WAGNER -Glanz in ihren Augen - Ariston Verlag - Foto/Graphik - Ariston Verlag
Mutter von deutschen NBA-Stars: „Talent ist nur ein Aspekt“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Beate Wagner über den Weg ihrer Söhne Franz und Moritz in die NBA, die Rolle als „Athlete’s Mom“ – und wann Eltern auch mal Stopp sagen müssen.
Hallo, spreche ich mit Mutter Weasley?
Allerdings. Das ist eine alte Geschichte. Als Facebook aufkam bei uns, Moritz war etwa elf, habe ich ihm erlaubt, dort einen Account aufzumachen – aber nicht unter seinem richtigen Namen. Wir konnten das damals alles noch nicht richtig einschätzen. Er hat sich für den Namen Weasley entschieden, weil er den Charakter bei Harry Potter gut fand.
Beate Wagner, auch Ihr Sohn Franz ist ein Weasley. Wie Ron, wie die Zwillinge Fred und George. Mutter Molly Weasley hat sieben Kinder und muss einige böse Streiche aushalten.
Davon weiß ich nichts. Meine Jungs spielen mir keine bösen Streiche, und die Harry-Potter-Bücher habe nicht ich, sondern mein Mann vorgelesen.
Wann haben denn Sie erstmals die Magie des Basketballs und Ihrer Söhne entdeckt, über die Sie nun ein Buch geschrieben haben?
Die der Söhne natürlich in dem Moment, in dem sie da waren.
Und basketballerisch?
Da gibt es unterschiedliche Verläufe. Dass bei Moritz, dem Älteren, aus seiner Leidenschaft eine Karriere werden könnte, hat sich bei ihm erst abgezeichnet, als er JBBL, NBBL gespielt hat (Jugend-Basketball-Bundesliga, Nachwuchs-Basketball-Bundesliga, d. Red), mit vierzehn, fünfzehn. Er war immer besonders lang, er wusste mit dem Ball etwas anzufangen. Dass er nach Amerika wollte, war sein Traum, Dirk Nowitzki hing in seinem Zimmer. Aber es gab keine wirklichen Vorbilder, und auch bei Alba gab es niemanden, der sich das vorstellen konnte. Moritz war lang, aber er konnte, athletisch gesehen, mit den Frühentwicklern in der Pubertät erst mal noch nicht mithalten. Er musste andere Skills lernen, um sich durchzusetzen, und das war schließlich sein großer Vorteil.
Bei Ihrem zweiten Boy, Franz, haben Sie vermutlich viel früher bemerkt, dass er in der Spur seines viereinhalb Jahre älteren Bruders auf dem Weg in den Profi-Basketball war.
Bei ihm stach nicht nur das Talent frühzeitig ins Auge. Für ihn war auch der Weg geebnet, freigeschaufelt von Moritz. Mit neun wusste er, dass er Basketballer werden würde. Daran ließ er keinen Zweifel.
Sie erzählen in Ihrem Buch zwei phantastische Geschichten. Im Moment ihrer Wahl in die NBA werden die Jungs, wie jeder Profi dort, schlagartig zu Millionären. Die Bezahlung klingt irreal – eine Phantasiewelt. Und dann heißt der Klub, für den Ihre Söhne spielen, auch noch Magic.
Zauberreich, das ist schon so. Ich frage mich manchmal, wenn ich dort bin: Ist das real? Für das Geld, um das es dort geht, muss eine Journalistin wie ich lange tippen. Aber das Leben dort ist nicht nur Zauberwelt. Das ist knallhartes Business. Es ist eine Lebensentscheidung, seine Zeit, seinen Körper, seinen Geist der NBA zu geben. Da passiert nichts außer Fokus, außer viel Behandlung und Spiele, Spiele, Spiele. Das ist sehr, sehr harte Arbeit.
Vorher kommt die harte Arbeit hier in Deutschland, in Berlin. Sie kommen zu dem Befund: Wer in Deutschland sportlich talentierte Kinder hat, ist zunächst auf sich allein gestellt. Warum?
