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09
05
2023

Schillernde Sprinterin: Sha'Carri Richardson gewinnt über 100 Meter.  - 2022 USA Outdoor Championships Eugene, Oregon June 23-26, 2022 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

Schillernde US-Sprinterin: Findet Sha’Carri sich? Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Beim Auftakt der Diamond League meldet sich Sprinterin Sha’Carri Richardson eindrucksvoll zurück. Wird sie es schaffen, ihr Talent zu zeigen? Oder steigert sie nur ihre Fallhöhe – wieder einmal?

Sha’Carri Richardson ist wieder da. Nach ihrem Sieg über die 100 Meter beim Saisonauftakt der Diamond League in Doha, ihrem ersten Erfolg auf der Welttour der Leichtathletik, kniete sie auf der Bahn nieder und brüllte ihren Namen heraus: „Sha’Carri!“ Doch ob dies und die herausragende Zeit von 10,76 Sekunden, in der sie am Freitagabend siegte, dafür spricht, dass sie ihre sportliche Leistung auch auf der wichtigsten Bühne des Jahres wird zeigen können, muss sich noch weisen.

Es wäre tragisch, hätte die schillernde amerikanische Sprinterin mit diesem Einstand, wieder einmal, lediglich ihr Potential angedeutet und ihre Fallhöhe gesteigert. In den vergangenen Jahren jedenfalls verdarb sich das inzwischen 23 Jahre alte Talent die Saison bei den Meisterschaften der Vereinigten Staaten, die als Qualifikationsrennen für den Saisonhöhepunkt dienen. 2021 qualifizierte sie sich zunächst mit dem Sieg für die Olympischen Spiele von Tokio. Ihre Zeit von 10,64 Sekunden im Halbfinale, allerdings mit Rückenwind, machten sie zur Medaillenfavoritin.

Dann ergab die Analyse ihrer Dopingprobe, dass sie Cannabis geraucht hatte. Das ist in Eugene (Oregon), dem Ort der Meisterschaft, zwar legal. Im Sport jedoch ist es verboten. Die Sprinterin, in Texas geboren und bei ihrer Großmutter in Dallas aufgewachsen, erklärte den Joint mit ihrem Bedürfnis nach Trost und Stabilisierung; ihre biologische Mutter sei gerade gestorben. Die Läuferin wurde für 30 Tage gesperrt, ihr Ergebnis annulliert. Olympia war perdu.

Auch die erste Weltmeisterschaft in ihrem Heimatland, die patriotisch aufgeladenen Tage von Eugene (Oregon), gingen ihr wie schon die WM 2019 von Doha durch die Lappen. Sie schaffte es bei der Meisterschaft 2022 nicht einmal ins Halbfinale. 11,31 Sekunden brauchte sie im Vorlauf, obwohl sie Wochen zuvor schon 10,85 Sekunden gelaufen war.

Nun in Qatar besiegte die kleine Läuferin mit ihren kurzen, kraftvollen Schritten die jamaikanische 200-Meter-Weltmeisterin Shericka Jackson (10,85), die britische 200-Meter-Europameisterin Dina Asher-Smith (10,98) und die Amerikanerin Twanisha Terry (11,05). „Kein guter Start und trotzdem eindrucksvoll“, twitterte der viermalige Olympiasieger und heutige BBC-Kommentator Michael Johnson über sie: „Einzigartiges Talent. Allerdings mit Schwierigkeiten alles zusammenzubringen, wenn’s am meisten zählt.“ Wer weiß, ob sie es ins Finale der WM von Budapest 2023 schafft.

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Nicht allein mit Laufen macht Sha’Carri Richardson von sich reden. Wie sie nach dem Erfolg auf der Bahn für die Fotografen posierte, mit verlängerten Wimpern und Fingernägeln sowie grellem Makeup, wie sie neckisch mit den zum Zopf gebundenen Haaren spielte, wurde nicht recht deutlich, ob sie sich für eine Größe des Showgeschäfts hält oder die Vorführung ironisch gemeint war. „Ich bin so gesegnet und dankbar“, sagte sie: „Ich bin im Frieden mit mir selbst.“ Alles was sie tue, sei das Beste, was sie tun könne, und sie freue sich daran, es zu tun. „Peace, love and life.”

Sha’Carri in schriller Kostümierung und mehr solche Weisheiten gibt es auf Instagram. Ihrem Account folgen 2,2 Millionen Menschen. Gern mit so weit aufgezogenem Ausschnitt, dass die Anhänger ihrer Goldkettchen und die Tätowierung auf dem unteren Ende ihres Brustbeins sichtbar sind, hält die Läuferin dort minutenlang Monologe über ihre Suche nach sich selbst. Dabei schnieft sie im jüngsten Post so ostentativ, dass in den Kommentaren darüber spekuliert wird, ob sie an einer Allergie leide oder Kokain die Reizung der Nase verursacht haben könnte.

Nun also stehen wieder einmal Weltklasse-Zeiten auf dem Programm von Sha‘Carri. In Florida gewann sie in diesem Jahr bereits Rennen in 10,57 and 10,75 Sekunden; mit so starkem Rückenwind allerdings, dass die Zeiten nicht für die Rekordliste gelten. In dieser wird sie seit 2021 mit 10,72 als sechstschnellste Sprinterin der Geschichte geführt, hinter der mit 38 Jahren verstorbenen Florence Griffith-Joyner (Nummer eins mit 10,49 Sekunden) und der des Dopings überführten Marion Jones (5/10,65), deutlich vor der gerade mit 32 Jahren verstorbenen Torie Bowie (17/10,78), deren Stadionrekord sie in Doha brach.

Sie wolle zu sich selbst kommen, nahm sich Sha’Carri Richardson in einem Video vor, das sie zum Jahreswechsel auf Youtube veröffentlichte.

Viel Erfolg dabei!

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 8. Mai 2023

author: GRR