Sergej Schubenkow ©Victah Sailer
Neutrale Athleten in London – Reden ist Gold – Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Denn Schubenkow ist, wie 18 weitere Leichtathleten aus Russland, nicht in einer russischen Auswahl am Start, sondern als Einzelstarter in einem Team mit dem Namen „Authorized Neutral Athletes“, kurz Ana.
Neben Schubenkow gehören Hochspringerin Maria Lasitskene dazu, bekannt unter ihrem Namen Kutschina, und Hammerwerfer Sergej Litwinow.
Wegen großangelegten systematischen Dopings ist der russische Verband seit November 2015 vom internationalen Wettbewerb ausgeschlossen. Die Weitspringerin Darija Klischina wurde vom russischen Publikum noch als Verräterin beschimpft, als sie im vergangenen Jahr die Chance ergriff, an den Olympischen Spielen von Rio teilzunehmen – als einzige russische Leichtathletin mit neutralem Status. Sie hatte jahrelang in Florida gelebt und war nicht Teil des Betrugssystems gewesen.
Inzwischen haben Dutzende russische Athleten sich einem vom Weltverband (IAAF) als vertrauenswürdig erachteten Kontrollsystem unterworfen und dürfen als Einzelstarter mitmachen im internationalen Sport. Um sicherzustellen, dass der russische Verband nicht durch die Hintertür präsent ist, sind den neutralen Athleten Flaggen, Wappen und Nationalfarben verboten. Die Athleten und ihre Betreuer dürften, wenn ihnen danach wäre, nicht einmal im Chor ihre Hymne singen. Mehr rfahren
Nun vereinnahmt Sportminister Pavel Kolobkow die Athleten und reklamiert den Erfolg Schubenkows für Russland. Als der Athlet am Flughafen Moskau-Scheremetjewo umstieg, bereitete er ihm einen großen Empfang und lobte, dass nach einer so langen Suspendierung sich diese Silbermedaille anfühle wie Gold. Das klingt, voller Absicht, als sei der Ausschluss vorüber.
In London verweigerten Schubenkow und andere russische Athleten ein offenes Wort dazu, wie sie ihren Status empfinden. Sie hätten einen Kontrakt unterschreiben müssen, der ihnen Kritik an der IAAF bei Strafe des Ausschlusses verbiete, war unter der Hand zu hören. Auf den sieben Seiten Regeln zum Status neutraler Athleten, die am 5. Juli veröffentlicht wurden, steht kein Wort davon.
Was angeblich die Gesinnung von Sportlern derart reglementiert, dass manche sich an Zensur zu Zeiten der Sowjetunion erinnert fühlten, liest sich so: Während der WM sollen neutrale Athleten und ihre Betreuer keinerlei Bekundungen abgeben im Namen und im Interesse anderer außer ihnen selbst als Individuen, heißt es da ein wenig umständlich.
Will sagen: Sie dürfen, so lange sie für sich sprechen, dies überall und über alles tun. Man mag das ein bisschen komisch finden. Aber dies ist das Gegenteil von Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 11. August 2017
Autor: Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin.