Olympiasieger Marcel Jacobs - 2020 Tokyo Olympic Games Tokyo, Japan July 29-August 8, 2021 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun
Italienische Leichtathletik-Erfolge: Azurblaue Festspiele – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Von diesen italienischen Momenten schaffen die Leichtathleten Italiens bei ihrer Europameisterschaft in Rom gerade besonders viele. Es sind kurze und lange, manche sind besonders intensiv. Nachdem am Samstagabend Olympiasieger Marcel Jacobs und Chituru Ali auf der blauen Bahn des Olympiastadions von 1960 in 10,02 und 10,05 Sekunden für einen italienischen Doppelerfolg im Sprint über 100 Meter gesorgt hatten, legten am Sonntagmorgen Yemaneberhan Crippa und Pietro Riva nach.
Die beiden Italiener waren als einzige auf der Halbmarathonstrecke vom Colosseum ins Olympiastadion von 1960 schneller als Amanal Petros vom SCC Berlin; für ihren Erfolg sorgten sie mit entschiedener Taktik. Zunächst machte Yohanes Chiappinelli das Rennen schnell, dann übernahm Crippa die Führung, Europameister über 10.000 Meter und bekannt für seine Spurtkraft.
Nur kurz vor dem Einlauf ins Stadion überließ er dem Regensburger Samuel Fitwi und Petros das Tempomachen, dann setzte er zu einem langen Endspurt an. Petros, der Platz zwei sicher zu haben schien, trat auf die Bahnbegrenzung, knickte um und strauchelte – und musste sich von Riva überspurten lassen. Crippa siegte in 1:01:03 Stunden, Petros war vier Sekunden nach ihm im Ziel.
Zwei Bronzemedaillen für Petros
Der stärkste deutsche Marathonläufer, der vor zwölf Jahren, mit sechzehn, aus Äthiopien nach Deutschland geflohen war, wurde für seine Leistung mit zwei Bronzemedaillen belohnt. Auch in der Mannschaftswertung wurde er Dritter, gemeinsam mit Fitwi (1:01:17 Stunden/Platz fünf) und Filimon Abraham (1:03:09/22) hinter Italien und Israel. Richard Ringer, vor zwei Jahren in München Europameister geworden, war erst nach 1:03:53 Stunden als 28. im Ziel.
Die mit großen Hoffnungen gestartete Melat Kejeta aus Kassel fiel wenige Kilometer vor dem Ziel aus der Spitzengruppe zurück und wurde Fünfte (1:09:42). Mit Domenika Mayer auf Platz elf (1:10:49) und Esther Pfeiffer (1:11:28) auf Platz 18 kam die deutsche Auswahl in der Mannschaftswertung auf Platz zwei, hinter den Britinnen, deren Beste, Calli Hauger-Thackery, 37 Sekunden hinter der siegreichen Norwegerin Karoline Grövdal (1:08:09) und der aus Kenia stammenden Rumänin Joan Melly (1:08:55) Dritte wurde.
Sieben azurblaue Goldmedaillen
Nach dem Halbmarathon am Sonntagmorgen standen für das Team der Azzurri 13 Medaillen zu Buche, davon sieben goldene. Mehr als 50.000 Zuschauer bejubelten am Samstagabend neben Jacobs Kugelstoßer Leonard Fabbri und Hürdensprinter Lorenzo Ndele Simonelli. „Nicht nur Jacobs“, jubelte die Gazzetta dello Sport: „Die magische Nacht der italienischen Leichtathletik“.
Fabbri, Zweiter der Weltmeisterschaft von Budapest, erreichte im fünften Versuch 22,45 Meter und übertraf damit nicht nur den rumänischen Titelverteidiger Mihaljevic, der auf 21,10 Meter kam, sondern vor allem sich selbst und seine Stöße von 21,93 und 22,12, mit denen er ebenfalls gesiegt hätte. In seiner Begeisterung griff sich Fabbri das Mikrofon des Stadionsprechers und sang – nicht einen italienischen Schlager, sondern die Rock-Hymne „Seven Nation Army“ von den White Stripes.
Möglicherweise feuerte Fabbri mit seinem Gesang Landsmann Simonelli an. Obwohl der Hürdensprint wegen eines Fehlstarts zwei Mal gestartet werden musste, lief dieser über 110 Meter und zehn Hürden hinweg in 13,05 Sekunden die schnellste Zeit Europas in diesem Jahr. Bereits im Halbfinale war er Rekord gelaufen. Am Morgen hatte der Geher Francesco Fortunato auf der Strecke über 20 Kilometer gesiegt und war damit in die Fußstapfen von Antonella Palmisano getreten. Diese hatte im ersten Wettbewerb der Europameisterschaft am Freitag gezeigt, was für Gastgeber die Italiener an den sechs Tagen der Europameisterschaft sein wollen. Gemeinsam mit ihrer Mannschaftskameradin Valentina Trapletti hatte sie von den ersten drei Medaillen zwei für Italien reklamiert: Gold und Silber im Gehen über 20 Kilometer.
Die strahlendste Goldmedaille der Italiener am Freitagabend war die von Olympiasieger und Europameister Jacobs. Die Spannung im letzten Wettbewerb des Abends steigerte sein Landsmann Ali mit einem Fehlstart, für den er verwarnt wurde. Dann lieferte der Mann, der seit seinem Olympiasieg von Tokio seine Form zu suchen scheint. Zurückgekehrt vom Training in den Vereinigten Staaten, wo er geboren ist und wo er einen neuen Trainer gefunden hat, kam Jacobs zwar lediglich auf eine Zeit zwei Hundertstelsekunden über zehn Sekunden, doch dies war sein italienischer Moment.
Mit im Finale lief erstmals seit Jahren ein Deutscher: Owen Ansah aus Hamburg. In 10,17 Sekunden wurde er Fünfter. Der Mannheimer Ganter war zwar qualifiziert für den Endlauf, verzichtete jedoch wegen einer Verletzung. Die Zeit sei einerlei, sagte Jacobs. Ihm sei es allein auf den Sieg angekommen „in meiner Stadt“.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntg, dem 9. Juni 2024