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16
07
2017

Interview: Johannes Vetter: „Es lag was in der Luft“

By GRR 0

Vier 90-Meter-Würfe in einem Wettkampf. Und einer davon auf die deutsche Rekordweite von 94,44 Meter. Johannes Vetter (LG Offenburg) hat am Dienstag in Luzern (Schweiz) ein neues Level erreicht und weltweit für Furore gesorgt.

Nach einer kurzen Nacht, unzähligen Nachrichten und Anrufen hat sich der neue Deutsche Rekordler die Zeit genommen, auch uns Rede und Antwort zu stehen. Im Interview berichtet Johannes Vetter vom Werfen ohne Druck, Vertrauen in den Trainer und Freudentränen der ganzen Familie.

Johannes Vetter – wie war die erste Nacht als Deutscher Rekordler?

Johannes Vetter:

Kurz! Bis ich in Offenburg war, war es 2:00 Uhr morgens. Anschließend gab es noch ein kleines Bierchen. Und ich habe mich um die Nachrichten gekümmert und versucht, einen Großteil zu beantworten. Gegen 7:30 Uhr war ich schon wieder wach. Damit hatte ich aber gerechnet – ich war verblüfft, dass ich gestern überhaupt einschlafen konnte.

Nur zwei Tage zuvor hatten Sie in Erfurt bei der DM ganz oben auf dem Treppchen gestanden. Mit 89,35 Metern – Meisterschaftsrekord. Jetzt folgte diese Serie. Wie konnten Sie da noch mal zulegen?

Johannes Vetter:

Ich hätte nie gedacht, dass an dem Tag so viel geht! Meine Eltern haben in Erfurt zugeschaut und sind danach mit mir nach Offenburg gefahren. Vier Stunden Fahrt, anschließend war ich lange wach, ich musste erst mal damit klarkommen, dass ich Meisterschaftsrekord geworfen hatte. Daher war auch diese Nacht kurz. Dann habe ich Montag noch mal trainiert, mich am Dienstag vor dem Wettkampf zuhause ein bisschen bewegt, später die rund zweieinhalb Stunden Fahrt nach Luzern… Das war schon anstrengend. Aber manchmal ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man mit einem freien Kopf an die Sache ran geht. Einfach versucht, einen guten Wettkampf zu machen. Gestern wäre ich auch mit 86 oder 87 Metern zufrieden gewesen.

Jetzt sind Sie der zweite Athlet der Welt, der in einem Wettkampf mit dem aktuellen Speer vier oder mehr 90-Meter-Würfe abgefeuert hat. Und auch die 94,44 Meter konnte weltweit nur Weltrekordler Jan Zelezny übertreffen. Was fällt Ihnen dazu ein?

Johannes Vetter:

Ich bin immer noch sprachlos. Ich glaube, ich brauche noch ein paar Tage, um das zu realisieren. Das ist echt Wahnsinn.

Dass die 90 Meter in Reichweite sind, dürfte Sie aber nach dieser starken Saison nicht mehr überrascht haben?

Johannes Vetter:

Ich wusste, dass es irgendwann klappen wird. Aber ich habe vorher noch zu meinem Trainer Boris Obergföll gesagt: „Boris, wenn ich jetzt bis zum Ende des Jahres immer 86 oder 87 Meter werfe, wäre das eine coole Nummer." Damit hätten wir das erreicht, was wir uns für die Saison vorgenommen hatten: Würfe in diesen Bereichen zu stabilisieren und regelmäßig vorne mitzumischen. Was die 90 Meter betrifft, habe ich mir wirklich keinen Druck gemacht. Ich glaube, das war die richtige Herangehensweise. Diese Gedanken im Kopf gar nicht an sich heranzulassen.

In Luzern haben Sie sich auch von der nassen Bahn nicht ausbremsen lassen. Wie waren die Bedingungen?

Johannes Vetter:

Als der Wettkampf begann, hat der Regen aufgehört. Wir hatten eigentlich gute Bedingungen, so gut wie keinen Wind. Und ich habe vorne auf der harten Bahn auch einen guten Stand gefunden.

Nun haben Sie dem Olympiasieger den deutschen Rekord weggeschnappt, vor seinen Augen. Was hat Thomas Röhler nach dem Wettbewerb zu Ihnen gesagt?

