Interessante Perspektive: Der Sieger kurz vor dem Ziel beim 50. Berlin-Marathon 2024 - Foto: Horst Milde
Äthiopier siegen am Brandenburger Tor- Unplanmäßig spannend: Der 50. Berlin-Marathon 2024 bietet großen Sport, endet aber ohne Weltrekord. Bei den Frauen siegt die Favoritin, bei den Männern ein Außenseiter. Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Erst scheiterten die Pläne von Streckenrekord und Jahresbestzeit. Die Tempomacher waren das Rennen so schnell angegangen, dass sie die erste Hälfte in 61 Minuten hinter sich brachten und in der Hochrechnung den Streckenrekord des zweimaligen Olympiasiegers Eliud Kipchoge von 2022 – 2:01:09 Stunden und immerhin 13 Monate lang Weltrekord – unterbieten würden.
Doch auf dem asphaltierten Boden der Wirklichkeit zerschellten solch hochfliegende Träume. Die jungen Tempomacher übernahmen sich, brachen ein und stiegen, praktisch alle vier auf einmal, bereits vor Kilometer 26 aus, noch vor dem südlichsten Teil der Strecke in Berlin-Zehlendorf.
Aber das war kein Unglück, sondern tat dem Rennen gut. Plötzlich war der 50. Berlin-Marathon nicht mehr ein planmäßig exekutierter Rekordlauf, wie so häufig in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Plötzlich war er ein spannender, großartiger Wettbewerb. Mit jeweils 45.000 Euro Sieg- und Zeitprämie belohnten sich die Favoritin Tigist Ketema (2:16:42 Stunden) und Überraschungssieger Milkesa Mengesha (2:03:17), beide aus Äthiopien.
Im Ziel sanken beide auf die Knie – gewiss nicht allein vor Glück, sondern auch aus Erschöpfung von dem trotz optimaler äußerer Bedingungen – kühle Luft und strahlende Sonne – anstrengenden Rennen.
Die 26 Jahre alte Ketema hatte im Januar mit ihrem Debüt auf der Marathondistanz für Aufsehen gesorgt, als sie beim Dubai-Marathon in 2:16:07 Stunden die beste Zeit erreichte, die je eine Novizin auf dieser Distanz gelaufen ist. Zusätzlich steigerte die Erwartungen, dass sie in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba Trainingspartnerin von Tigist Assefa ist, die im vergangenen Jahr in Berlin den Weltrekord auf die phantastische Zeit von 2:11:53 Stunden gesteigert hatte. Von Anfang an deutlich vor allen Konkurrentinnen, lief sie in Berlin unangefochten und lediglich 35 Sekunden länger als bei ihrem als sensationell bewerteten Debüt am Golf zum Sieg.
„Das Rennen war sehr schön, jedenfalls solange die Pacemaker dabei waren“, sagte Sieger Mengesha im Interview mit dem Sender RTL, der die Übertragung von RBB und ARD übernommen hatte. „Dann stieg die Kilometer-Zeit auf drei Minuten, aber ich wusste, dass ich schneller laufen kann.“ In einer Mischung aus Ausscheidungsrennen und Poker hielt Mengesha am längsten durch, ließ die favorisierten Tadese Takele (Äthiopien/Siebter in 2:05:13) und den einstigen Halbmarathon-Weltrekordler Kibiwott Kandi (Kenia/13. in 2:06:46) deutlich hinter sich.
Im langen Endspurt auf der Zielgeraden Unter den Linden besiegte er als Letzten den Kenianer Cybrian Kotut (2:03:22), einen Bruder des einstigen Marathon-Stars Martin Kiptoo Lel. Dritter wurde der Äthiopier Haymanot Alew (2:03:31). „Gut, dass ich nicht zu den Favoriten gehörte“, freute sich Mengesha: „Ich bin ohne jeden Druck gelaufen.“
Schnellster deutscher Läufer war Sebastian Hendel aus Braunschweig.
Sebastian Hendel – 2024 Berlin Marathon – Berlin, Germany September 29, 2024 – Photo: Victah Sailer@PhotoRun
Er lief in 2:07:33 Stunden auf Rang 17 und überholte dabei auch zu seiner Überraschung Filimon Abraham, der lange auf bestem Weg schien, den deutschen Rekord von Amanal Petros von 2:04:58 Stunden zu brechen. Doch dann ereilte auch ihn das Schicksal der vielen, die auf der langen Strecke ihre Fähigkeiten überschätzen. Ihn verließen die Kräfte, und er musste sich mit Platz 26 und einer Zeit von 2:08:52 Stunden zufriedengeben.
„Superzufrieden“ gab sich dagegen – nicht nach, sondern während des Rennens – der Geschäftsführer des Berlin-Marathons, Jürgen Lock. „Wir haben großartiges Wetter, großartige Stimmung“, sagte er: „Man sollte nicht immer Weltrekorde erwarten.“ Eine Bestleistung strebte allerdings auch er an. Gut 80.000 Läuferinnen und Läufer hatte sein Team am Samstag und Sonntag in verschiedene Rennen von fünf Kilometern bis Marathon geschickt, auf Skates, im Rollstuhl und auf eigenen Füßen.
Von den 58.000, die einen Startplatz für die 42,195 Kilometer ergattert hatten, sollten doch, so die Hochrechnung der Veranstalter für den 50. Berlin-Marathon im fünfzigsten Jahr seines Bestehens, 50.000 durchkommen ins Ziel.
Auch das wäre – was wohl? – ein Rekord.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 29. September 2024