„Die Technik basierte auf den in der DDR verwendeten 8 Bit Mikroprozessor Typ U808, dem technischen Höchststand damals. - Kartenlesegerät - Foto: Archiv Kremer
Seiner Zeit voraus – Wie der Rennsteiglauf vom Schmiedefelder Nagelbrett zur elektronischen Zeiterfassung kam – Dr. Hans-Georg Kremer berichtet
Zella-Mehlis – Es läuft. Auch am 13. Mai 2023, am Tag des 50. Rennsteiglaufes, schnüren sich die Starter den Transponder an den Laufschuh, um eine exakte Zeitmessung zu gewährleisten.
Die Rennsteigläufer sagen zwar, das schönste Ziel der Welt, ist Schmiedefeld. „Doch wenn es erst einmal los geht, dann will jeder zeigen, was er kann, und am Ende stolz die gelaufene Zeit und die Platzierung präsentieren“, sagt Peter Latzel. Das sei zu seiner Zeit so gewesen, das ist heute nicht anders.
Doch als der Rennsteiglauf Laufen lernte, da war das Schmiedefelder Nagelbrett aktuell. „Eine exakte Laufzeiterfassung war nicht möglich, manches Mal hatten zehn Läufer die gleiche Zeit. Nicht selten gab es Beschwerden, weil die offizielle Zeitmessung nicht mit dem Blick auf die Armbanduhr übereinstimmte“, erinnern sich Peter Latzel und seine Mitstreiter wie es einst war im mobilen Rechenbüro.
Als Latzel 1977 seinen ersten „75er“ beim GutsMuths-Rennsteiglauf hinter sich gebracht hatte, „da ereilte mich ein Gedankenblitz, ließ meine müden Glieder neue Kraft bekommen“. Peter Latzel, als Diplom-Ingenieur in der Forschung und Entwicklung im VEB Robotron-Werk Zella-Mehlis tätig, schmiedete einen verwegenen Plan.
Eine elektronische Zeiterfassung für Massenläufe hatte es Ende der 1970er Jahre in der DDR noch nicht gegeben. Der Kernberglauf, unter Regie des Rennsteiglaufbegründers Hans-Georg Kremer, behalf sich mit Lichtschranken aus dem Zeiss-Kombinat. Die Zeitmessung war exakt, aber nicht für 3000 Läufer und mehr auf dem Rennsteig tauglich.
Lichtschranken von Zeiss kamen beim Kernberglauf zum Einsatz
Peter Latzel spricht von glücklichen Umständen, „dass wir im VEB Robotron Elektronik Mikrorechenbaugruppen vom Typ K1510 entwickelten.“ Peter Latzel, Jürgen Heinrichs, Peter Deilmann, Ortwin Migge und die Versuchsmechaniker Rolf Schlütter und Walter Hildebrand mussten nichts neu erfinden, es bedurfte nur das Vorhandene zusammenführen, Programme schreiben. „Die Technik basierte auf den in der DDR verwendeten 8 Bit Mikroprozessor Typ U808, dem technischen Höchststand damals.
Mit diesen Baugruppen und den Stromversorgungsmodulen sollte es machbar sein“, erklärt der heute 81-Jährige den Start des Unternehmens. Dass es seine Zeit brauchen würde, dass viele Stunden nach Feierabend getüftelt werden musste, sei klar gewesen. Doch erst als es gelang, das Vorhaben GMRL-Zeiterfassung als Neuerer-Projekt durchzuboxen, konnte es los gehen. „Ein Betriebssystem für die Computer kannte man damals nicht. Wir haben alles mühsam in Maschinensprache codiert.“ Der Ruppberg-Lauf, vier Wochen vor dem Rennsteiglauf 1978, wurde als Testlauf der EDV-gestützten Zeiterfassung auserwählt.
Peter Latzel zu Hause in Zella-Mehlis. Der heute 81-Jährige entwickelte eine EDV-gestützte Zeiterfassung. – Foto: Archiv Kremer
„Die Läufer mussten vom Start an der Jägerstube, zu den Garagen laufen und wir haben alles, was zu testen war, ausgiebig testen können.“ Es funktionierte, worüber alle hell auf begeistert. Es war gelungen, in so kurzer Zeit eine praxistaugliche Lösung realisiert zu haben.
Stasi zieht per Post gekommenen Rechner aus dem Westen ein
Die ins Ziel kommenden beziehungsweise speziell geschulte Kampfrichter warfen die Startkarten in einen Kasten. Ein eigens dafür entwickeltes Lesegerät las die Daten aus. Der Rechner erstellte Zeit und Rang, Lochstreifen wurden gestanzt und Nadeldrucker tackerten ohne Unterlass. Und wie die Ergebnislisten aus den Leporellobögen des Robotron Druckers TYP daro 1150 kamen, wurden sie im Ziel an eine besonders gefertigte Tafel angepinnt, die es heute noch beim GMRL gibt. „Die ersten sechs haben wir per Hand gemessen und händisch auf Papier geschrieben.“
Doch erhöhte Anforderungen in der Organisation und ein größerer Datenanfall führte dazu, dass die Technik an ihre Grenzen kam, sodass neue Technik notwendig war, die aber nicht zur Verfügung stand.
Ein guter Nachbar, dem es nach der Inhaftierung in Leipzig 1962 gelang, mit dem Paddelboot von Prerow nach Dänemark zu fliehen, hatte eine EDV-Firma in Goslar. „Mitte der 80er Jahre hatte dieser einen von mir konfigurierten Tandem-386 PC für diese Aufgabenstellung auf legalem Postweg zu mir geschickt.“ Warum die PC-Baugruppen durch alle Kontrollen kamen, weiß der Zella-Mehliser bis heute nicht. Doch die DDR-Sicherheitsorgane und hatten längst ein Auge auf den West-Rechner geworden, beschlagnahmte die Westware und die Stasi spielte Peter Latzel übel mit.
Nach der Wende gründete er am Standort in Zella-Mehlis mit Erfolg die ZILA Elektronik GmbH. Begeisterter Rennsteigläufer, seit 2021 nur noch GMRL-Wanderer, ist er immer noch, freut sich auf den Jubiläumslauf. Den Tandem-PC, inklusive aller Software, den haben ihn die neuen Sicherheitsbehörden nach ihrer Durchsicht Ende der 1990er Jahre und nach Akteneinsicht zurückgegeben.
Er steht bei ihm im privaten Museum und dient heute zur Veranschaulichung des Technikabstandes zwischen Ost und West Ende der achtziger Jahre.
Dr. Hans-Georg Kremer in derThüringischen Landeszeitung vom 11.8.2022