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Farah verlässt Salazar: Glanz und Zwielicht – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Für die britische Presse scheint der verlorene Sohn heimzukehren – ins Herz des reinen Sports oder zumindest in ihres.
„Farah entsorgt umstrittenen Trainer“, heißt es in der „Times“, und ähnlich erleichtert klingen all die anderen Zeitungen, die berichten, Farah trenne sich von Alberto Salazar.
Farah hat Salazar, dem Kopf des „Oregon Project“, das der Sportartikelherstellers Nike an seinem Unternehmenssitz auf die Beine gestellt hat, unglaubliche Erfolge zu verdanken: die Doppel-Olympiasiege über 10.000 und 5000 Meter von London 2012 und von Rio 2016. Die Doppel-Weltmeisterschaften von Moskau 2013 und Peking 2015 sowie mehr als ein halbes Dutzend weiterer Titel bei Welt- und Europameisterschaften, darunter die Plätze eins und zwei jeweils bei den Weltmeisterschaften von Daegu 2011 und London 2017.
Farah, in Somalia geboren und aufgewachsen im Westen Londons, hat Salazar, auf Kuba geboren und groß geworden in den Vereinigten Staaten, nicht nur den Glanz der Titel, sondern auch das Zwielicht zu verdanken, in dem seine Leistungen stehen. In einem internen, fast 300 Seiten langen Bericht der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada), der Anfang des Jahres durchgestochen wurde, heißt es, dass Salazars Trainingsgruppe „höchstwahrscheinlich“ Anti-Doping-Regeln verletzte. Dies bezieht sich in erster Linie auf L-Carnitin; das Mittel ist nicht verboten, doch die bei Infusionen verabreichte Menge ist beschränkt.
Angestoßen wurden die Ermittlungen von Steven Magness, einem ehemalige Mitarbeiter Salazars, der 2015 berichtete, dass der Trainer Testosteron besitze, das im Sport verbotene männliche Sexualhormon, und dass er seine Söhne mit einer Testosteron-Substanz eingerieben habe, vermutlich um festzustellen, welche Menge einen positiven Doping-Test auslöse.
Einige von Salazars Läufern, unter ihnen Galen Rupp, Olympia-Zweiter über 10.000 Meter von London 2012 hinter Farah und Sieger des Chicago-Marathons von Anfang Oktober, unterziehen sich mit therapeutischer Begründung einer Behandlung mit Thyroxin, dem Schilddrüsen-Hormon. Es ist im Sport nicht verboten. Die Läuferin Kara Goucher berichtete, Salazar habe sie zur Anwendung von Thyroxin gedrängt, damit sie nach der Geburt ihres Kindes abnehme.
Salazar bestreitet vehement, Regeln des Sports zu verletzen. Zu seiner Zeit als Marathonläufer war er berühmt für brillante Zeiten wie für selbstzerstörerischen Ehrgeiz.
Farah hat nicht nur die Nähe zu Salazar zu vertreten. Vor den Sommerspielen von London soll er laut Zeitungsberichten zwei Dopingtests verpasst haben. Auf Fotos ist er mit dem somalischen Trainer Jama Aden zu sehen, der im vergangenen Jahr bei einer Anti-Doping-Razzia in Spanien verhaftet wurde.
„Ich verlasse das Nike Oregon Project und Alberto Salazar nicht wegen der Dopingvorwürfe“, sagte Farah nun der britischen Boulevardzeitung „The Sun“. „Wenn Alberto die Grenze überschritten hätte, wäre ich längst zur Tür raus gewesen. Aber Usada legt ihm überhaupt nichts zur Last. Wenn ich je irgendeinen Grund gehabt hätte, an Alberto zu zweifeln, hätte ich nicht all die Zeit zu ihm gestanden.“
Farah hat sich im Alter von 34 Jahren vom Rennbetrieb auf der Bahn verabschiedet. Nun will er den britischen Rekord im Marathonlauf unterbieten, 2:07:13 Stunden.
Er verfügt über einen lukrativen Vertrag mit dem London-Marathon. Als Trainer hat er Gary Lough verpflichtet, Ehemann der Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe.
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 2. November 2017