Daniel Wanjiru gewann etwas überraschend den London Marathon. ©Helmut Winter
Rückblick auf die internationale Straßenlaufszene im ersten Halbjahr 2017: Weltrekorde und „Breaking2“ – Teil 6
Am besten kam mit den Umständen Daniel Wanjiru (KEN) zurecht, der im Oktober schon den Amsterdam Marathon gewinnen konnte. Nachdem der Kenianer dem Feld enteilt war, machte sich Bekele auf ein sehenswertes Verfolgerduell, konnte Wanjiru aber nicht mehr einholen. Wanjiru siegte in 2:05:48, Bekele als Zweiter brauchte 2:05:57. Bedan Koroki (KEN) überzeugte als Dritter mit einem soliden Marathon-Debüt in 2:07:41. Am Ende liefen gerade einmal 6 Männer dieses Weltklassefeldes unter 2:10 Stunden. Das ist für globale Standards eher bescheiden.
Dafür sorgten aber die Frauen für Furore, allen voran eine der besten Straßenläuferinnen aller Zeiten, die Kenianerin Mary Keitany. In dem Bestreben, die Lauflegende Tirunesh Dibaba möglichst früh ans Limit zu bringen, legte Mary nach 3 km los, wie man es in der Marathon-Geschichte bisher noch nie zu sehen bekam.
Nach 5 km in 15:35 war Mary mit Kurs auf 2:11:30 unter dem Fabel-Weltrekord von Paul Radcliffe aus dem Jahr 2003, bei 7 km nach 21:39 lag Mary mit einer Projektion ins Ziel von 2:10:30 schon fast in den Regionen von Männern. Den Halbmarathon erreichte sich mit der einzigen Tempomacherin für die Frauenelite nach 1:06:53. Die Frage war nur, ob diese aberwitzige Taktik gutgehen konnte – vor einigen Jahren beim New York City Marathon brach sie bei einer ähnlichen Renngestaltung ein.
Die Analyse des Lauf von Mary Keitany in London im Vergleich zum (absoluten) Weltrekord von Paula Radcliffe aus dem Jahr 2003. Bis 35 km war Mary sogar schneller. (c) H. Winter
Das passierte auch diesmal, doch Mary konnte denLeistungsabfall in Grenzen halten und erst nach 35 km verlor sie die Fabelzeit von Paula Radcliffe von 2:15:25 aus dem Visier, die seinerzeit mit Unterstützung männlicher Pacemaker agierte. Mary lief schon kurz nach der Hälfte völlig auf sich allein gestellt und erreichte nach grandiosen 2:17:01 das Ziel, womit sie in einem „women´s only“-Rennen sogar Paula übertraf und Weltrekord lief.
Schon bald darauf kam die zwischendurch von Krämpfen geplagte Tirunesh Dibaba in 2:17:56 ins Ziel. Das Fazit: Die als fast unerreichbare Fabelzeit der Paula Radcliffe scheint momentan bei den Frauen wieder in Reichweite zu kommen. Vor allem die Novizin Dibaba deutete in London ein erhebliches Potential an.
Tsegaye Mekkonen (ETH) gewann den Hamburg Marathon. (c) Veranstalter
Am gleichen Tag tat sich international noch eine Menge mehr. Die frisch gebackene Halbmarathon-Weltrekordlerin Joyciline Jepkosgei (KEN) trat bereits drei Wochen nach ihrem Rekordlauf in Prag beim Gifu Seiryu Half Marathon unweit der japanischen Metropole Nagoya an und verbesserte dort in 1:07:44 den Kursrekord. Im Sprintfinish setze sich bei den Männern Alexander Mutiso (KEN) in 1:00:57 durch. Bei Wiener City Marathon siegte bei windigem Wetter die Kenianer Albert Korir und Nancy Kiprop nach spannenden Zweikämpfen in 2:08:40 und 2:24:20. Halbmarathon-Spezialist Mosinet Geremew (ETH) in 1:00:56 sowie Sumune Kebede (ETH) in 1:10:30 waren beim Yangzhou Jianzhen International Half Marathon vorne, und im Regen und Wind beim Haspa Hamburg Marathon lag Tsegaye Mekonnen (ETH) in 2:07:26 knapp vor dem Olympiasieger von 2012 Stephen Kiprotich (UGA). Die Portugiesin Jessica Augusto gewann überlegen in 2:25:30 bei den Frauen.
Der Istanbul Halbmarathon beeindruckte neben schnellen Zeiten auch durch eine perfekte Organisation. So wurden z.B. die Ergebnisse unmittelbar nach dem Einlauf der Athleten auf einer großen Video-Wand präsentiert. (c) H. Winter
Am 30. April verfehlte beim Vodafone Istanbul Marathon Ismail Juma (TAN) in 1:00:09 zwar knapp die Stunden-Barriere, dafür lief Ruth Chepngetich (KEN) in 1:06:19 angesichts der äußeren Bedingungen eine Weltklassezeit. Beides waren türkische „All-Comers“-Rekorde. Beim der 29. Ausgabe des Würzburger Residenzlaufs setzte Benard Kimeli (KEN) seinen Erfolg zu Ostern in Paderborn über 10 km fort und gewann gegen starken Wind überlegen in 28:14.
Der Kenianer Cosmas Mutuku Kyeva siegte in der Zeit von 2:12:52 bei der 16. Auflage des PZU Krakau Marathon und war damit nach 2011 und 2016 zum dritten Mal der Sieger. Beim Metro Group Marathon in Düsseldorf störte heftiger Wind die Akteure, am Ende war der erst 19-jährige Robert Chemonges (UGA) in 2:10:32 der Sieger.
Und in Monza begannen zu diesem Zeitpunkt schon die Vorbereitungen auf die finale Phase des „Breaking2“-Projekts. Mit einer glänzenden Marketing-Strategie hatte der Megakonzern NIKE die Augen der Läuferwelt – allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit – auf das Autodrome gezogen.
Sollte es gelingen, unter Nutzung aller nur erdenklichen Vorteile und Einsatz schier unbegrenzter Ressourcen eine Traumgrenze des Laufsports zu unterbieten? In einer realistischen Einschätzung schienen die Chancen denkbar gering.
Helmut Winter