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10
2023

Kelvin Kiptum siegt in Chicago mit Weltrekord - Foto: Sean Hartnett

Marathonläufer Kelvin Kiptum – Mit Ansage zum Weltrekord – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Vor wenigen Wochen kündigt Kelvin Kiptum an, er werde den Marathon-Weltrekord brechen. In Chicago lässt er seinen Worten Taten folgen. Doch der Kenianer erstaunt nicht nur mit seinem Tempo.

Die Schallgrenze von zwei Stunden im Marathon scheint nicht mehr weit. Auf lediglich 35 Sekunden hat sich der Kenianer Kelvin Kiptum den 120 Minuten genähert, als er am Sonntag den Chicago-Marathon gewann und den Weltrekord des zweimaligen Olympiasiegers Eliud Kipchoge um 34 Sekunden unterbot.

Seine phantastische Zeit von 2:00:35 Stunden folgt nur zwei Wochen auf den ebenfalls schier unglaublichen Weltrekord von 2:11:53 Stunden, den die Äthiopierin Tigist Assefa Ende September beim Berlin-Marathon lief.

In Chicago siegte nun im Rennen der Frauen, lediglich sechs Wochen nachdem sie bei der Weltmeisterschaft von Budapest auf drei Distanzen startete, die Niederländerin Sifan Hassan in 2:13:44 Stunden. Die Doppel-Olympiasiegerin über 5000 und 10.000 Meter von Tokio 2021 und Erste des London-Marathons 2023 gewann vor der zweimaligen Siegerin von Chicago, der Kenianerin Ruth Chepngetich (2:15:37). Sie ist die zweite Frau, die auf der 42,195 Kilometer langen Distanz 2:14 Stunden unterbietet.

„Mein Körper ist nicht in bester Form“

Er habe gewusst, dass er den Weltrekord brechen werde, als er die ersten fünf Kilometer in 14:26 Minuten gelaufen war, sagte Kiptum nach dem Rennen. Schon nach zehn Kilometern war er allein mit Daniel Mateiko, seinem Tempomacher von London, der in Chicago sein Marathon-Debüt gab, und seinem aktuellen Tempomacher Ronald Kirui. Kirui stieg vor Kilometer 30 aus, Mateiko hielt bis Kilometer 35 durch. Er konnte nicht mithalten, als Kiptum beschleunigte und Kilometer 30 bis Kilometer 40 in 27:52 Minuten lief.

Keine deutsche Meisterschaft über 10.000 Meter ist jemals in einer solchen Zeit entschieden worden. Der Kenianer erstaunt nicht nur mit seinem Tempo. Er fühle keinen Schmerz beim Laufen, beim Marathon, sagt er. Und: Er habe keinen Trainer. Er bestimme selbst, wie schnell und wie weit er laufe. Da kommen, wie er erzählt, im Finale der Vorbereitung auf einen Marathon, 300 Kilometer pro Woche zusammen. Im Juni begann er in Chepkorio bei Iten im kenianischen Hochland des Rift Valley seine Vorbereitung auf seinen Herbstmarathon.

Auf London habe er sich gut vorbereiten können, weil es während der Vorbereitung weniger geregnet habe als vor Chicago und die Wege deshalb nicht so matschig waren wie zuletzt, erzählte Kiptum vor dem Rennen. Um Zeit zu gewinnen, habe er sich gegen Berlin und stattdessen für den zwei Wochen später ausgetragenen Chicago-Marathon entschieden. Noch im September prognostizierte er: „Ich werden den Weltrekord brechen, aber kann sein, dass dies nicht in Chicago passiert, denn ich habe spät mit dem Training begonnen, und mein Körper ist nicht in bester Form.“

Die Lauf-Website letsrun.com kommentiert: „Wie soll man all dies erklären? Schuh-Technologie. Das Zusammentreffen von Jahrhundert-Talenten? Leistungssteigernde Medikamente? Im Moment gibt es keine einfachen Antworten. Wir stecken mitten in einer Marathon-Revolution, Baby, und es dürfte ein paar Jahre brauchen, bis sich der Staub legt.“

Vor einem Jahr war Kiptum noch ein Läufer ohne Erfahrung im Marathon. Sein Debüt gab er im Dezember 2022 in Valencia, zwei Tage nachdem er 23 Jahre alt geworden war, in 2:01:53 Stunden – so schnell wie niemand vor ihm. Den zweiten Marathon seines Lebens lief er im April in London und siegte in 2:01:25 Stunden, 16 Sekunden über Kipchoges Weltrekord von Berlin 2022.

Nun ist er die Nummer eins auf der längsten Olympischen Strecke. Die erste Hälfte des Chicago-Marathons lief er in 60:48 Minuten, die zweite in 59:47. Kipchoge, 15 Jahre älter als Kiptum, hat 2019 in Wien in einem nicht regelkonformen und nicht als Weltrekord anerkannten Lauf die Marathonstrecke in 1:59:14 Stunden bewältigt.

Seitdem behauptet er: „Nichts ist unmöglich.“

Zweiter wurde mit knapp dreieinhalb Minuten Rückstand Kiptums kenianischer Landsmann Benson Kipruto in 2:04:02 Stunden vor dem aus Sudan stammenden Belgier Bashir Abdi, Dritter der Olympischen Spiele von Tokio 2021 und der Weltmeisterschaft von Budapest 2023, in 2:04:32.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 9.10.2023

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR