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27
05
2023

Bigband am großherzoglichen Palast - Foto: Dr. Jens Helbig

Großartige Party – Luxembourg versteht zu feiern! Impressionen vom 16. Night-Marathon Luxembourg am 20./21. Mai 2023 – von Dr. Erdmute Nieke

By GRR 0

Schon mal in Luxembourg gewesen? Die Meisten antworten mit: Nein. Und wer schon da war, mit dem Satz: „Da einen Marathon? Der geht dann wohl nur hoch und runter bei diesen Bergen!“

Der Night-Marathon startet immer (bereits zum 16. Mal) am Samstag nach Himmelfahrt um 19 Uhr. Ein gutes Reiseziel für das lange Brückentagswochenende! Die Luxembourger:innen machen daraus ein großartiges Straßenfest mit allerbester Partystimmung. Dadurch werden die vielen Höhenmeter der Strecke fast zum Vergnügen!

Unsere Anreise zu Himmelfahrt ist tiefen-entspannt, beide Anschlusszüge in Frankfurt und Koblenz erreichen wir pünktlich, ebenso am Sonntag Abend zurück. Die Deutsche Bahn kann auch zuverlässig!

Auf dem Weg zum Hotel in der Altstadt überqueren wir SIE zum ersten Mal: Eine Schlucht inmitten der Stadt. Die Petruss hat kurz vor ihrer Vereinigung mit der Alzette eine tiefe und steile Schlucht in den Sandstein geschnitten. Um diese Schlucht herum ist Luxembourg entstanden. Graf Siegfried hat hier 963 seine Lützelburg errichtet.

An der Hotelrezeption liegt ein Werbeblatt für ein Friday Running aus: Immer freitags um 8 Uhr für 30 Minuten. Start ist am Schwesternhotel auf der anderen Seite der Schlucht. Artur freut sich über mein Kommen. Das Angebot gibt es erst seit einer Woche und ich sei die erste Teilnehmerin. Artur kommt ursprünglich aus Polen lebt seit 15 Jahren in Luxembourg und ist einer der Hotelmanager und läuft gern. Zwei weitere Luxembourger, die aus Australien und nochmal aus Polen kommen, gesellen sich zu uns. Der perfekte Morgenlauf, mit drei ortskundigen Läufern bekomme ich alle Sehenswürdigkeiten erklärt und so manche Geschichte über Großherzog, Premierminister und Land und Leute erzählt. Über die Hälfte aller gut 600.000 Luxembourger:innen sind zugewandert. Eine Einbürgerung geht schnell und unkompliziert, so erzählen es meine drei Mitläufer. Und klar, die Laufstrecke geht durch die Schlucht. Damit ich weiß, was zum Marathon auf mich zukommt. Artur wird beim Marathon Eis für einen guten Zweck verkaufen. Der Weg aus der Schlucht in die Altstadt ist so steil, dass ich ziemlich schnaufe und nichts mehr mitrede. Am Ende habe ich 7 Kilometer auf der Laufuhr und einen Anstieg von 151 Höhenmetern.

Freitag Vormittag hole ich die Startnummer auf der Messe. Eine hypermoderne und kostenlose Straßenbahn bringt uns zur Luxexpo, ein Messegelände hinter dem Europaviertel auf dem Kirchberg. Alle Helfer:innen sprechen alle Sprachen. Lëtzebuergesch oder luxemburgisch ist die Amtssprache, dazu deutsch, französisch und englisch. In der Messehalle ist neben der Startnummernausgabe bereits der orange Zielbogen aufgebaut.

Messehalle mit Kleiderbeuteln – Foto: Dr. Erdmute Nieke

Dann haben wir fast zwei Tage Zeit die Marathon-Stadt zu erkunden. Samstag Vormittag, wir sitzen gerade im Hotelrestaurant beim Frühstück, kommen zwei Polizeimotorräder mit Blaulicht und ein Radfahrer über den Fußgängerboulevard um die Straßenecke gefahren. Unser Lieblingshotelmitarbeiter Christoph, der natürlich schon weiß, warum wir da sind, meint: „Das ist für den Marathon!“ Und was finden wir? Eine dicke grüne Linie auf den Weg gesprüht! Die Vorfreude steigt!

Überall, wo wir durch die Stadt spazieren, sehen wir Hinweisschilder auf die Laufstrecke und viele Absperrgitter stehen bereit. Der Blick von den Brücken in die Schlucht: Ganz unten im Tal – die grüne Linie!!!

