Symbolfoto Doping - Foto: BMI
Anmerkungen zur Anti-Dopingberichterstattung der ARD – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel
Sportberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wirft schon seit längerer Zeit eine ganze Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung immer dringender wird.
Die einseitige Ausrichtung dieser Berichterstattung auf den Fußball wird nicht nur von den Verantwortlichen aller weiteren olympischen Sportarten beklagt. Auch für viele Zuschauer¹ ist es immer mehr ein Ärgernis, wenn das Fernsehangebot durch eine Dominanz des Fußballsports geprägt wird und ihnen dadurch viele schöne und interessante Sportarten vorenthalten werden.
Das aktuelle Sportstudio (ZDF) und die Sportschau (ARD) schmücken sich somit zu Unrecht mit dem Begriff „Sport“, der eine Vielfalt verspricht. Die Sender erfüllen ihren selbst gestellten Auftrag in keiner Weise und täuschen damit auch die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Inhalte der Sendungen. Vor diesem Hintergrund könnte man auch von einem Etikettenschwindel sprechen: „Es ist nicht drin, was draufsteht“.
Am 24. November war es für die Verantwortlichen in den ARD-Sport-Redaktionen wohl wieder einmal an der Zeit, die eigene „Sonderredaktion Anti-Doping“ zu Wort kommen lassen sollte. Zur besten Sendezeit um 19:30 Uhr wurde dabei der angebliche oder tatsächliche chinesische Doping Skandal, der längst redundant vor, während und nach den Olympischen Spielen öffentlich diskutiert wurde, noch einmal in einer Dokumentation aufgegriffen.
In der „Jungen Welt“ vom 27.11.2024 stellte dabei Andreas Müller in einem Kommentar die durchaus berechtigte Frage, was man unter einer „Sonderredaktion der ARD“ zu verstehen hat und in welcher Beziehung diese zu einem kommerziellen Unternehmen mit dem Namen „Open Eye Media“ steht. Womit zugleich unter anderem die Frage nach einer angeblichen oder tatsächlich unabhängigen Anti-Dopingredaktion der ARD und deren Finanzierung aufgeworfen ist.
In der Vergangenheit gab es zu Recht Kritik an einer Sportberichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, bei der der immer mehr Sportarten erfassende und weltweit grassierende Dopingbetrug nahezu völlig ausgeblendet wurde. Ein fragwürdiger Höhepunkt dieser Art von Sportberichterstattung war ein Sponsoring der Tour de France durch die ARD.
Erst nach dem „Team Telekom Skandal“ kamen wenigsten einige wenige der Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zur Besinnung und ermahnten ihre Sportredaktionen zu einer kritischen Berichterstattung über den immer gefährlicher werdenden Dopingbetrug im Hochleistungssport. Dies führte zur Einrichtung einer neuen Redaktion unter Leitung von Hajo Seppelt, wobei sich bereits zu diesem Zeitpunkt die Frage gestellt hat, warum das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Doping- Berichterstattung in eine eigene Redaktion auslagert, wodurch die großen Sport-Redaktionen der ARD einen Freibrief für eine „Weiter so wie früher“- Politik erhalten haben.
Medienexperten konnten durch die weitere Entwicklung dieser „Sonderredaktion“ kaum überrascht werden. Ist eine neue Redaktion erst einmal eingerichtet, so wird sie zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung. Allein aus kommerziellen Interessen muss diese „Redaktion“ dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Alibiproduktionen für die angeblich kritische Ausrichtung seiner Fernsehsender liefern. Ist eine Redaktion einmal eingerichtet, so findet sie immer auch Gründe für ihr personelles Anwachsen. Produktionen um der Produktion willen werden immer wahrscheinlicher.
All dies konnte in den vergangenen Jahren seit dem Bestehen der ARD- Antidopingredaktion bei deren Arbeit und Handeln der dort tätigen „Journalisten“ beobachtet werden.
