SPORT IN BERLIN - Wirtschaftsfaktor Sport - Cover: LSB Berlin
Sport ist nicht nur Hobby, auch ein Job-Motor – Wie Sport Arbeitsplätze schafft, für mehr Konsum sorgt, Geld erwirtschaftet und der Stadt zurückgibt – Dominik Bardow in SPORT IN BERLIN
Es soll ja Leute geben, die denken beim Thema Sportwirtschaft an eine Kneipe, die man nach dem Training aufsucht. Es gibt aber auch Leute, die stellen sich lieber Menschenmengen in Trikots vor,
die Fanschals hochhalten, gestärkt von Getränken und Snacks ihre Lieblinge anfeuern, für die sie eigens Eintrittskarten gekauft haben und deren Fanartikel nicht nur nach Erfolgen erworben werden.
Ganz abgesehen von den vielen Freizeitsportlerinnen und -sportlern, die eben Ausrüstung brauchen. Und Trainerinnen und Trainern, Betreuerinnen und Betreuern, die dabei für ein Gehalt Hilfe leisten. All das ist ein Wirtschaftsfaktor und kein kleiner: Das Bundesministerium für Wirtschaft bezifferte im Bericht „Sportwirtschaft“ allein den Wert sportbezogener Produktion auf 124 Milliarden Euro. Und laut der Investitionsbank Berlin geben Besucherinnern und Besucher von Sportevents in Berlin für Eintrittskarten, Verpflegung, Souvenirs und Übernachtungen pro Jahr 150 Millionen Euro aus.
All diese Zahlen sind aber zu abstrakt, um die wirtschaftliche Bedeutung des Sports zu verstehen. Daher spricht man am besten mit Expertinnen und Experten, die die Statistiken in Kontext setzen. Wie Wolfgang Maennig, der 1988 Olympiasieger im Rudern wurde und heute als Professor an der Uni Hamburg Wirtschaftspolitik lehrt. 2012 erstellte Maennig den „Sportwirtschaftsbericht Berlin“.
Prof. Dr. Wolfgang Maennig, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Hamburg, Olympiasieger im Ruderachter 1988 – Foto: picture alliance / dpa / Christian Charisius
Im Auftrag des Senats stellte er fest, dass Berlin mit seinen Großveranstaltungen, den damals 146 Bundesligisten, gut 2.000 Vereinen und 590.000 Mitgliedern im Landessportbund Berlin (LSB), sowie 1.200 öffentlichen Sportanlagen große direkte und indirekte ökonomische Effekte erzielte.
In der Berliner Sportwirschaft gebe es 2.900 Unternehmen und Selbstständige, Tendenz steigend.
Den Trend kann Maennig auch heute noch bestätigen. „Verschiedene Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass der Sport ungefähr zwei bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht“, sagt er. Höre sich nicht viel an, klar, Automobil-Produktion sei größer. „Wir sind in Deutschland heute schon bei ein Prozent Wirtschaftswachstum froh, da wäre ein Wegfall von drei Prozent hart.“
Berlin sei dabei ein besonderer Hub. „Wir sind als einzige Großstadt in allen wesentlichen Ligen vertreten“, sagt der gebürtige West-Berliner. Da könnten Hamburg oder München nicht mithalten. Auch weil sich hierzulande nicht die besten Teams da befänden, wo die Kaufkraft am höchsten sei, wie etwa in den USA. „Ich würde das eher zurückführen auf Geschichte und Zufall“, sagt Maennig.
Neben der historischen Rolle Berlins halfen da Persönlichkeiten wie Marathonpionier Horst Milde.
„Ein solches Event hätten andere Städte heute gerne“, sagt Maennig. Und obwohl in Deutschland Sport föderal-gleichmäßig gefördert wird, entwickele die Hauptstadt auf junge Talente großen Sog.„Nicht nur wegen Freizeitangeboten, auch wegen der guten Kombination aus Studium und Sport.“
Für seine Studie erfasste Maennig neben Fitnessstudios auch ganz normale Vereine, „die haben ja auch reguläre Angestellte“, die ihr Einkommen zum Teil wieder in Berlin ausgeben. Daraus ergebe sich ein sogenannter Multiplikator-Effekt. „Man kann diskutieren, wie hoch dieser Multiplikator ist“, sagt Maennig. Messen lässt sich das nur schwer. Aber der Sport sorgt auch für mehr Konsum.