Wenn wir in Deutschland Spaß daran haben, unsere Kinder an einen Sport heranzuführen, tun wir das. Wenn wir damit nichts am Hut haben, dann nicht. Dann gehört schon sehr viel Glück dazu, dass ein Kind den Weg in eine Sporthalle oder auf einen Sportplatz findet. Die Eltern spielen eine große Rolle. Für meinen Mann und mich war Sport Teil der Entwicklung unserer Kinder. In vielen Familien spielt Sport gar keine Rolle. Für deren Kinder ist es damit schon mal grundsätzlich schwierig. Dazu kommt, dass bei uns hier in Prenzlauer Berg nicht alle Leute Sport toll finden. Wir haben das zu spüren bekommen. Was macht ihr mit euren Kindern? Dieser Leistungssport, muss der denn sein? Das haben nicht nur Freunde von der Waldorfschule gefragt. Das war nicht nur schön.
Talente stehen vor der Wahl, schreiben Sie, ob sie in der Schule isoliert sind und als nerdy gelten, ob sie und ihre Eltern unter Rechtfertigungsdruck geraten, oder ob sie aus dem gewachsenen sozialen Gefüge entfernt und auf eine Eliteschule Sport geschickt werden, wo sie glücklich und unter anderen Zauber-Aspiranten ausgebildet werden. Warum haben Sie sich für Ihre beiden Super-Talente gegen die Talentschmiede entschieden?
Für uns war klar, dass dies keine Zauberwelt ist und wir sie für unsere Kinder nicht wollen. Denn auf der Eliteschule des Sports geht es hauptsächlich und vor allem um Sport. Wir wussten, dass der Sport für unsere Kinder sehr wichtig bleiben würde, aber für uns war auch das andere sehr wichtig. Sie sollten Abitur machen und mal eine Uni von innen sehen. Dabei ging es uns nicht nur um Bildung, sondern auch um ein ganz normales Aufwachsen. Dass man mal einen Nachmittag herumschlenzt, dass man Hobbys hat, dass man mal ins Kino geht oder in eine Ausstellung. Dass man im Heranwachsen vielleicht auch mal auf Mädchen außerhalb der Sporthalle trifft. Das ist an einer Sportschule anders.
Das wussten Sie aus der Erfahrung Ihres Mannes?
Er war Jugend-Nationaltorwart im Handball, und er kannte die Sportschule aus dem Osten, wo er aufgewachsen ist. Wir wussten das aber auch von anderen. Wir wollten keine Entscheidung gegen die umfassende, ganzheitliche Ansprache treffen, die für Kinder in dem Alter extrem wichtig ist. Mal abgesehen von dem Druck, der auf einer solchen Schule herrscht.
Die Pointe dieser Entscheidung ist, dass Ihre Jungs, statt von einer Schulzeitstreckung zu profitieren, wie sie an einer Eliteschule üblich ist, vom Abi nach dreizehn, vierzehn Schuljahren, beide eine Klasse übersprungen und ihr Abi schon mit gerade 17 und noch 16 gemacht haben.
Der Vorteil war, dass beide ein Jahr bei den Profis von Alba mitspielen konnten. Das hat ihnen enorme Erfahrung gebracht. Hätten sie ihr Abi später gemacht, hätte es diese zeitliche Lücke vor dem Wechsel aufs College nicht gegeben.
Sie berichten, dass Ihre Kinder immer noch kritisieren, dass sie in ihrer Jugend Trainingslager und Turniere verpassten, weil Sie auf gemeinsames Skifahren und Urlaubsreisen in den Schulferien bestanden. Zitat Moritz: Du bist nicht der Jesus der Erziehung. Haben Sie die Karriere von Mo und Franz Wagner riskiert?
Ich nehme das auf meine Kappe. Das war mein Ding mit dem Urlaub. Für die Kinder war das mitunter ein Zwiespalt. Sie wollten auch mal Urlaub haben, aber sie wollten keine Extrawurst. Franz hat mir mitgegeben: Wenn du ein Buch schreibst, darf nicht dabei herauskommen, ich habe alles richtig gemacht, meine Kinder spielen in der NBA, weil ich mit ihnen früher nach Frankreich und Italien in Urlaub gefahren bin.
Würden Sie noch mal so entscheiden?
Vermutlich ja, aber hoffentlich mit weniger Sturheit und mehr Gefühl für die Bedürfnisse aller Beteiligten. Ich habe da was riskiert, und ich habe mich unbeliebt gemacht, nicht nur bei den Coaches, sondern auch bei anderen Eltern. Aber wir mussten auf unsere Kinder aufpassen. Wenn ein Dreizehnjähriger jeden Tag in die Halle rennt wie ein Verrückter, dann müssen Eltern auch mal sagen: Stopp. Jetzt machen wir Urlaub. Wir haben Glück gehabt, es hat trotzdem geklappt mit der NBA.
Sie benennen auch die Körpergröße als Thema. Ihr Mann ist 1,96 Meter groß, Ihre Jungs 2,11 und 2,08 Meter, Sie selbst schreiben, dass Sie mit Ihrer Größe von 1,86 Meter Frieden geschlossen hätten. Sie hatten Sorge, dass Ihre Söhne wie Sie selbst Opfer von Mobbing werden. Ist Sport die Rettung?
Wir brauchten keine Rettung, denn nur ich habe mich gesorgt. Und ich fand es befreiend, mit den Kindern bei Alba gelandet zu sein. Moritz ist ja sogar beim Fußball gemobbt worden. Da brüllt bei einem Spiel von Achtjährigen der Trainer der gegnerischen Mannschaft über den Platz, das könnten wir ihm nicht erzählen, dass der Junge 97er Jahrgang ist. Und geht tatsächlich in das Trainer-Büdchen, um sich den Spielerpass zeigen zu lassen. Das war krass.
Obwohl Sie es nicht wollten, liest sich Ihr Buch doch auch ein bisschen wie ein kleiner Erziehungsberater. Jedenfalls greifen Sie pädagogische Fragen auf: Wie fordern und nicht überfordern? Wie unterstützen und nicht übertreiben? Wie Nähe schaffen und Selbständigkeit ermöglichen? Das führt zur Kernfrage: Ist Talent eine Verpflichtung – wenn schon nicht für Athleten, dann für Coaches und Eltern?
Wir haben uns über das Talent unserer Kinder gefreut. Aber es würde sich komisch anfühlen, wenn ich sagte: Ja, Talent ist eine Verpflichtung. Uns ging es nicht darum, dass da etwas war, was wir fördern mussten. Uns ging es um das Kind als Ganzes. Wir haben es auf die Welt gebracht, und unser Auftrag ist, dass es glücklich ist. Talent ist dabei nur ein Aspekt.
Sie beschreiben, wie Ihre Jungs, jeder für sich, in der Jugend neun Monate lang verletzt waren und trotzdem jeden Tag in die Halle gegangen sind. Hätten die Trainer jeden anderen in ihren Mannschaften auch täglich trainiert, wenn er nicht laufen kann und stattdessen auf einem Stuhl sitzt? Haben sie nicht in die Riesentalente investiert?
Ganz bestimmt haben sie investiert. Ob sie andere genauso trainiert hätten, kann ich nicht beantworten. Es war klar, dass Franz Talent hat, und es war wichtig, dass er dranbleibt.
Sie bezeichnen sich als Athlete’s Mom mit allem, was dazu gehört – Peinlichkeiten eingeschlossen. Was mussten Sie im Buch streichen?
Ich habe nichts rausgenommen. Aber selbstverständlich habe ich nicht alles reingenommen. Das, was ich vielleicht in einem nächsten Buch beschreiben will. Und selbstverständlich gibt es in einer Familie mit Kindern zwischen 27 und 22 Jahren Geschichten, die niemand anderen etwas angehen. Aber nichts ist rausgeflogen, weil die Jungs gesagt hätten, dass sie das nicht lesen wollen. Die beiden haben mich vielmehr bei bestimmten Passagen aufgefordert, beschreib doch ein bisschen mehr, wie du dich gefühlt hast in der Situation.
Die Olympischen Spiele stehen bevor. Werden Sie dabei sein?
Auf jeden Fall. Früher haben wir Urlaub gemacht und die Turniere versäumt, heute kombinieren wir beides – und begleiten unsere Söhne und die Nationalmannschaft. Hoffentlich sehr weit im Turnier.
Das Buch von Beate Wagner „Moritz und Franz Wagner: Glanz in ihren Augen – Große Träume, ihr Weg in die NBA und zum Weltmeistertitel“ erscheint an diesem Mittwoch im Ariston Verlag, Hardcover, 256 Seiten, ISBN: 978-3-424-20290-8, 23,00 Euro.
Das Gespräch führte Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 22. Mai 2024