Das Wort „Journalisten“ wurde von mir ganz bewusst mit Anführungszeichen versehen. In Bezug auf die Arbeit dieser Redaktion haben sich nämlich sehr schnell eine ganze Reihe von journalistischen Fragen gestellt, die die Tätigkeit der in dieser Redaktion arbeitenden Personen betrifft. Dass der Chef dieser Redaktion sich selbst zu präsentieren weiß und seine Kameraleute zu dieser Selbstdarstellung gezielt anleitet, mag für das öffentlich-rechtliche Fernsehen mittlerweile normal geworden sein.
Informativ und unterhaltsam ist dies allerdings nicht. Ärgerlicher ist es, dass die Produkte dieser Redaktion im Programm der ARD meist immer im Vorfeld von internationalen Großveranstaltungen präsentiert werden, um mindestens einen „Schatten“ auf das bevorstehende Ereignis zu werfen. Auch dies kann unter kommunikativen Gesichtspunkten sogar erwünscht sein, weil dadurch das sonst eher unkritische Publikum des Sportfernsehens auch einmal mit der nicht so schönen Hinterbühne des Sports konfrontiert wird.
Frage, die sich jedoch als wichtiger erweist, ist jene, welche Inhalte dabei auf der Grundlage welcher Recherchen und fundierten Erkenntnisse dem Publikum präsentiert werden. Dabei zeigt sich sehr schnell, dass diese Berichterstattung nur selten den Prinzipien der Relevanz, der Klarheit, der Wahrhaftigkeit und der Objektivität entspricht.
Zum jüngsten Projekt gedopter chinesischer Schwimmer muss aus inhaltsanalytischer Sicht zum Beispiel gefragt werden, zu welchem Zeitpunkt sich die von der chinesischen Nationalen Antidopingagentur selbst aufgedeckten Dopingfälle in China ereignet haben:
Wer sich an die schwierige Zeit der Corona- Pandemie erinnert, wer an die durchaus ärgerlichen Organisationsbedingungen bei den Olympischen Winterspielen in Peking denkt, wer weiß, dass in dieser Zeit es so gut wie unmöglich war, dass unabhängige Kontrolleure in China chinesische Athletinnen und Athleten haben kontrollieren können,wer in Erinnerung ruft, dass in den Jahren der Pandemie auch in allen übrigen Nationen nur bedingt angemessen kontrolliert wurde, im Grunde das internationale Kontrollsystem nur noch im Ausnahmefall existierte, stellt sich die Frage, warum von all diesen Rahmenbedingungen in dieser Dokumentation nicht berichtet wird.
Warum wohl?
In meinen über Jahrzehnte andauernden Bemühungen zu Gunsten eines fairen Sports und in meinem Antidopingkampf habe ich lernen müssen, dass man zu Recht allen Aussagen, die von Athletinnen und Athleten zu ihrer eigenen Entlastung, aber auch den Aussagen von Pharmakologen, Medizinern, Trainern und sonstigen Experten, die diese zur Entlastung von Athleten und Athletinnen bei aufgedeckten Dopingfälle vortragen, ein grundlegendes Misstrauen entgegenbringen muss.
Insofern werden die aufgedeckten Dopingfälle chinesischer Athletinnen sehr zu Recht mit einem großen Misstrauen betrachtet. Die These, dass über kontaminierte Nahrungsmittel, in denen jene verbotene Substanzen enthalten sind, die auf der „Dopingliste“ stehen, von den Athleten somit unwissentlich zu sich genommen wurden, existiert mittlerweile schon mehr als ein Jahrzehnt. Im Fall der chinesischen Athletinnen wäre es bei einer kritischen journalistischen Recherche deshalb notwendig gewesen, dass man auf diesem Gebiet mit eigenen Studien ausgewiesene Wissenschaftler befragt, inwiefern diese These als Grundlage einer Unschuldsvermutung tragfähig ist und wie der Stand der Forschung in dieser Frage ist.
In der Dokumentation der ARD war davon nicht die Rede, warum nicht?
