diese Zeiten werden auch dazu verwendet, das Führungsfahrzeug möglichst gleichmäßig auf 2-Stunden-Kurs zu halten. Wie die Tests im März zeigten gelang dies sehr gut. Der „mechanische Tempomacher“ ist sicher ein Konzept, über das man auch in anderem Zusammenhang nachdenken sollte, wenn es darum geht, möglichst gleichmäßig einen Lauf in einer frühen Phase zu gestalten.

Zwei Formel 1-Testfahrer – man befindet sich ja in Monza – steuern das Fahrzeug, jegliche Erfahrung in Sachen Lauferei ist den beiden Herren allerdings fremd. Und das hatte beim Test unliebsame Konsequenzen.

breaking2-monza-pacers-final-attInsgesamt 18 Tempomacher werden am Samstag in Monza zum Einsatz kommen. (c) Breaking2

Neben dem mechanischen Tempomacher werden leibhaftige „Hasen“ eine Rolle spielen, um die Topläufer zu ziehen und Windschatten zu bieten. Von den 13 Pacemakern beim Test hat man die Anzahl auf 18 Läufer aufgestockt, um so stets 6 Schrittmacher im Rennen zu halten. Dies ist – wie die regelmäßige, fliegende Darreichung von Verpflegung – gegen die Statuten, so dass einem  zu erwartenden Weltrekord die Anerkennung versagt bleiben muss.

Über welche Ressourcen das Projekt verfügt, zeigt auch ein Blick auf die Liste der Tempomacher, mit Namen von Topstars der Szene wie Bernard Lagat oder Stephen Sambu. Diesen Akteuren wird besonders nach gut 30 km die kritische Aufgabe zukommen, Kipchoge im Rennen zu halten.

Der Standort Monza wurde auch wegen der klimatischen Vorteile ausgewählt, die am Samstag recht viel versprechend sind. Die Temperatur von 12°C zur Startzeit sowie ein Taupunkt von 5°C haben sich in den letzten Tagen in ein nahezu ideales Regime entwickelt. Gegen den Wind von 11 km/h aus NNO werden die Tempomacher gut zu tun haben. Dabei läuft man auf jeder Runde einmal mit einmal gegen den Wind, insgesamt 17-mal.

Bei der Einschätzung, welche Chancen bestehen, dass einer der drei Kontrahenten – wie schon gesagt, dürfte das nur für Kipchoge in Frage kommen – die 2 Stunden-Barriere unterbietet, unterscheiden sich die Geister. Kipchoge selbst ist überzeugt, dass er das Unternehmen erfolgreich über die Bühne bringt. Die Form, die der sympathische Kenianer beim Test im März zeigte, war in der Tat beeindruckend. Eine Halbmarathon-Zeit von 59:19 lief er damals derart locker, dass an jenem windigen Tag auch ein Weltrekord über die halbe Distanz in Reichweite gewesen wäre, falls das die Absicht gewesen wäre.

Aber die langjährige Erfahrung zeigt sehr deutlich, dass ein voller Marathon nicht nur die Addition zweier Hälften ist, bei den Stadtmarathons jeder Halbmarathon-Beginn unter 62 Minuten sehr kritisch für das Gros der Spitzengruppe ist und es in der Regel nur wenige „Überlebende“ bei solchen Tempojagden gibt.

Kipchoge wird bis um Ende volle Unterstützung von (Mit-)Läufern erhalten, muss dafür aber auch die Halbzeit nach einer Stunde hinter sich gebracht haben. Wenn man sieht, welche Mühen es zum Beipiel dem Sieger beim Berliner Halbmarathon gekostet hat, soeben unter einer Stunde (einmal!) zu laufen, der kann ermessen, was auf die Breaking2-Akteure im zweiten Part zukommt.

In „Fachkreisen“ – da verweisen wir auf die Beiträge, die zuhauf zu dieser Thematik im weltweiten Web zu finden sind – wird das Unterfangen überwiegend kritisch gesehen.

Zeiten um 2:01:30 werden als realistisches Maß der Dinge gesehen. Was man mit so einer Leistung dann in jedweder Form anfangen kann, müssen sich die Initatoren dieses Projekts fragen lassen. Die Fabelzeit von 2:03:02, seinerzeit gelaufen von Geoffrey Mutai beim Wind unterstützten Boston-Marathon, hat (leider) seinen Weg in die Mülltonne der (Lauf-)Geschichte als Kuriosum gefunden. Die Leistung war am Ende ein Muster ohne Wert, weil auch in Boston die Regeln und Statuten hinten anstehen.

Natürlich organisiert ein Sportartikel-Hersteller solch einen Zirkus nicht, ohne seine Produkte zu lancieren. Dies geschieht im aktuellen Projekt vor allem auch in Sachen Laufschuhe, deren Beitrag zum Leistungsgewinn ins Mystische gehoben werden.

Man kann nur hoffen, dass Eliud diesen Super-Schuh auf der langen Distanz „verträgt“, nachdem seine äthiopischen Kollegen beim London Marathon nicht unerhebliche Probleme mit der Neukonzeption hatten. Für den „normalen“ Markt waren diese Produkte zwar nicht gedacht, aber die Ableger für den Normalverbraucher gehen schon in die Produktion.

Wie die sportliche Bilanz am Ende aussehen wird, muss sich zeigen. Ein Gewinner der ganzen Aktion scheint schon heute festzustehen:

Die PR-Abteilung von Nike.

Helmut Winter 

Themengleich:

Marathon unter zwei Stunden? Bekele: „Nike hat mich nie gefragt“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

An der Schallmauer – 42,195 Kilometer in weniger als zwei Stunden – Breaking 2. – THOMAS HAHN in der Süddeutschen Zeitung

 

author: GRR

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