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05
07
2024

Florian Altermatt (rechts) und Luca Carraro bei der Probennahme von eDNA (environmental DNA) in einem Gewässer zur Bestimmung der lokalen Diversität. - Foto: Universität Zürich- UZH

Bilanz UFSP «Globaler Wandel und Biodiversität» «Biodiversität ist unsere Lebensversicherung» Universität Zürich – Stefan Stöcklin

By GRR 0

Ökosysteme sind stabiler und ertragreicher, je mehr Arten sie aufweisen. Das haben Forschende des UFSP «Globaler Wandel und Biodiversität» auf eindrückliche Weise gezeigt. Das erfolgreiche Programm engagiert sich dafür, dass der Wert der Biodiversität in der Gesellschaft besser verstanden und wahrgenommen wird,

Die Biodiversität steht weltweit unter Druck und braucht dringend Massnahmen zu ihrem Erhalt. Für die Wissenschaftler:innen des UFSP «Globaler Wandel und Biodiversität» sind fünf Faktoren hauptverantwortlich dafür, dass die Biodiversität zurückgeht: Es handelt sich um Land-und Meer-Nutzung, Klimawandel, Verschmutzung, Habitatsverlust und invasive Arten.

Im Schwerpunktprogramm untersuchten die Forscher:innen systematisch die Wirkung dieser «globalen Einflussfaktoren» bezüglich Artenvielfalt, aber auch ihre Folgen für die Gesellschaft. Gleichzeitig erforschten die Wissenschaftler:innen die Rückkopplungs- resp. Verstärkungsmechanismen zwischen diesen Treibern und der bedrohten Biodiversität. Wie Ko-Direktorin Maria J. Santos erläutert, liefert ein besseres Verständnis dieser Wechselwirkungen die Voraussetzung zum Schutz der lebensnotwendigen Biodiversität.

Frau Santos: Was sind die wichtigsten Resultate des UFSP Globaler Wandel und Biodiversität?

Maria J. Santos: Auf der wissenschaftlichen Ebene können wir mehrere hundert Publikationen vorweisen, die unser Verständnis der Biodiversität und der zugrundeliegenden Rückkopplungsmechanismen verbessert haben. Eine der wichtigsten Voraussetzung für die erzielten Fortschritte sind exakte Daten, mit denen wir Ökosysteme beschreiben, um Veränderungen und Umwelteinflüsse messen zu können. Dazu haben wir im Rahmen des UFSP zum Beispiel die Methoden der eDNA (environmental DNA) oder der bildgebenden Spektroskopie weiterentwickelt. Die eDNA-Technologie basiert auf der Analyse genetischen Materials, das von Organismen in ihre Umgebung abgegeben wird, sei es in den Boden oder in die Gewässer.

Unsere Forscher:innen dokumentierten mit dieser Methode etwa die Verbreitung wirbelloser Kleintiere in Fliessgewässern. Auf einer grösseren Skala haben wir im Bereich Fernerkundung für die Plattform ARES (Airborne Research Facility for the Earth System) Sensoren entwickelt, um den Zustand von Ökosystemen spektroskopisch aus der Luft zu messen. Als Testgebiet haben wir die Laubwälder auf der Lägern (nordwestlich von Zürich) untersucht; die Technologie funktioniert auch bei tropischen Wäldern, wie unsere Arbeiten in Borneo gezeigt haben. Erst dank diesen und weiteren neuen Technologien konnten wir die Rolle der Biodiversität und ihre Reaktion auf die globalen Treiber untersuchen.

Und was ist die Rolle oder die Bedeutung der Biodiversität?