Das Hochleistungssportsystem Chinas wird unter dem Aspekt des Doping- Missbrauchs zu Recht mit kritischen Augen verfolgt. Allerdings darf diese Kritik gegenüber China nicht einseitig erfolgen und sie muss auch objektiv und frei sein von Rücksichtnahme auf einen politischen und ökonomischen Konflikt zwischen den Weltmächten USA und China. Doch genau dies ist bei der ARD-Dokumentation nicht zu erkennen. China ist einmal mehr der „böse Bube“, die „gelbe Gefahr“, während die USA der Hüter von Demokratie, Ethik und Moral sind. Der USA steht es angeblich zu, die Ethik-Instanz des Weltsports per se zu sein. Der unter Juristen höchst fragwürdige so genannte „Rodchenkov-Act“ wird von den „ARD- Journalisten“ distanzlos akzeptiert.
Dabei sind es nur wenige Nationen des Weltsports, in denen vergleichbar viele Doping- Missbrauchsfälle zu beobachten sind, wie dies bei Athletinnen und Athleten der USA der Fall ist. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird beklagt, dass in den amerikanischen Profiligen Baseball, American Football, Basketball, Eishockey und in jüngerer Zeit auch im Fußball so gut wie gar keine Kontrollen durchgeführt werden. Deshalb wäre es eigentlich angebracht, dass die amerikanische Anti-Dopingagentur zunächst und vor allem vor dem „eigenen Hause zu kehren“ hätte, anstatt ihre Kritik immer auf die Gegner US-amerikanischer Athleten und Athletinnen auszurichten, wenngleich man sagen muss, dass sie meist auch berechtigt ist.
In der ARD- Dokumentation war davon nicht die Rede. Warum nicht?
In der Dokumentation vom November 2024 stand eine Kritik der WADA in deren Zentrum. Um diese Kritik zu erhärten, wurden Aussagen von Sportpolitikern und Verantwortlichen aus nationalen Anti- Dopingagenturen eingeblendet. Um die ideologisch vorgefasste Meinung der Redaktion zu bestätigen, wurden Zitate, die vermutlich aus längeren Interviews mit den Betroffenen stammen, dabei gezielt in der Sendung so platziert, dass man dabei gemäß der Diktion der Redaktion von einem „WADA-Skandal“ zu sprechen hatte.
Wer die Organisationsstruktur der WADA kennt, wer weiß, wie sie finanziert wird, wie deren Gremien besetzt werden und wer an den Entscheidungen beteiligt ist, die sich auf die Strukturen der WADA beziehen, der stellt sich jedoch die Frage, warum ein Vorsitzender einer Nada sich als WADA- Kritiker benutzen lässt und wie auch deutsche Sportpolitiker aus den Reihen des Bundestages dasselbe mit sich geschehen lassen, obgleich sie direkt und indirekt an den Entscheidungsprozessen der WADA beteiligt sind. Die naheliegende Frage einer recherchierenden Redaktion müsste deshalb sein, warum diese Damen und Herren nicht schon längst die notwendigen internen politischen Maßnahmen ergriffen haben, um die von ihnen angeblich oder tatsächlich erkannten Mängel zu beseitigen.
Davon ist in der ARD- Dokumentation nicht die Rede. Warum nicht?
Das eigentliche Ärgernis in der hier zur Diskussion gestellten ARD- Dokumentation muss jedoch darin gesehen werden, dass es ganz offensichtlich in der ARD an einer verantwortungsvollen Aufsicht mangelt. Schon seit langem muss man sich fragen, welche Rolle die Repräsentanten des Sports in den Rundfunkräten der ARD spielen, nach welchen Kriterien das Personal in den ARD-Sportredaktionen ausgewählt wird.
Von Andreas Müller in einem Kommentar vom 27. November 2024 in der „Jungen Welt“ aufgeworfene Fragen sind dabei besonders wichtig. Wie transparent sind die Strukturen in der ARD-Sportsonderredaktion? Welche Mittel stehen ihr zur Verfügung? Und wie werden diese bewirtschaftet? Ist die „Outsourcing Politik“ sinnvoll? Werden damit Kosten eingespart?
Zumindest jene, die sich in verantwortungsvollen Positionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens befinden, sollten ein Anrecht haben, über derart elementare Arbeitsgrundlagen aufgeklärt zu werden. Es könnte aber auch Zuschauer geben, die dieses Bedürfnis nach Transparenz und Offenlegung teilen.
Letzte Bearbeitung: 02.12.2024¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.
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Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
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