Am Nachmittag serviert mir Christoph noch einen extra großen warmen Apfelstrudel mit Vanilleeis und guter Sahne mit der Versicherung, dass ich damit den Marathon finishen werde! Nach einer kleinen Siesta mache ich mich fertig zum Start: Chip, Stirnlampe, Startnummer, Wechselkleidung und wieder zur Kostenlos-Straßenbahn. Die Läufer:innen sind an den orangen Kleiderbeuteln zu erkennen.

Das Messegelände ist es jetzt schon gut gefüllt mit Läufer:innen und ihren Fans. Marathonis tragen orange Startnummern, Halbmarathonis weiße und Teamstaffeln mit weiß-orange. Die Team-Staffeln und die Halbmarathonis haben auf dem Rücken eine entsprechende Kennzeichnung. Das ist später beim Laufen tröstlich, wenn ich überholt werde.

Dr. Karsten Holland (r.) aus Berlin als Sprecher am Start – Foto: Dr. Erdmute Nieke

Der Hauptsponsor, die ING-Bank, verteilt orange Strohhüte und Holztrillerpfeifen. Der Strohhut ist ganz nützlich, denn der Startbereich liegt in der Sonne und die meint es gut mit uns. Die Strohhüte finden sich an der gesamten Laufstrecke bei den vielen, vielen Fans wieder.

Am Start steht ein Doppeldeckerbus mit offenem Verdeck als Bühne. Und dann, ich traue meinen Augen und Ohren nicht, ein luxemburgischer Moderator begrüßt seinen Kollegen aus Berlin. Und wirklich: Dr. Karten Holland moderiert deutsch und englisch, der Luxemburger  lëtzebuergesch und französisch. Bin ich wirklich in Luxembourg oder vielleicht doch zu Hause beim BERKIN-MARATHON?

Dann gleich die nächste Überraschung: Ich hören, dass Karsten meinen Namen nennt: „Erdmute aus Berlin läuft heute Marathon und hat Geburtstag!“ – und ich bin nicht die einzige! Er ruft noch mindestens fünf weitere Namen auf.

Nach einem Dixi-Besuch, ganz ohne Schlange, gehe ich in meinen Startblock G, ganz hinten. Der Zielschluss ist mit sechs Stunden ausgeschrieben. Es gibt wirklich drei Pacemaker mit einem 05:59:00 Schild. Ich rede mit einem, er trägt das rote Tuch vom Berliner Mauerweglauf. Er ist Ultraläufer und erholt sich hier auf der Strecke.

Dann pünktlich um 19 Uhr wird auf lëtzebuergesch runter gezählt und der Startschuss fällt, gemeinsam mit einer großen Menge Papierkanonen. Buntes Papier regnet auf uns hernieder und zügig rücken wir auf und starten eine gute viertel Stunde später.

Und sofort in der ersten Kurve nach dem Start geht es schon mal bergauf. Dann folgt ein schnelles Stück, vier Kilometer geht es geradeaus auf einer breiten und gesperrten Straße durch die Europacity leicht bergab. Eine erste Trommlergruppe, dann laufen wir um die moderne Philharmonie und unter ihr durch. Ein langer Betontunnel mit Lichteffekten und Orgelmusik mit super Akustik! Gänsehaut! An der Wand des Tunnels auf einer Großbildleinwand wird sogar der Organist beim Spielen übertragen. Das gab es noch nie bei einem Marathon! Eigentlich schade, dass ich ja noch rennen will.

Ab Kilometer fünf beginnt die Party! Menschenmassen stehen hinter den Absperrungen und feuern uns frenetisch an! Nun geht die Strecke im wilden Zick-Zack durch ein Wohngebiet nördlich der Altstadt. Hier sind gefühlt alle Luxembourger:innen auf der Straße. Die Anwohner, alt und jung, klein und groß, haben Tische und Stühle auf die Gehwege gestellt und grillen, essen und trinken und feuern uns unermüdlich an. Noch ist die Laufstrecke gut gefüllt mit den Halbmarathonis. Es ist einfach eine herrliche Frühlingsabendstimmung. Drei große Chöre singen an der Strecke, mehrere Bigbands und immer wieder die Anfeuerungsrufe, in allen Sprachen! Ola, Bravo, Alleee, Power, Super, Weiter! Viele Zuschauer:innen entziffern die Namen auf den Startnummern. Ich höre so verschiedene Varianten zu Erdmute: Erdmüt, Erdmut, Erdmoud, Ördmüt. Köstlich! Kinder wollen abgeklatscht werden und halten Süßigkeiten bereit. Bei Smarties und Gummibärchen lange ich zu.