Johannes Vetter:

Thomas ist ein fairer Sportsmann, durch und durch respektvoll. Er hat mich beglückwünscht. Ich glaube, er war gestern ein bisschen sprachlos, auch weil die Serie so unfassbar war. Aber ihm war bestimmt bewusst, dass ich in diesem Jahr 90 Meter werfen kann. Es ist einfach eine geile Sache, dass wir beide jetzt das Speerwerfen dominieren. Keiner wird gerne Zweiter. Aber Thomas kann das sportlich gut einschätzen. In den nächsten Wochen wird er alles daran setzen, noch etwas draufzupacken – da wäre ich genauso wie er. Die Konstellation zwischen uns und auch all den anderen starken deutschen Speerwerfern macht das alles zu einer ganz besonderen Sache.

Ganz nebenbei haben Sie nun auch Ihren Trainer, Speerwurf-Bundestrainer Boris Obergföll, übertrumpft, dessen Bestleistung bei 90,44 Metern steht. Er hat in Luzern hinter der Bande zugeschaut. Wie war seine Reaktion?

Johannes Vetter:

Mit dem 900-Gramm-Speer [Anm. d. Red: Im Wettkampf wird mit 800 g geworfen] habe ich zuletzt im Training eine Bestleistung aufgestellt, da haben wir beide schon ein bisschen Angst bekommen (lacht). Er hat sich nach dem ersten 90er schon sehr gefreut. Nach dem 91er dachten wir: „Was geht denn ab?!" Dann folgte der 93er. Da kamen ihm schon die Tränen. Meine Eltern standen dabei, die haben natürlich auch geheult. Ich war auch überwältigt. Aber irgendwie habe ich es geschafft, mich dann noch mal zusammenzureißen und mir zu sagen: „Jetzt noch mal alles reinballern, was geht."

Was ist das für ein Gefühl, wenn der Speer bei einem 94-Meter-Wurf die Hand verlässt?

Johannes Vetter:

Ich kann mich an die Würfe so gut wie gar nicht erinnern, hätte nach dem Wettkampf nichts über sie sagen können. Ich war, wie man so schön sagt, im „Flow". Und habe versucht, mich nicht zu überschwänglich zu freuen und die Spannung zu halten. Eigentlich dachte ich schon nach dem ersten 90er: „Jetzt kannst du aufhören." Ich war ja auch körperlich nicht so richtig in Bestform. Nach dem 93er habe ich wieder sofort gesagt: „Ich höre jetzt auf." Aber dann dachte ich mir: „Einen feuerst du jetzt noch raus!" Ich hatte schon nach dem Einwerfen das Gefühl: Irgendetwas Besonderes kannst du heute erreichen, irgendwas liegt in der Luft.

Konnten Sie den Wettbewerb auf so hohem Niveau ohne Beschwerden oder Blessuren überstehen?

Johannes Vetter:

Klar bin ich muskulär ein bisschen kaputt. Aber sonst ist alles im Lot. Wenn man so weit wirft, sind die Würfe meistens technisch relativ sauber. Und dann ist es selten, dass man sich verletzt. Das passiert nur bei unsauberen Würfen. Ich brauche jetzt einfach mal einen Tag Erholung, nur lockeres Training, um mal den Kopf auszuschalten. Und dann geht der Blick bald in Richtung London.

Wie werden nach diesem Wettkampf die weiteren Wochen bis zur WM aussehen – muss da die Planung noch mal umgeschmissen werden?

Johannes Vetter:

Ich habe sehr viel Vertrauen in Boris [Obergföll]. Er hat nach dem Wettkampf gleich mit Werner Daniels gesprochen. Der ist mein Manager und der ehemalige Trainer von Christina Obergföll [Speerwurf-Weltmeisterin  2013], er kennt sich in der Trainingssteuerung in Richtung Saison-Höhepunkt auch sehr gut aus. Theoretisch wäre so ein Wettkampf wie heute bei der WM natürlich bombastisch gewesen. Jetzt sind es noch viereinhalb Wochen. Ich starte noch in Monaco in der Diamond League. Und dann ist es einfach das höchste Gut, verletzungsfrei zu bleiben, mit dem Druck und mit den Erwartungen umzugehen. Vielleicht brauche ich zwei Wochen, um wieder in Schuss zu kommen, aber ich denke, ich werde jetzt nicht in ein Loch fallen. Ich bin nicht der Typ, der sich auf Erfolgen ausruht. Die spornen mich eher noch mehr an.

Silke Bernhart – DLV

author: GRR

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