Maria J. Santos: Je grösser die Biodiversität ist, desto stabiler ist ein System, sei es eine «künstliche» pflanzenreiche Gemeinschaft in der Landwirtschaft oder ein natürliches Ökosystem. Ein artenreiches Ökosystem kann sich besser und schneller von Störungen erholen, es ist produktiver und bewahrt seine funktionalen Eigenschaften. Biodiversität ist unsere Lebensversicherung, sie liefert Nahrung und Werkstoffe, sie reguliert das Klima und produziert Sauerstoff und sie hat auch einen ästhetischen und kulturellen Wert. Entsprechend ist der beobachtete, weltweite Verlust von Biodiversität sehr bedenklich.

Blick auf das Blätterdach des Urwalds in Borneo. Hier analysierten Forschende den Aufbau des Waldes u.a. mittels einer neu entwickelten Laser scanning Technologie. (Bild: Fabian Schneider)

Bedeutet dies in der Praxis, dass genetisch diverse Mischkulturen ertragreicher sind als Monokulturen?

Maria J. Santos: Im Rahmen unseres UFSP konnte dies gezeigt werden. Diversität erhöht und stabilisiert die Funktionalität eines Ökosystems und hat positive Wirkungen beispielsweise für den Ertrag verschiedener Getreidesorten oder von Mischwäldern.

Mehr Biodiversität ist also immer gut?

Maria J. Santos: Das kann man so nicht sagen, denn es gibt auch schädliche Biodiversität, zum Beispiel Parasiten, Krankheitserreger oder giftige Organismen, die ein Ökosystem oder den Menschen gefährden. Es geht bei der Biodiversität nicht nur um eine möglichst grosse Zahl, sondern auch um die Funktion der Arten. Invasive Arten oder Krankheitsvektoren schmälern die Leistungen von Ökosystemen über längere Zeiten.

Wie beeinflusst der Klimawandel die Biodiversität?

Maria J. Santos: Der Klimawandel bedroht die biologische Vielfalt. Und ohne Biodiversität verringern sich unsere Möglichkeiten zur Bewältigung des Klimawandels erheblich. Arten, die sich nicht rasch genug an die veränderten Bedingungen wie Erwärmung und Trockenheit anpassen können, sind gefährdet. Andererseits können Veränderungen des Klimas und der Umweltbedingungen invasive Arten begünstigen. Da die Ausweitung der Flächennutzung auch den Klimawandel verschärft, wird sie sich doppelt auf den Verlust der biologischen Vielfalt auswirken. Insofern hängen Klimawandel und Biodiversität miteinander zusammen.

Wir konnten in allen Untersuchungen zeigen, dass eine hohe Biodiversität ein Garant für stabile und funktionierende Ökosysteme ist.

Maria J. Santos
Prof. für Earth System Science

Sie haben auch Rückkopplungseffekte des Klimawandels in der sibirischen Tundra untersucht. Wieso ist das wichtig?

Maria J. Santos: Die Tundra in den arktischen Zonen spielt eine wichtige Rolle als Verstärker des Klimawandels, denn die gefrorenen Böden tauen auf und lösen eine Kettenreaktion aus, die zu mehr Methan in der Atmosphäre führt, welches ein starkes Klimagas ist. Grund sind die in den Böden enthaltenen methanogenen Bakterien, die durch den Auftauprozess aktiv werden, und das im Boden enthaltene Methan. Damit kommt eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang, denn die eis- und schneefreien Tundraböden absorbieren mehr Wärme, was den Prozess weiter beschleunigt.

Welches Resultat hat Sie am meisten überrascht?

Maria J. Santos: Überrascht ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich bin beeindruckt, welche herausragende Bedeutung die Biodiversität hat. Wir konnten in allen Untersuchungen zeigen, dass eine hohe Biodiversität ein Garant für stabile und funktionierende Ökosysteme ist. Wir haben dieses Ergebnis in vielen Studien mit unterschiedlichen Systemen – von der Tundra bis zum tibetischen Hochgebirge – immer wieder reproduzieren können und es ist deshalb sehr wichtig.

Worin liegt die gesellschaftliche Relevanz des UFSP «Globaler Wandel und Biodiversität», was hat er der Gesellschaft gebracht?