Wirtschaftsfaktor Breitensportvereine: Die Turngemeinde in Berlin 1848 e. V. ist einer der ältesten und größten Sportvereine in Berlin. Allein in den letzten 20 Jahren entstanden u. a. ein neues Sportzentrum auf dem Vereinsgelände am Columbiadamm und ein neues Wassersportzentrum in Oberspree. – Foto: Sebastian Well
Ein Großereignis wie Olympia nach Berlin zu holen, könne eher Vereinen helfen als der Wirtschaft.„Ein volkswirtschaftliches Konjunkturprogramm sind olympische Spiele nicht“, sagt Maennig, der Gutachten für deutsche Bewerbungen erstellte. Aber es steige die „Happiness“, empirisch messbar über Zahlungsbereitschaft im Land. Und Sport helfe dem Image, wie Berlin wahrgenommen werde. Er hebe das Selbstwertgefühl. Wie eine große Oper in der Stadt, selbst wenn man kein Opernfan sei.
Wie es um den Sport finanziell bestellt ist, kann Jens Krüger berichten, Abteilungsleiter Finanzen und stellvertretender Direktor beim LSB. Er hat mit seinem Team versucht, zu erheben wer im Berliner Breitensport hauptberuflich arbeitet. „Wir sind auf mehr als 2.000 Menschen gekommen“, sagt er. In Verbänden und Vereinen, im Verwaltungs- und Jugendbereich, Trainerinnen und Trainer.
Jens Krüger, LSB-Abteilungsleiter Finanzen und Service, stellv. LSB-Direktor – Foto. priva
Auch eine Bruttolohnsumme habe man ermittelt. „Mehr als 68 Millionen Euro werden im Schnitt an Lohn und Gehalt im Jahr an Menschen gezahlt, die im gemeinnützigen Sport arbeiten“, sagt er. Die tatsächlichen Zahlen dürften höher liegen, da sie nur schwer nachzuvollziehen seien. „Wir haben über 2.000 Vereine im LSB, in den meisten wird auch ehrenamtlich gearbeitet“, sagt Krüger.
„68 Millionen Euro sind durchaus eine Ansage.“ Sport ist also nicht nur Hobby, auch ein Job-Motor. Wenn man die Gesamtsumme auf die Zahl der Stellen umrechne, die nicht alle Vollzeitjobs seien, käme man auf ein Bruttogehalt von 33.000 Euro im Jahr oder fast 3.000 Euro im Monat. Manche verdienen mehr, mancher weniger. Es kann sich aber durchaus lohnen, sich im Sport zu engagieren.
Noch einmal mehr als 20.000 Menschen arbeiteten ehrenamtlich oder für Aufwandsentschädigung, schätzt Krüger, „aber auch das wäre ein Wirtschaftsfaktor“. Wenn alle Ehrenamtlichen 150 bis 200 Euro im Monat erhielten, kämen noch einmal gut 40 Millionen Euro zu Einkünften im Sport dazu. „Das ist natürlich Kaufkraft und bei Hauptamtlichen auch Lohnsteuer, durchschnittlich 20 Prozent“, rechnet Krüger vor. Bei 68 Millionen Gehältern flössen zehn bis 15 Millionen Euro an den Fiskus.
Sport wird also nicht nur gefördert von der öffentlichen Hand, er gibt auch ordentlich Geld zurück. Wobei die Haupteinnahmequelle der Vereine immer noch die monatlichen Mitgliedsbeiträge seien. Auch hier kann Krüger vorrechnen: Der LSB verlange für Förderungen einen Mindestbeitrag von 6,90 Euro für Erwachsene im Monat selbst zu erheben, das wären 75 Euro pro Mitglied im Jahr.
Wirtschaftsfaktor Top-Events: ISTAF INDOOR – mit dem Istaf im Sommer im Olympiastation, dem DFB-Pokalfinale, dem Berlin-Marathon u. a. – eine von vielen Traditionsveranstaltungen in Berlin und Publikumsmagnet: 11.850 Fans waren am 10. Februar in der Mercedes-Benz Arena beim Fest der Leichtathletik. Stabhochsprung-Überflieger Armand Duplantis flog über 6,06 Meter. Höher ist in der langen ISTAF-Geschichte kein anderer gesprungen. Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo gewann mit 6,81 Meter. Doppel-Europameisterin Gina Lückenkemper vom SCC Berlin lief mit 7,16 Sekunden als Dritte die viertschnellste Zeit ihrer Karriere.- Foto: Jürgen Engler
„Da würden wir über Einnahmen von mindestens 50 Millionen Euro im Jahr reden“, sagt Krüger, auf die mittlerweile fast 700.000 LSB-Mitglieder hochgerechnet. Die Zahl wolle man bald knacken. Aber sind Wachstum und Investieren nicht eigentlich Begriffe, die eher in die klassische Wirtschaft gehören als zum gemeinnützigen Verein, der laut Gesetz eigentlich nicht auf Gewinn schielen darf?
„Der Verein hat grundsätzlich die Verpflichtung, seine Mittel zeitnah zu verwenden“, sagt Krüger, aber er dürfe Überschüsse erwirtschaften und Rücklagen bilden, etwa für künftige Investitionen ins Vereinsheim oder neue Sportgeräte. Krüger würde gerne einmal ausrechnen, was Vereine alleine an Energiekosten für Strom und Heizung ausgeben. Gleichzeitig hätten sie auch eine soziale Funktion.
Sport als Arbeitgeber:„Wir sind auf mehr als 2000 Menschen gekommen“, sagt LSB-Abteilungsleiter Jens Krüger. In Verbänden und Vereinen, im Verwaltungs- und Jugendbereich, Trainerinnen und Trainer. Auf dem Foto: Sabine Grothkopp, Landestrainerinnen im Wasserspringen –
Foto: Maurice Weiss
Die Verbände, Vereine und der LSB leisteten wichtigen sozialen Beiträge mit und durch den Sport, erklärt Krüger. Der LSB etwa finanziere 188 Jugend-Trainerinnen und -Trainer, soziale Projekte, aktuell sechs Integrationscoaches für Geflüchtete und 21 Kitas mit der LSB Kita-Gesellschaft „Kinder in Bewegung“. Der Sport erwirtschaftet Geld also nicht nur aus Eigennutz, er gibt auch zurück, ebenso in den Vereinen. Deshalb sagt Krüger: „Der Sport muss wachsen, um seinen Anteil in der Stadtgesellschaft zu behalten. Wir haben eine wachsende Stadt und der Sport muss mit seiner Mitgliederzahl mitwachsen.“ Natürlich brauche der Sport Fördermittel und öffentliche Sportstätten, aber Politik und Wirtschaft bräuchten den Sport ja auch, denn er stelle auch ein Stück Jugendarbeit und Kinderbetreuung dar.
Wirtschaftsfaktor Profiklubs: Die Eisbären Berlin bringen bei ihren Spielen die Mercedes-Benz Arena zum Kochen. Im vergangenen Jahr feierten sie ihren neunten Meistertitel in der Deutschen Eishockey-Liga. Auch die anderen in der Sportmetropole Berlin zusammengeschlossenen Klubs sorgen für Umsatz und Wirtschaftskraft der Stadt: BR Volleys, Füchse Berlin, 1. FC Union Berlin, Alba Berlin, Hertha BSC. – Foto: Jürgen Engler
Ein Akteur, der Sport, Wirtschaft und Politik zusammenbringt, ist die „Initiative Sportmetropole Berlin“, die 2009 unter dem Dach von „Berlin Partner“ gegründet wurde. Die öffentlich-private Gesellschaft zur Wirtschafts- und Technologieförderung betreibt Standortmarketing für Berlin, etwa die Hauptstadt-Kampagne „be Berlin“. „Berlin Partner“ hat seine Wurzeln in der Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2000. Als Nachfolgegesellschaft der „Olympia 2000 Marketing GmbH“ entstand 1994 die „Partner für Berlin Gesellschaft für Hauptstadt Marketing mbH“
Auch der Sport spielt in diesem Netzwerk eine große Rolle. „Sport ist auf jeden Fall ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor, gerade im Hinblick auf Arbeitsplätze und was die gesamte Wertschöpfungskette angeht“, sagt Myriam Sztayn, Koordinatorin Sportmarketing bei „Berlin Partner“. Sie verweist auf die Bilanzen von Sportgroßveranstaltungen wie dem Berlin Marathon oder dem Multisport-Event „Die Finals“, die einige wirtschaftliche Erfolge belegen. „Unsere Rolle im Marketing ist, Sport als Image- und auch als Wirtschaftsfaktor zu transportieren“, sagt Sztayn. „Die Werte des Sports stehen auch für die Werte der Stadt: Freiheit, Vielfalt, Toleranz, Internationalität. Berlin definiert sich nicht nur über Politik oder Kultur, sondern auch über Sport.“
Miriam Sztayn, Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH – Foto: privat
So entstand 2009 die Initiative Sportmetropole Berlin aus einem Arbeitskreis bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, als Sportinstitutionen, -veranstalter und -klubs, Wirtschaftsvertreter und Politik sich vornahmen, Spitzensport stärker zu positionieren und noch enger zu vernetzen. Seit 2018 koordiniert Berlin Partner die Initiative: „Wir organisieren gemeinsame Marketingaktivitäten, suchen uns große Themen, für die die Stadt steht – neben Spitzensport auch das Thema Frauensport“, erklärt Sztayn. „Auch Sportgroßveranstaltungen helfen uns, auf die Stadt aufmerksam zu machen.“
So entwarf die Initiative Plakatslogans wie „In Berlin kannst du alles trainieren. Sogar deine Gänsehaut. 365 Tage national und international erstklassiger Sport“, „Die Welt jubeln lassen? Das stemmen wir! Wir freuen uns auf die Special Olympics World Games Berlin 2023“ oder „Wir sind Überfliegerinnen. Erlebe die Sportmetropole der Frauen.“ Dazu mitreißende Motive von Fans und Aktiven. Als erreichten Erfolg der Initiative nennt Sztayn den Saisonauftakt der Sportmetropole Berlin, der jedes Jahr als Netzwerkveranstaltung zum Saisonstart der Clubs einen Austausch von Sport, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Kultur und Politik ermögliche. Der Landessportbund spiele eine wichtige Rolle als Bindeglied zwischen Breiten- und Spitzensport, von daher gebe es viele Schnittstellen.
Sport erwirtschaftet Geld und gibt zurück, z B. als Integrationsmotor. Geflüchtete werden zu Trainer*innen ausgebildet. Zurzeit läuft der zweite Lehrgang zur Trainer C-Lizenz im Schwimmen – innerhalb des LSB-Projekts „SPORTBUNT – Vereine leben Vielfalt!“ –
Foto: Jürgen Engler
Die Lokomotiven für das Sportmarketing seien natürlich die sechs großen Profivereine, Hertha BSC und der 1. FC Union, Alba, Eisbären und Füchse Berlin sowie die BR Volleys, es gehe aber auch darum, mehr Frauen und neue Zielgruppen zum Sport treiben zu bewegen, daher seien auch die Fußballerinnen des FC Viktoria Berlin und die Handballerinnen der Spreefüxxe sehr wichtig.
Negative Rückmeldungen, dass Sport rausgeworfenes Geld sei, etwa beim Thema Olympia, erlebte sie im Alltag nie, sagt Sztayn. „Glücklicherweise nicht, weil Berlin beim Monitoring schon Vorreiter ist. Wir sind als Stadt so weit, dass alle Sportgroßveranstaltungen ihre Veranstaltungserfolge evaluieren. Den wirtschaftlichen Wert, aber auch den sozialen Wert, für Sportentwicklung und den Imagewert.“
Man kann Sport also mit vielen Zahlen messen. Ein Faktor bleibt die Sportwirtschaft in jedem Fall
Dominik Bardow in SPORT IN BERLIN 02/2023