:Kilometerschild – Foto: Dr. Jens Helbig

Die Versorgungspunkte werden von vielen Pfadfinder:innen betreut. Die blau-gelb gedrehten Halstücher erinnern mich an den Venedig-Marathon. Auch hier waren die Pfadfinder an den Versorgungsständen aktiv.

Es gibt immer Wasser, Energiedrink, ab km 25 auch Cola und dazu Bananen, fertige Müslihäppchen (Lecker!) und Orangenstücken (Erfrischend!).

Hatte ich es schon mal erwähnt? Die Straßen haben meist Gefälle, aber was wir hoch rennen, rollen wir auch wieder hinunter.

Dann entdecke ich zum ersten Mal unter den Fans meine drei persönlichen Fans, meinen Mann, der mir diese Reise zum Geburtstag geschenkt hat und meine Freundin aus Nürnberg mit ihrem Mann. Die Strecke ist so super gelegt, dass ich meine Drei noch zweimal treffen werde.

Dann geht die Strecke durch die Altstadt und hier ist nun wirklich der Teufel los – oder ein Hexenkessel? An den Absperrungen stehen die Menschen in Dreier- und Viererreihe und schreien und jubeln, dazu Musik und viele Getränke vor unzähligen Kneipen, die die Straßenparty perfekt machen.

Bei Kilometer 16 auf dem Place Guilaume stehen Helfer:innen mit großen Schildern: Halbmarathonis nach links und Marathonis und Teamstaffeln nach rechts. Jede und Jede wird persönlich in die richtige Gasse gewiesen. Die 3919 Halbmarathonis machen sich auf den Rückweg. Und nun? Die Strecke wird exklusiv für uns Läufer:innen! Die Leute an der Strecke werden nicht weniger, aber der Beifall und der Jubel gilt uns wenigen Läufer:innen. Am Ende werden es nur 1046 Marathonis sein, die gelaufen sind. Doch die 656 Teamstaffeln sorgen dafür, dass es nie völlig einsam auf der Strecke wird.

Das Publikum macht unverdrossen weiter. Jetzt ein Wohngebiet westlich der Altstadt, wieder im Zick-Zack, bergauf und bergab. Inzwischen wird es dunkel und angenehm frisch. Wir laufen durch ein herrliches Abendrot und dann ist es an wenigen Stellen auch mal gut, die Stirnlampe dabei zu haben. Es geht durch einen Park. Die Kilometerschilder haben blinkende Baustellenlampen und sind im Dunkeln schon von weitem gut zu erkennen.

Das Publikum wird etwas weniger, ist aber immer noch unermüdlich beim Anfeuern. An einer Straßenecke stehen drei junge Frauen, ausgehfein zurecht gemacht. Eine läuft aus purer Freude auf ihren unglaublich hohen Highheels 100 Meter mit mir mit! Wahnsinn!

Und dann bei Kilometer 27 wieder ein ganz besonderes Highlight. Der Viadukt über die Schlucht hat einen Radweg unter der Autostraße zwischen den gemauerten Bögen, den wir laufen. Unter dem Viadukt ist eine riesige Techno-Party und die Musik schallt durch die Brückenbögen und gibt beim Laufen Tempo. Dazu brechen sich bunte Lichteffekte auf dem Mauerwerk. Am Ende des Viaduktes geht es nun hinein in die Schlucht und mitten durch die Techno-Party. Die Leute tanzen und feuern uns an. Lediglich der intensive Haschischgeruch ist etwas störend. Also flach atmen und schneller laufen. Es geht ja bergab.

Die Pont Rouge über die Schlucht zur Europacity nach Kirchberg – Foto: Dr. Erdmute Nieke 

Und dann bei km 29 haben wir den tiefsten Punkt der Marathonstrecke erreicht wir laufen direkt neben der Petruss entlang und nun geht es nur noch bergauf zurück zum Start. Im dunklen Teil des Tales steht eine Trommlergruppe mit bunt leuchtenden Trommeln. Wieder so ein Punkt, bei dem ich eigentlich gern bleiben würde.

Nach Kilometer 31 verlassen wir die Schlucht und laufen in Serpentinen nach oben. Wenig später werde ich von den drei 05:29:00-Pacemakern überholt, zwei von ihnen laufen barfuß! Sie fragen mich auch, ob es mir gut geht. Ja, ich habe den steilen Berg gerade bewältigt!

