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08
09
2024

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Doping-Experte über Olympia – „Dann wird immer ein Verdacht im Raum stehen“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Paris 2024

By GRR 0

David Howman war langjähriger Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur. Nun spricht er im Interview über den China-Fall um 23 positive Doping-Proben und die Rolle seiner Nachfolger.

David Howman ist ein auf Sportrecht spezialisierter Anwalt und war 13 Jahre lang, bis zu den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro 2016, Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Seit 2017 sitzt der Neuseeländer der unabhängigen Integritäts-Einheit für den Leichtathletik-Weltverband (AIU) vor.

Mr. Howman, Sie kennen die WADA. Hat sie Fehler gemacht beim Umgang mit den 23 positiven Proben chinesischer Schwimmer oder wird sie unfair attackiert?

Wir sind in einem kleinen Nachteil dabei, uns eine Meinung über das bilden zu können, was die WADA getan oder nicht getan hat. Meine Haltung war immer, dass die WADA eine transparente, unabhängige Einrichtung ist. Sie sollte der Welt die Informationen zeigen, aus denen sie ihre Entscheidungen abgeleitet haben. Dann wäre jeder glücklich oder unglücklich, aber er hätte zumindest Informationen, um sich eine Meinung zu bilden. Das ist wie bei einem Fall vor Gericht; man kann ihn nicht verhandeln ohne Beweise. Es wird in diesem Fall wissenschaftliche Meinungen geben, rechtliche Betrachtungen, und es wird Informationen geben, die öffentlich gemacht werden sollten. Sobald dies der Fall wäre, würde sich die Sache ziemlich schnell aufklären.

Das fordern Zeitungen und Fernsehredaktionen längst. Die WADA greift sie dafür an, erklärt aber nicht, warum sie die lauwarme Erklärung der Chinesen von einer Kontamination glaubt. Warum gibt es, im Gegensatz zu Ihrer Zeit dort, keine Transparenz bei der WADA?

Das finde ich sehr schwer zu beantworten. Wir in der AIU (Unabhängige Integritätskommission des Leichtathletik-Weltverbandes/d. Red.) arbeiten sehr offen. Sollte die WADA durch irgend etwas dazu gezwungen sein, nicht transparent zu sein, sollten wir vielleicht auch davon hören. Jeder reagiert anders. Unglücklicherweise beginnen heutzutage viele Leute viel zu schnell, sich zu verteidigen, anstatt zu verstehen, dass es sich einfach um eine Frage nach Information handelt. Ich weiß, dass das Management-Team der WADA aus sehr klugen Leuten besteht, die unabhängig und transparent sein und der Welt sagen wollen, was passiert. Tun sie das nicht, wird möglicherweise das Ansehen der Agentur in Stücke geschlagen. Ich kann nicht mehr sagen als: Informiert die Leute zufriedenstellend.

Sie sind in der AIU zuständig für die Leichtathletik. Ist Kenia mit mehr als hundert Dopingfällen in den vergangenen Jahren das China dieser Sportart?

Es gibt nichts, was man mit Kenia gleichsetzen könnte. Es hat sehr viele Dopingfälle auf den Mittel- und Langstrecken des Laufens gegeben. AIU hat den kenianischen Verband und die kenianische Regierung dazu gebracht, ein Anti-Doping-System aufzubauen. Wir waren ziemlich erfolgreich. Die Regierung gibt viel mehr Geld als früher aus. Die Folge sind viel mehr Tests und in der Konsequenz viel mehr positive Fälle. Dies führt dazu, das viel weniger Athleten das Risiko eingehen, erwischt zu werden. Das ist nicht wie China, nicht wie Russland, nicht wie das frühere Ost-Deutschland, wo es keinerlei Untersuchungen gab. In Kenia gibt es Untersuchungen, und ich finde das, was die AIU macht, ziemlich gut.

Kann eine Organisation, die Doping verfolgt und sanktioniert, 50 Prozent ihres Budgets von einer Sportorganisation erhalten wie die WADA vom IOC?

Die AIU erhält einen großen Teil ihres Budgets von World Athletics. Wir sind wirtschaftlich abhängig vom Verband, ihm aber absolut nicht verpflichtet. Wir bekommen keinerlei Anweisungen, Empfehlungen und Anfragen. Wir machen unsere eigene Arbeit. Wir sorgen dafür, dass die Top Ten in allen Disziplinen ordentlich getestet werden und die Ergebnisse ordentlich verarbeitet werden. Wir sind in einem Maße transparent, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, wenn sie uns fragten, was wir tun, mit unseren Antworten zufrieden wären.

