Blog
20
09
2022

4399 - Männerspitze mit v.r. Filmon Teklebrhan (113), Nils Voigt (694), Samuel Fitwi Sibhatu (491) und in Lauerstellung Tom Förster (602) - Foto: Wilfried Raatz

Überraschungen und zwei Frauen-Titelträgerinnen – Der 20jährige Tom Förster schlägt die favorisierten Nils Voigt und Samuel Fitwi Sibhatu – von den deutschen 10 km-Straßenlauf-Meisterschaften 2022 in Saarbrücken berichtet Wilfried Raatz

By GRR 0

„Totes“ Rennen zwischen Eva Dieterich und Sara Benfares

Die Stengelstraße unweit der Staatskanzlei des Saarlandes hat in jüngerer Vergangenheit mit den Zielankünften bei der Tour de France (2002) und der Deutschlandtour (2003) schon packende Entscheidungen erlebt, die deutschen 10 km-Straßenlauf-Meisterschaften standen diesen Ereignissen zwanzig Jahre später kaum etwas nach.

Auch wenn es keine 100.000 Zuschauer wie seinerzeit 2002 auf der nach dem Barock-Baumeister Friedrich Joachim Stengel benannten alleeartigen Straße waren, war das Interesse an den 10 km-Titelkämpfen doch beträchtlich. So ganz nach dem Geschmack des Publikums verliefen dann auch die beiden Hauptkonkurrenzen:

Der erst 20jährige Tom Förster schlug dabei in einem spannenden Finale die favorisierten Nils Voigt und Samuel Fitwi Sibhatu in 28:52 Minuten, eine Stunde später gab es als Dreingabe die Zentimeter-Entscheidung um den Meistertitel bei den Frauen zwischen Eva Dieterich und Sara Benfares, die das Kampfgericht letztlich als „totes Rennen“ bewertete und einen „geteilten“ Titel vergab.

kommentierte Tom Förster die Schlussphase des Rennens, das zuvor eher taktisch geprägt mit einer größeren Spitzengruppe unspektakulär abgelaufen war. Zu dieser Gruppe gehörten neben Tom Förster vor allem die favorisierten Nils Voigt und Samuel Fitwi Sibhatu, der extra aus seinem US-Studienort Charlotte angereiste einheimische Jan Lukas Becker, Jonathan Dahlke, Tobias Blum und der Freiburger Filmon Teklebrhan, der mit seinem neongelben Shirt zumeist in der ersten Reihe lief, im flotten Finale allerdings zurückgefallen war und letztlich als Siebter ins Ziel nach 29:32 Minuten kam.

Der Angriff des 20jährigen von der LG Vogtland brachte zunächst lediglich eine gewisse Vorentscheidung, denn der vehement nachsetzende Nils Voigt kam auf der Zielgeraden direkt an der Ludwigskirche noch mächtig auf, konnte aber den Rückstand letztlich nicht ganz wettmachen. „Ich wollte es unbedingt ins Ziel bringen und bin jetzt einfach nur überwältigt!“ Und der U23-Meister von Pliezhausen stand plötzlich im Rampenlicht, denn realistisch gesehen hatte das Talent aus dem Vogtland kaum einer auf der Rechnung.

Dies bestätigte auch Nils Voigt. „Mein Hauptaugenmerk lag natürlich auf Samu (Anm. des Autors: Samuel Fitwi Sibhatu). Es war eigentlich 9 km lang ein ruhiges Rennen. Auf dem letzten Kilometer habe ich dann versucht, die anderen abzuschütteln. Das hat auch geklappt, bis auf Tom. Auf den letzten 400 m hatte der aber einen Wums drauf… Natürlich bin ich mit dem zweiten Platz nicht zufrieden. Aber ich muss sagen: Tom hat das sehr gut gemacht. Er kann natürlich stolz sein, mit Jahrgang 2002 schon deutscher Meister bei den Männern zu werden!“

Und der sichtlich ob seines Erfolgs beeindruckte Sieger? „Eigentlich bin ich mitlaufen und schauen, wie lange ich dranbleiben kann!“ Im Gespräch im Zielbereich rückte Tom Förster allerdings dann Stück für Stück mit Leistungen in diesem Sommer heraus, die diesen Coup durchaus etwas verständlicher machen können. Denn neben den 29:53 Minuten auf dem Berliner Ku’damm lief er beim Ludwigsburger Citylauf im Kampf gegen seinen bis dato erfolgreicheren Trainingskollegen Sebastian Hendel als Sieger exzellente 28:41 Minuten und einen neuen Streckenrekord.

„Ich wollte meinen Vorsprung nur noch ins Ziel bringen und bin jetzt völlig überwältigt“, so das Vogtländer Lauftalent, das inzwischen im Verbund mit einigen Sponsoren und Partnern auf die Karte Profi setzt. Als Teilnehmer der U20-EM in Tallinn konnte er 2021 schon internationale Luft schnuppern, der nächste Schritt in Richtung Spitze soll 2023 mit möglicherweise einem Doppelstart über 5000 m und 10.000 m bei den U23-Europameisterschaften in Espoo/ Finnland folgen.  Doch zunächst steht ein weiteres Highlight noch in diesem Jahr statt: Am 2. Oktober startet Tom Förster als neuer deutscher 10.000 m-Meister erstmals über die Halbmarathondistanz beim Generali Köln-Marathon – und darauf kann man wirklich gespannt sein!

Ähnlich enttäuscht wie Nils Voigt, der sich nun eine Erholungspause gönnt, um dann „wieder anzugreifen“ (wie der Wattenscheider fokussiert vorausschaut) war sichtlich auch Samuel Fitwi Sibhatu, mit 29:01 Minuten im heißen Finale etwas abgeschlagen als Dritter. Im Bereich der Siegerzeiten war er noch Anfang September in Prag mit 28:53 über die Ziellinie gelaufen. Letztlich vermasselte er dem anstürmenden Jan Lukas Becker das Heimspiel, das den für die die DM mitausrichtenden LSG Saarbrücken-Sulzbachtal mit 29:04 Minuten die „Holzmedaille“ als Vierter einbrachte.

Jonathan Dahlke, Tobias Blum aus dem nahen Rehlingen, der eingangs schon genannte Filmon Teklebrhan und vor wenigen Tagen erneut Vater gewordene Konstantin Wedel komplettierten das Podium. Und dieses verpasste mit Timo Benitz ein sich aus dem Leistungssport verabschiedetes 1500 m-Ass, das inzwischen im Fulltime-Job in Ingolstadt Brötchen verdient und „aus der Laune heraus“ in Saarbrücken an den Start gegangen war.

Auffällig das Abschneiden der jungen Wilden im Konzert der Etablierten. Neben Tom Förster, der sich zudem auch den U23-Titel holte, überzeugten die allesamt dem Jahrgang 2000 angehörenden Marius Abele (10.), Julian Großkopf (12.) und Tobias Ulbrich (14.), bevor mit Tristan Kaufhold der U18-Meister mit dem neuen deutschen Altersklassen-Rekord von 30:19 folgte. Der für den SSC Hanau-Rodenbach startende 16jährige rundete damit seine tollen 5000 m-Zeiten auf der Bahn (14:46,40 in Pfungstadt) bzw. die vor Wochenfrist in Rodenbach auf der Straße erzielten 14:38 Minuten mit einem 10 km-Rekord ab. Und keck formulierte er bereits die Pläne für das kommende Jahr: Da fällt der U-20-Rekord….!“

Das Nachsehen um die Krone des besten Jugendlichen hatte somit Berglauf-Europameister Lukas Ehrle, der sich allerdings im ersten U20-Jahr auf 30:36 Minuten steigerte und damit den U20-Titel vor dem 5000 m-Meister Kurt Lauer (30:54) gewinnen konnte.

Die Teamwertung holte sich der TSV Bayer 04 Leverkusen vor der LG Telis Finanz Regensburg und dem SSC Hanau-Rodenbach mit dem 22jährigen Marius Abele, dem 16jährigen Tristan Kaufhold und dem 43jährigen M40-Meister Dirk Busch. Wenn das nicht einen exzellenten Querschnitt durch die Leistungsfähigkeit des hessischen Laufvereins nahe Frankfurt ist. Mit den Mannschaftstiteln der U18 und M40/45 gab es übrigens zwei weitere Meisterschaften für den SSC Hanau-Rodenbach.