Das Wohngebiet südlich der Altstadt wird etwas ruhiger, dennoch gibt es an vielen Ecken Livemusik und Straßenparty. In einer ziemlich stillen Straße höre ich auf einmal Fado durch die Nacht und wirklich: Eine echte Fadoband mit einer Sängerin stehen an der Strecke. Sie singt nur für mich, denn die Strecke ich gerade ziemlich leer! Ich muss diese Frau einfach umarmen! Sie freut sich total über meine Freude! Mit diesen Klängen im Ohr werde ich weiter getragen. An weiteren Musikpunkten gibt es jetzt sogar große Gruppen, die in Tracht tanzen. Hier wird wirklich nichts ausgelassen!

Am Kilometer 35 laufen wir um das Wahrzeichen der Stadt. Als Berlinerin nenne ich sie einfach mal Goldelse! Es ist die Gëlle Frau, eine Mischung aus griechischer Göttin und Maria in Erinnerung an die Kriegsopfer steht eine goldene Figur auf einem 21 Meter hohen Obelisken. Dazu auf dem Platz: Party mit Getränke- und Essensständen und Musik.

Die  Gëlle Frau – Wahrzeichen von Luxemburg – Foto: Dr. Erdmute Nieke

Hinter der Goldelse stehen mein drei persönlichen Fans, meine Freundin Uta unterstützt mich und läuft bis Kilometer 40 mit mir durch die Altstadt und den Berg hinauf zur Europacity.

In der Altstadt geht es nun am Großherzoglichen Palast und an unserem Hotel vorbei. Zwischen Palast und Hotel spielt eine riesige Bigband – oder besser – heizt der Menge ein. Am nächsten Morgen erzählt uns Christoph, dass diese Band jedes Jahr extra aus Österreich zum Marathon kommt.

Auf der modernen Pont Rouge in Richtung Europacity kommen uns viele Partygänger entgegen, denn bei Kilometer 38 am ehemalige Fort Thüngen, ist ein weiterer Partyplatz auf einer großen Wiese. Es ist inzwischen nach Mitternacht. Die vielen jungen Menschen sind trotz der späten oder frühen Stunde nie schlecht drauf, sondern feuern uns wenigen Läufer:innen immer fröhlich an. Es ist fast so, als könnten sie nur feiern, weil wir Marathon laufen.

Mit der letzten Cola bei Kilometer 39 bekomme ich auf der breiten und immer noch autofreien Straße durch Kirchberg nochmal gut in Schwung. Schön sind die bunt beleuchteten Straßenbahnen anzusehen, die vorbei fahren.

Ab Kilometer 41 geht es wieder durch einen stillen Park und dann an einer Straßenecke steht auf einmal Karsten Holland an der Absperrung. Ich bedanke mich bei ihm für die Geburtstagsglückwünsche und er ruft durch das Mikro: „Noch 600 Meter!“ Rechts – links – und hinein in die Messehalle mitten in eine weitere Party: Wärme, Musik, Lichteffekte und die letzte Kurve auf blauem Teppich und da ist der orange Zielbogen!!!

Zieleinlauf mit Cheerleaderinnen – Foto: MaratonPhotos

Cheerleaderinnen begrüßen mich im Ziel. Eine Frau hängt mir die Medaille um – einmalig – beidseitig mit einer geprägten Stadtansicht von Luxembourg. Der Medaillen-Gravierer freut sich über Arbeit zu morgendlicher Stunde.

Die Kostenlos-Straßenbahn ist sehr gut gefüllt: Erschöpfte und glückliche Läufer:innen, erleichterte Fans und fröhliche Partygänger. Im Hotel angekommen, spielt die Bigband noch immer und das bis morgens um drei. So können wir im Hotelzimmer noch mitfeiern und die Endorphine tanzen lassen!

Sonntag Morgen beim Frühstück freut sich Christoph über meinen Hunger und dass der Apfelstrudel geholfen hat und meine drei Fans bestaunen die Laufergebnisse auf der App: Anstiege insgesamt 508 Meter, 42,99 Kilometer, Pace 7:44, wilder Streckenverlauf!

Dann bummeln wir wieder durch das schöne Luxemburg und erleben eine Stadt, die schon aufgeräumt hat. Nur wenige Schilder und Absperrgitter erinnern noch an diese 42-Kilometer-Party, auch Marathon, genannt. Ein einmaliges und wunderbares Geburtstagsgeschenk: Der Night-Marathon von Luxembourg 2023!

Fazit: Der Luxembourg-Marathon ist anders, ist besonders, ist großartig!  Er gehört unbedingt auf die Liste: MITLAUFEN!

Dr. Erdmute Nieke

https://germanroadraces.de/?p=214237

 

 

 

author: GRR