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05
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2017

2017 World Championships-London London, UK August 4-13, 2017 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Leichtathletik-WM London 2017 – Der unvergleichliche Mister Bolt – Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Das dürften Journalisten, auch Sportreporter, selten erleben. „Ihr habt mir keine Liebe gegeben. Ihr habt nicht richtig gejubelt“, warf Usain Bolt einem Teil der Besucher seiner Pressekonferenz vor, die, wie üblich, zu einer großen Show wurde.
 
„Erst mal dürfen die auf der anderen Seite Fragen stellen.“

Der Superstar der Leichtathletik hat mit seinem Abschied vom Sport begonnen.

Voraussichtlich noch ein 100-Meter-Finale an diesem Samstag, noch ein finaler Staffellauf mit dem jamaikanischen Team sieben Tage drauf, dann wird der buchstäblich größte Sprinter der Welt eine 1,95 Meter große Figur der Geschichte sein – mit nicht einmal einunddreißig Jahren. Spikes will er künftig nicht mehr im Haus haben. „Sprint macht man nicht einfach so. Man sagt nicht, lass uns auf die Bahn gehen und um die Wette rennen“, sagt er. „Ich werde wohl eher Fußball spielen.“

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147 Siege gehen auf Bolts Konto, die größten sind je drei bei den Olympischen Spielen von Peking, London und Rio de Janeiro; einer davon wurde ihm wegen Dopings eines jamaikanischen Staffelkameraden aberkannt. Bei vier Weltmeisterschaften, denen von Berlin 2009, Daegu 2011, Moskau 2013 und Peking 2015, kommt er wegen eines einzigen Fehlstarts auf elf statt zwölf Titel; läuft es in London wie erwartet, wird er sich mit den Titeln Nummer dreizehn und vierzehn zur Ruhe setzen.

Doch seine unglaublichen Sprints begründen nur einen Teil seines Ruhms. Bolts Show vor und nach den Rennen, die Pose des Blitzeschleuderers, sein Witz, seine jamaikanische Leichtigkeit im Umgang mit der Öffentlichkeit und seine Präsenz in der Werbung der englischsprachigen Welt machen den anderen Teil der Marke Bolt aus.

Auf siebzig bis achtzig Millionen Dollar wird das Vermögen geschätzt, das Bolt seit seinem raketengleichen Aufstieg vor neun Jahren gemacht hat.

Immer wieder habe er bei seinem Trainer Glen Mills damals gebettelt, die 100 Meter laufen zu dürfen, erzählte er nun. Immer sei er zuerst 200-Meter-Läufer gewesen. Im Winter 2007 begann der knorrige Coach Bolts Training für den kurzen Sprint. Sechs Monate und fünf Rennen später lief dieser seinen ersten Weltrekord: 9,72 Sekunden am 31. Mai 2008 in New York. „That was shocking“, erinnerte sich Bolt. Das hatte nicht einmal er erwartet.

Bei seinem ersten Olympiasieg in Peking lief er, immer noch ein Neuling auf der Strecke, mit offenem Schuh drei Hundertstelsekunden schneller. Er sehe niemanden, der seine Weltrekorde unterbieten könnte, sagte Bolt nun nonchalant. Auf der blauen Bahn von Berlin 2009 steigerte er sie auf 9,58 und 19,19 Sekunden. Wenn es nach ihm gehe, werde er vor seinen noch ungeborenen Kindern damit angeben, wenn sie 14,15 Jahre alt seien, dass er immer noch der schnellste Mann der Welt ist.

Vor den Olympischen Spielen von Rio im vergangenen Jahr bereitete Sponsor Puma Bolt eine Bühne mit Musik und Samba-Tänzerinnen. Ein norwegischer Journalist rappte mit starkem Akzent eine Hymne auf ihn. Diesmal kamen Bolts Eltern als angebliche Überraschungsgäste auf die Bühne, nachdem dieser, wie sich das kurz vor dem Ruhestand gebührt, voraus- und zurückgeblickt hatte.

Der sei doch ein Rohdiamant gewesen, den Coach Mills zum Glänzen gebracht habe, vermutete der servile Moderator Colin Jackson. „Ich war ziemlich schlecht“, erwiderte Bolt. Als Fünfzehnjähriger von Puma entdeckt, als Sechzehnjähriger vom Premierminister aus dem Hinterland nach Kingston versetzt und mit einem Privatlehrer ausgestattet, habe er wenig trainiert, sagte er, „ehrlich gesagt: gar nicht. Ich habe mich auf mein Talent verlassen.“

Den Profi-Vertrag, mit dem Puma den Sechzehnjährigen ausstattete, habe er unterschrieben, um seine Eltern unterstützen zu können. „An anderes habe ich nicht gedacht.“ Der Traum vom Olympiasieg über 200 Meter, dem Bolt seit dem Gewinn der Junioren-Weltmeisterschaft 2002 in Kingston nachhing, wurde erst konkret, als Bolt und Mills sich fanden. Da war der Sprinter bei den Olympischen Spielen von Athen im Vorlauf gescheitert, und da war er bei der WM in Osaka immerhin Zweiter geworden hinter Tyson Gay.

Nun ist er eine solche Berühmtheit, dass ihm Jackson, der einstige Weltmeister und Weltrekordhalter im Hürdensprint, solche Fragen stellte: „Wenn andere Leute sagen, sie seien eine Legende, klingt das arrogant. Warum ist das bei dir nicht so?“ Und er schmiss sich ran mit der Prognose: „Wenn du am Samstag dein letztes Rennen gelaufen sein wirst, wird es Tränen geben im Stadion. Bestimmt auch von mir.“

Bolt bekam Gelegenheit, zu sagen, dass, wer betrüge, erwischt und bestraft werde. „Wenn Athleten weiter dopen, stirbt unser Sport.“ Mit der Russland- und der Korruptions-Krise habe die Leichtathletik vor zwei Jahren den Tiefpunkt erreicht. Logische Folge: „Es geht aufwärts.“

Bei der Frage nach seinem Nachfolger ist Schluss mit Bolts Gelassenheit. Der Kanadier Andre de Grasse, Dritter im Sprint und Zweiter über 200 Meter von Rio, hat offenbar die Gnade des Meisters verloren, seit er nicht nur, mit zu viel Rückenwind, 9,69 Sekunden gelaufen ist, sondern seit er angekündigt hat, dass es Zeit sei, den Schatten von Bolt zu verlassen, und seit er behauptete, dieser habe ein Duell in Monaco und einen Start des Kanadiers verhindert. „Der Letzte, über den ich gesagt habe, dass er ein Großer werden könnte“, sagte Bolt schmallippig, „hat sich respektlos verhalten.“

Andre De Grasse kenne er praktisch nicht. Der Kanadier hat seine Meldung für London am Donnerstag zurückgezogen. Aber nicht wegen Bolt. Sondern wegen einer Oberschenkelverletzung.

Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 4. August 2017

 Michael Reinsch  

 

author: GRR

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