Michael Woods - der Läufer und die Angst vor der Abfahrt ©Victah Sailer
Tour de Suisse – Michael Woods – der Läufer und die Angst vor der Abfahrt – Von KLAUS BLUME
Sollte ein Etappen-Zehnter der Tour de Suisse eine Story wert sein? Er sollte es, meint Michael Woods‘ amerikanischer Teamchef Jonathan Vaughters.
Schließlich sei der 30jährige Kanadier der Held dieses Alpen-Abenteuers gewesen, weil er als Erster den 2300 Meter hohen Albulapass erklommen hat, doch im Regen zitternd vor Angst hinunter ins Tal fuhr und deshalb von neun Kontrahenten überholt wurde.
Klar, gab Woods, der Kanadier aus Ottawa, zu: „Ich bin eben noch immer kein richtiger Rad-Profi.“ Mit 25 Jahren erst hat er beschlossen, diesen Sport zu betreiben, da fehle es ihm – dem ehemaligen Eishockey-Spieler und früheren Mittelstreckenläufer – ganz einfach an Übung und Kaltschnäuzigkeit, um mit neunzig Sachen auf dem Fahrrad im strömenden Regen ins Tal zu rasen.
Dabei ist Michael Woods immer ein sehr guter Sportler gewesen. Er war ein hervorragender Eishockeyspieler, auf dem linken Flügel der berühmten Toronto Maple Leafs, doch mit gerademal 1,75 Meter Körpergröße etwas zu schmächtig für diesen rauhen Sport mit heftigen Körpereinsatz.
Also beschloss er, lieber Läufer zu werden. Mit 18 Jahren legte er die englische Meile (1609 Meter) in 3:57, 48 Minuten und die 3000 Meter in 7:58:04 Minuten zurück. Ein Talent!
So gehörte er zum kanadischen Team, das 2005 bei den panamerikanischen Meisterschaften der Junioren startete – und hoffte auf eine internationale Karriere als 1500-Meter-Spezialist.
Doch mit seinem schier unstillbaren Ehrgeiz übertrieb er es im Training; der linke Fuß brach unter dem selbstgewählten Stress zusammen – aus war es mit dem Läufertraum.
„Was sollte ich denn nun mit meinem Leben machen?“ fragte er sich im Jahre 2011, und versuchte sich als Cross-Spezialist auf dem Fahrrad. Das kleine kanadische Team Garneau-Quebecor wurde auf ihn aufmerksam, und stellte ihn ein. 2014 sogar die bekannte italienische Equipe Amore & Vita, die sogar schon mal vom Vatikan unterstützt worden ist, damals aber ausgerechnet mit einer ukrainischen Lizenz ins internationale Geschehen einrückte.
Woods war‘s egal, er wollte nur fahren. Jonathan Vaugthers, einst an Lance Armstrongs Seite als Profi unterwegs, dann derjenige, der von dem Texaner enttäuscht, als Erster ein Team mit Fahrern aufbaute, die sich – team-intern – jederzeit einer Doping-Untersuchung stellten, beobachtete den emsigen Michale Woods Jahr für Jahr und holte ihn im vorigen Frühling in sein renommiertes Team Cannondale-Drapac.
Es sollte sich lohnen: Woods qualifizierte sich für die kanadische Olympia-Mannschaft, belegte in diesem Frühjahr beim Grand Prix Miguel Indurain Platz zwei, beim weltberühmten belgischen Eintagsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich Rang neun und beendete den dreiwöchigen Giro d‘Italia immerhin als 38.
Gestern auf der sechsten Etappe der Tour de Suisse sah er oben auf dem höchsten Pass wie der sichere Sieger aus, aber hinunter ging es für ihn dann nur noch im Schritttempo. Da fuhr in jeder glitschigen Kurve die Angst mit. Sein Eindruck: „Wenn ich darüber nachdenke, fühle ich mich noch immer wie ein Eindringling in einen fremden Sport.“
Und dann: „Laufen ist eben doch schöner, simpler, einfacher. Diese Reinheit vermisse ich beim Radsport.“
Klaus Blume
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