Hundert Prozent: DOSB-Präsident Hörmann hat ungeteilte Zustimmung. ©DOSB
Spitzensportreform: Die Vertrauensfrage – Michael Reinsch, Koblenz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Die Abstimmungsergebnisse zeigen deutlich und klar, dass der Sport geschlossen zu den besprochenen Themen, den Projekten, zu den Veränderungen steht“, leitet Hörmann aus dem Votum der Vollversammlung ab. Vor einem Jahr, auf der Mitgliederversammlung in Magdeburg, hatte nur ein einziger von 439 Delegierten gegen die Verabschiedung der Spitzensportreform gestimmt.
Wer gemeint habe, dazu gebe es keine Steigerung, rief Hörmann ins Plenum, der habe nun das Gegenteil erlebt. „Mehr als eindeutige Wortmeldungen“ hatte er vernommen, „unterstützende Formen der Klarstellung“, aus denen eindeutig hervorgehe: „Wir stehen zur Reform, wir stehen zur Rolle des DOSB, wir wollen uns weiter bewegen.“ Hörmann war der Sieger des Tages bei diesem Votum: „hundert zu null“.
Dabei schien er Kreide gefressen zu haben. Vor zwei Jahren in Hannover wies er in einer Art Bierzeltrede die Schuld an der Abstimmungsniederlage über die Hamburger Olympiabewerbung wütend von sich und „Mutti“ zu, der Bundeskanzlerin. Diesmal überließ er Dirk Schimmelpfennig die Attacke. Der wegen seiner Kompetenz geschätzte Vorstand für Leistungssport im DOSB steigerte sich in der Sitzung der Fachverbände innerhalb von dreißig Minuten vom sachlichen Referat über den Stand der Reform zu einem leidenschaftlichen „J’accuse“.
Er warf dem Bundesinnenministerium (BMI) die Missachtung der Sportorganisation vor, beklagte den Umgang der Abteilung Sport mit ihm und seinen Kollegen und geißelte deren Widerstand gegen die Erneuerung des Spitzensports. Der höchst undiplomatische Vortrag wurde bejubelt.
Doch der Abteilungsleiter des BMI, Gerhard Böhm, Gast der Veranstaltung und nicht zum ersten Mal Ziel von Angriffen des DOSB, sagte beim Verlassen des Saales für Ohrenzeugen vernehmlich zu Schimmelpfennig: „So wird das nichts.“
Der Angriff traf den Geist der Versammlung. Die als „Standortbestimmung“ der Verbände zum Spitzensport bezeichnete Resolution wirft der Politik Stagnation vor und warnt vor der Verunsicherung von Athleten, Trainern und Verbänden; dies gefährde massiv die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele von Tokio 2020. Bund und Länder müssten schon im nächsten Jahr ihre Fördermittel deutlich anheben. Zusätzlich 100 Millionen Euro erwartet der DOSB vom Staat, in dem Papier fordert er: „Der seitens der Spitzenverbände konkret bezifferte Mittelaufwuchs muss vom Mittelgeber anerkannt werden.“ Vor allem aber erheben die Verbände Anspruch auf Richtlinienkompetenz – und übertragen sie laut ihrer Resolution dem DOSB.
Dieser habe sportfachlich die Führung und übernehme die Koordinierung. Hörmann nimmt auch dies persönlich: als Vertrauensvotum, ein Jahr bevor er sich zur Wiederwahl stellt. Doch wie das so ist im Sport: Kritik wird im Verborgenen geübt, nicht offen. Sie ist konkret. Die Sprecher der Verbände bestehen auf einem Treffen, bei dem Hörmann die Zumutungen, die sein allzu persönlicher Führungsstil bedeutet, vorgehalten werden und für Besserung gesorgt werden soll. Ob das Gespräch für Entspannung sorgen oder allein der Wunsch danach neue Feindseligkeiten schaffen wird?
Mehr Tempo bei der Reform
Wie er auch mit Kritik umgehen kann, zeigte Hörmann, als er Mahnungen von Innenminister Thomas de Maizière in Zustimmung verwandelte. Mehr Tempo bei der Reform hatte dieser gefordert und gewarnt: „Mehr Geld ersetzt nicht den Reformbedarf. Eingespeist in das bestehende System bedeutete mehr Geld einfach: weiter so.“
De Maizière kritisierte die Aufweichung einer Vereinbarung über die Reduzierung der Bundesstützpunkte vom Sommer. Aus Sicht seines größten Sponsors, das ließ der Minister die Delegierten wissen, hat der Sport seine Hausaufgaben nicht vollendet. Zudem beklagte er, dass zu oft hinter dem Vorhang gesprochen werde, noch dazu manchmal anders als davor. Hörmann behauptete erwidernd: „Hinter dem Vorhang haben Thomas de Maizière und ich häufig gesprochen, um in dem Bild zu bleiben. Uns trennt da nichts, sage ich ausdrücklich und klar, kein Blatt Papier.“
Die Gespräche in den Gremien seien „offen, klar und transparent“ gewesen; deshalb fänden sie ja im verschlossenen Raum statt. Von Kontroverse wollte Hörmann nichts wissen. In der Frage der zu verringernden Stützpunkte und Leistungszentren liege der Dissens bei Bund und Ländern; der Sport sei Mittler. De Maizière liegt demnach falsch.
Trotz aller Aufforderungen, die Reform zu beschleunigen, ist das Tempo vorerst raus aus der Reform. Zwar versprach de Maizière nicht zum ersten Mal eine signifikante und nachhaltige Aufstockung der staatlichen Spitzensportförderung.
Doch der Haushalt 2018, der sie enthalten soll, dürfte frühestens im Herbst 2018 vom Parlament verabschiedet werden.
Michael Reinsch, Koblenz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 4. Dezember 2017