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05
04
2022

Michael Reinsch - Foto: Horst Milde

Aufsichtsrat der NADA: CDU fordert Frank Ullrichs Rücktritt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

„Schlag ins Gesicht der Opfer“: Beharrlich ahnungslos, was Doping angeht, will der Sportausschussvorsitzende Frank Ullrich Aufsicht über die NADA führen. Das sorgt für Kritik

Am Montag noch verschickte Frank Ullrich eine Pressemitteilung – „In der Hoffnung, dass diese in der nächsten Ausgabe zu lesen ist“ – über seinen Besuch und den des Kollegen Jens Lehmann, der Visite „der beiden Olympiasieger im Deutschen Bundestag“ beim Olympiasieger an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne.

Lehmann, der CDU-Abgeordneten für Leipzig I, ist Bahnrad-Olympiasieger von Barcelona 1992 und Sydney 2000, Ullrich, der SPD-Abgeordnete für Schmalkalden-Meiningen II im Thüringer Wald und Vorsitzenden des Sportausschusses, ist Olympiasieger im Biathlon von Lake Placid 1980.

Statt mit Gedanken über Olympische Spiele in Deutschland, wie Ullrich und Lehmann sie mit IOC-Präsident Thomas Bach austauschten, machen nun aber die olympische und spitzensportliche Vergangenheit Ullrichs im DDR-Sport Schlagzeilen.

„Wir stehen klar für einen sauberen Sport, übrigens nicht nur in Deutschland. Da können wir keinen Sportausschussvorsitzenden dulden, der die Aufklärung seiner eignen Dopingvergangenheit nach wie vor blockiert“, ließ der CDU-Abgeordnet Fritz Güntzler, Ob­mann der Unionsfraktionen im Sportausschuss, am Mittwoch wissen und forderte den Rücktritt. Ullrich habe es versäumt, selbst für Aufklärung zu sorgen und scheine zu versuchen, seine Do­ping-Vergangenheit unter den Tisch zu kehren.

„Die SPD sollte ihn als Ausschussvorsitzenden zurückziehen, wenn diese Verweigerung weiter anhält“, verlangte Güntzler gegenüber der F.A.Z.: „Ansonsten schadet dies dem Ansehen des gesamten Ausschusses.“ Ullrich müsse sofort den Weg frei machen für ein anderes Mitglied des Ausschusses im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Dopingagentur (NADA). „Er ist der falsche Mann an der falschen Stelle. Er hätte das Amt bei dieser Vorgeschichte nie an­nehmen dürfen“, sagte Güntzler: „Er schadet damit dem Ausschuss, aber auch nachhaltig der NADA.“

Athlet und Auswahltrainer der DDR

Ullrich, Athlet und Auswahltrainer im dopingbelasteten DDR-Sport, hatte sich bereits im Januar entschieden, seiner Vorgängerin an der Spitze des Ausschusses, Dagmar Freitag, auf den für den Bundestag reservierten Sitz im Aufsichtsrat der NA­DA zu folgen. Die Mitglieder des Sportausschusses wurden von der Nachricht überrascht. Die erste Sitzung des Aufsichtsrats mit Ullrich ist für den 26. April geplant.

„Ein verheerendes Signal und Schlag ins Gesicht der Opfer des DDR-Dopings“ nannte die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, die Entsendung Ullrichs ins Aufsichtsgremium der NADA. Sie sehe es als notwendig an, dass dieser seine Verstrickung als Sportler und vor allem als Trainer in Bezug auf Dopingmittel aufklärt und auf Berichte darüber reagiert.

Ullrich selbst antwortete am Mittwoch nicht auf eine Anfrage der F.A.Z. Im Ok­tober vergangenen Jahres, als er gerade sein Direktmandat gegen den CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen gewonnen hatte, behauptete er zum Thema Doping: „Ich bin heilfroh, dass ich in keinster Art und Weise, weder von einem Trainer noch von einem Arzt noch von irgend­einem, dahingehend angesprochen wurde, der gesagt hat: Frank Ullrich, wenn du besser werden willst . . . Ich hatte nie diese Berührung. Das Wort Doping ist in keinem System bei uns gefallen. Das gab es nicht.“ Den Begriff Unterstützende Mittel – „entweder war ich so blauäugig oder in meinem Tunnel“ – habe er nie als Do­pingmittel verstanden.

Das ist erstaunlich, denn Ullrich wurde nach einem Sportstudium an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig Auswahltrainer in der DDR und nach dem Fall der Mauer Bundestrainer im Biathlon. Der Deutsche Ski-Verband lehnte eine Untersuchung durch die Do­ping-Kommission des Deutschen Sportbundes ab. Eine Kommission des Verbandes kam zu der Überzeugung, dass alle im sportlichen Umfeld der Spitzenathleten tä­tigen Personen gewusst haben mussten, dass es sich um etwas Verbotenes handelte. Obwohl ihn ehemalige Athleten be­schuldigten, exkulpierte die Kommission Ullrich – mit der Einschränkung, seine beharrliche Ahnungslosigkeit sei als „un­bewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus“ zu verstehen.

Auch beim Koalitionspartner kommt das Schweigen Ullrichs schlecht an. Philipp Krämer von den Grünen, Mitglied des Sportausschusses, kommentiert: „Frank Ullrich konnte in den letzten Jahrzehnten zwar nicht nachgewiesen werden, dass er aktiv am Doping-System der DDR mitgewirkt hat. Demnach stünde seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der NADA nichts im Wege. Eine Kommission des DSV stellte 2009 aber fest, dass Frank Ullrich zumindest von der Do­ping-Verabreichung in der DDR gewusst haben muss.

Im Sinne einer glaubwür­digen Anti-Doping-Politik des Deutschen Bundestages und des Sportausschusses wäre es daher zentral, dass Frank Ullrich reinen Tisch macht und darlegt, was er tatsächlich wusste.“

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 30. März 2022

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

 

 

 

author: GRR