Trio an der Spitze mit v.l. Eva Dieterich (272), Elena Burkard (735) und Sara Benfares (530). – Foto: Wilfried Raatz

Den geteilten Meistertitel gab es eine Stunde nach dem schon überaus spannenden Männerrennen – mit einer Entscheidung des Kampf- und Schiedsgerichts, die einfach mit dem „toten Rennen“ zwischen Eva Dieterich und Sara Benfares zwei Meister verdient hatte. Die beiden Hauptprotagonistinnen des Rennens lieferten sich ein auf den zehn Kilometern ein überaus spannendes Rennen, bei dem jede mit Tempoverschärfungen eine Vorentscheidung suchte. „Eine gute Entscheidung“ freute sich Eva Dieterich, die mit letzter Kraft auf der Ziellinie zur etwas enteilten Konkurrentin aufgeschlossen hatte.

Nach U23-Gold im Vorjahr in Uelzen und Rang drei im hochkarätigen DM-10000 m-Finale von Pliezhausen ist dieser Titelgewinn in Saarbrücken der bislang größte Erfolg für die in Tübingen lebende 23jährige. Mit ihren beim Europacup im französischen Pacé gelaufenen 32:25,70 Minuten galt sie auf dem Papier freilich als Favoritin gegenüber der eher zu den Mittelstrecken tendierenden Sara Benfares. „Eigentlich wollte ich nach der Nicht-Nominierung für München die Saison frühzeitig beenden….“ gestand die für das Laufteam Kassel startende Langstrecklerin. Doch mit gezielten Trainingseinheiten hielt sie das exzellente Niveau hoch – bis nun in Saarbrücken.

„Zwei Titel sind ok, ein zweiter Platz wäre schon bitter gewesen, ich hätte diesen aber auch akzeptiert“, freute sich Sara Benfares über die Meisterschaft. „Ich war viel zu ungeduldig, deshalb bin ich immer wieder in Führung gegangen. Aber ich bin ehrlich: Die 10 km sind mir viel zu lang, ich bleibe auf den Mittelstrecken 1500 m und 5000 m!“ So die 21jährige, die nahe Paris aufgewachsen war und inzwischen in Saarbrücken lebt und studiert.

Grund zum Feiern gab es sicherlich genügend für die Benfares. Denn mit Sara, Selma (Jahrgang 1999) und Sofia (2004) holte der LC Rehlingen den Mannschaftstitel vor dem SCC Berlin und der LG Telis Finanz Regensburg, die eher die zweite Reihe ins Rennen geschickt hatte.

Doch zurück zum Zieleinlauf der Frauen. Nach einer durch Fußproblemen vorwiegend geprägten Saison ist Blanka Dörfel mit einer eindrucksvollen Leistung zurück in der Laufszene. Hinter Eva und Sara wurde die letztjährige GRR-Nachwuchs-Preisträgerin Dritte im Gesamteinlauf und hinter Sara U23-Zweite – mit 33:29 Minuten. „Ich bin froh, dass ich wieder laufen kann! Natürlich geht es schneller. Nun freue ich mich auf die Halbmarathonmeisterschaften in Ulm nächsten Sonntag!“

Hinter diesem Trio überraschte Natascha Mommers auf Rang vier mit 33:34 Minuten und einem überzeugenden Sieg der W35-Klasse. Nach einer gewiss wenig überzeugenden Saison 2022 wurde Elena Burkard Fünfte in 33:43 Minuten, gefolgt von der U23-Dritten Tanja Neubert und der bereits als Siebte einlaufende Johanna Pulte, die mit 34:19 Minuten die U20-Meisterschaft gewann.

Aber auch die U18-Meisterin Franziska Drexler überzeugte nicht minder, für die junge Regensburgerin wurden mit Gesamtrang 12 34:41 gestoppt.  

Wilfried Raatz

 

author: GRR