Maria J. Santos: Unsere Forschung ist in verschiedener Hinsicht für die Gesellschaft wertvoll. Einerseits können wir dank unseren Befunden erklären, wieso Biodiversität und ihre Funktionen wichtig sind. Andererseits liefern wir mit den Daten und Technologien die Voraussetzungen dafür, um das Problem des Biodiversitätsverlustes anzugehen. Die Analyse der Einflussfaktoren und ihrer Rückkoppelungen auf die Biodiversität zeigt, wo wir ansetzen können. Dank der Mitarbeit von Forschenden aus den Sozial- und Geisteswissenschaften haben wir zudem ethische Fragen zum Wert und Erhalt der Biodiversität reflektiert.

Im weiteren konnten wir dank dem UFSP eine junge Generation von talentierten Forscher:innen nachziehen, die das Thema der Biodiversität in einem übergreifenden und interdisziplinären Ansatz begreifen. Manche von ihnen arbeiten an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft, zum Beispiel in Verwaltungen, und bringen dort ihr Wissen ein. Wir arbeiten zudem mit IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) zusammen, einem dem Klimapanel IPCC vergleichbaren internationalen Gremium, sowie mit der Koordinationsstelle bioDISCOVERY. Und wir haben das World Biodiversity Forum gegründet, das diesen Juni zum dritten Mal in Davos tagt. Auch hier geht es um praktische Lösungen zum Erhalt der Biodiversität.

Konnten Sie die Wahrnehmung der Biodiversitäts-Krise stärken?

Maria J. Santos: Es gibt gute Evidenz dafür, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Viele unserer Forscherinnen und Forscher engagieren sich in nationalen oder internationalen Gremien der Wissenschaft, der Politik, der Kunst oder der Öffentlichkeitsarbeit. In der Schweiz zum Beispiel im Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften (Scnat). Und wir haben den Naturlehrpfad Irchel (Irchel Nature trail) hier auf dem Campus, der die Biodiversität einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt.

Forschende des UFSP anlässlich eines Meetings im August 2022. (Bild zVg)

Ziehen Sie eine Bilanz in drei Sätzen: Was hat der UFSP «Globaler Wandel und Biodiversität» gebracht?

Maria J. Santos: Wir haben zum Verständnis der Biodiversität und ihrer Funktionen beigetragen und neue Technologien zu ihrer Überwachung entwickelt. Wir haben inner- und ausserhalb des UFSP ein Netzwerk von Forscher:innen und Nachwuchsforschenden aufgebaut, die den drohenden Biodiversitätsverlust aus wissenschaftlicher Perspektive angehen. Drittens konnten wir viele Forschende in unserer Community dazu motivieren, sich über die Wissenschaft hinaus für ein besseres Verständnis und die Bedeutung der Biodiversität in breiteren Kreisen zu engagieren.

Wie geht es nach dem Abschluss des Programms nun weiter?

Maria J. Santos: Wir prüfen zurzeit verschiedene Optionen und Nachfolgeprogramme. Die Wissenschaftler:innen sind auf alle Fälle interessiert, die durch das UFSP geförderten Kooperationen weiterzuführen, da sie sich als sehr wertvoll erwiesen haben. Daher möchten wir in Zukunft mit der Erforschung der Biosphäre und ihrem Monitoring weitermachen. Die neuen Fragestellungen und Hypothesen bauen auf dem gewonnenen Wissen auf.

UZH News – Universitäre Forschungsschwerpunkte


  • «Biodiversität ist unsere Lebensversicherung»


  • «Regulierung allein kann die nächste Krise nicht verhindern»


  • «Die Tumor-Mikroumgebung beeinflusst die Krebszellen enorm»


  • «Die Katalysatoren für uns arbeiten lassen»

Quelle: Universität Zürich – UZH – Stefan Stöcklin

author: GRR