Wenn eine Nationale Anti-Doping-Agentur 23 positive Fälle hätte und diese damit erklärte, dass es sich nicht um Dopingfälle handele, sondern unglücklicherweise das Essen all dieser Athleten in einer Hotelküche mit einem Herzmittel kontaminiert wurde – wie würde die AIU darauf reagieren?

Bei einem Fall mit TMZ (Trimetazidin/d. Red.) würden wir dem Prozess folgen, der im Anti-Doping-Code und den internationalen Standards beschrieben ist. Um zu einer provisorischen Sperre zu kommen, würden wir zumindest eine Anhörung haben. Dies würde vermutlich zu einem Schiedsgericht führen. Das war bereits bei einem TMZ-Fall so. Was den China-Fall der WADA angeht, auf den Sie anspielen: Wir kennen das Skelett, aber es besteht nicht das, was ich den Geruchs-Test nennen würde. Uns wird erzählt, dass zehn Wochen, nachdem die Athleten in dem Hotel waren, in der Küche – und Küchen wurden in der Corona-Pandemie damals besonders sorgfältig gereinigt – Reste von TMZ gefunden wurden. Dieses Herzmittel soll damals ins Essen geraten sein. Es ist schwierig, das Herzmittel ins Essen zu kriegen. Dies besteht nicht den Geruchstest. Wenn etwas nicht den Geruchstest besteht, sollte jemand was gegen den Geruch unternehmen.

Was ist die Lösung?

Man sollte die WADA fragen, warum sie nicht die Dokumente in diesem Fall veröffentlicht: den Report der CHINADA, wissenschaftliche und rechtliche Gutachten. Tun sie’s nicht, wird immer der Verdacht im Raum stehen, dass sie etwas verheimlichen.

Fordern Sie eine Reform der WADA?

Ich würde mich nicht der Theorie anschließen, dass die WADA dramatischer Veränderungen bedarf aufgrund eines hoffentlich einmaligen Falls. Sie ist eine einmalige Einrichtung in der Welt des Sports. Was es braucht, sind Leute, die im richtigen Moment das Richtige tun, die Regeln und Verfahren folgen. Tun sie das nicht, sollte ein Schiedsgericht sagen, dass sie es nicht tun und nicht zu Entscheidungen auf der Basis von Beweisen kommen. Dann wird die WADA sich ändern. Es gibt Regeln und Strukturen.

Sprechen Sie also in Wirklichkeit von der Rolle des Generaldirektors Niggli und des Vorsitzenden Banka in diesem Fall?

Das Management-Team und das Governance-Team der WADA sind super. Das Management-Team macht seinen Job entsprechend den Verfahren, und der Code regelt das meiste davon. Das Führungsteam sitzt gewissermaßen am Rand mancher Fälle. Länder werden unterschiedlich geführt, Verbände und Sportarten werden unterschiedlich geführt. Oft hängt das einfach von den Leuten ab. Das Governance-Team agiert entsprechend seinen Ansprechpartnern. Es gibt menschliche Schwächen und Differenzen.

Was Sie meinen, scheint nicht so freundlich zu sein, wie Sie es ausdrücken. Fordern Sie Banka und Niggli auf, zurückzutreten?

Nein, das sage ich nicht. Das ist etwas, das sie von sich aus tun sollten. Mr. Niggli bekommt seinen Vertrag vom Aufsichtsrat. Er sagt niemandem, was er tun und lassen soll. Der Aufsichtsrat sagt es ihm. Der Aufsichtsrat wird gewählt und es gibt ein Verfahren, wie sie mit dem Management-Team kooperieren. Ich könnte Rücktritte nur fordern, wenn Leute ihre Arbeit nicht richtig tun oder wenn Individuen so grobe Fehler machen, dass sie der Organisation Schaden zufügen. Das muss ich so stehen lassen. Ich habe dafür keine Beweise.

Sehen Sie eine Zukunft für die WADA unter der Führung von Witold Banka?

Ich bin immer ein zynischer Optimist gewesen. Optimistisch bin ich, was das Überleben der WADA angeht. Zynisch bin ich in der Frage, wie zum Teufel sie das schaffen soll.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 11. August 2024

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