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08
11
2021

Vollständiges Kemari-Gewand aus Seide mit Spielball und schwarzlackierter Kappe (Eboshi aus Papiermaché) mit violetter Schnur. - Foto: Forum für Sportgeschichte

Außergewöhnliche Sportbekleidung für das Sportmuseum Berlin – Japanische Kreisfußball-Rarität für Berlin erworben

By GRR 0

Kurz vor dem Ruhestand der verdienstvollen Sportmuseumsleiterin Martina Behrendt übergab das Forum für Sportgeschichte dieses attraktive Kemari-Gewand als Dauerleihgabe an das Sportmuseum Berlin.

Das Forum erwarb dieses seidene Gewand für das traditionelle japanische Kreisfußballspiel „Kemari“ aus der Liquidationsmasse des Sportmuseum Basel (Swiss Sportmuseum), das seit Mitte Oktober 2021 nicht mehr existiert.

Fritz Karl Mathys (1910-1993), der erste Kurator des Schweizerisches Turn- und Sportmuseums Basel  hatte diese außergewöhnliche Sportbekleidung um 1963 erworben. Er beschrieb diese Sportart in seiner „Kleine Weltgeschichte der Ballspiele“ [1973] (TSM, seit 1977: Schweizerisches Sportmuseum SSM) wie folgt:

Kemari – eine religiöse Fussballscene in Japan“

Ohne alle Ballspiele auf kultische Ursprünge zurückführen zu wollen, gab es gewiss noch vielerorts eine enge Verflechtung von Ball und Religion, ja sie haben sich in ganz anderen Gegenden der Welt bis auf die heutigen Tage erhalten, nämlich in Japan, wo die Kemari-Zeremonie noch heute einen Bestandteil des Shintokultes darstellt. Im Jahre 587 unserer Zeitrechnung kam dieser Kreisfußball aus China nach Japan, wo sich ihm sogleich der Kaiser selbst widmete, und bis heute ist dieses Spiel ein Privileg höchster adeliger Freunde des Tenno, der Samurais geblieben. Jedes Jahr wird Kemari beim Shintoschrein – einem Tempel – von Tonomine in der Provinz Yamato nach den alten Riten und Regeln ausgeführt.

Das Spielfeld liegt in unmittelbarer Nähe des Heiligtums und wurde in früheren Zeiten durch vier Zeremonienbäume begrenzt. Heute wird der quadratische Platz von 14 x 14 m von vier Bambusstangen begrenzt, aber nach wie vor ist es der Priester, der den Hohlball aus Hirschleder aber ohne Gummiblase, im Tempel aufbewahrt und ihn an einem Ahornzweig befestigt auf den Platz trägt. In Kostümen, die nach uralten Vorbildern sehr kostbar gearbeitet sind, speziellen Schuhen und Strohhüten, weiten reich bestickten Gewändern spielen die adeligen Teilnehmer dieses Kreisfußballspiel zwanzig Minuten lang, während der Priester als Schiedsrichter mit einer Sanduhr am Rande des Spielfeldes hockt. Dank der Förderung des Tenno bestehen noch heute zwei Klubs in der alten Kaiserstadt Kyoto und außer bei ihrem Training wird die Zeremonie nur noch einmal im Jahr, im Herbst beim Danzan-Schrein in Tonomine aufgeführt.“

Seidenes Kemari-Oberteil mit Ärmeln. – Foto: Forum für Sportgeschichte

Der Begriff „Kemari“ (auch Tritt- oder Kickball) setzt sich aus den Wörtern „keru“ (schießen, treten) und „mari“ (Kugel, Ball) zusammen Das Kreisfußballspiel „Kemari“ ist kein wettkampforientiertes Spiel, bei der es eine siegreiche Partei gibt, sondern die Spieler haben nur die Aufgabe den Ball ununterbrochen in der Luft zu halten, ohne dabei einander anzustoßen oder mit dem Ball den Oberkörper eines Mitspielers zu treffen.

Entenschnabelförmige Kemari-Schuhe, schwarze hochgezogene Sohle, mit weißem Stoff gefüttert und Schnürbändern. – Foto: Forum für Sportgeschichte

Derjenige, der den Ball kickt, wird mariashi genannt. Ein guter mariashi macht es dem Empfänger leicht, den mari zu kontrollieren, und serviert ihn mit einer weichen Berührung, damit es einfach ist, den mari in der Luft zu halten. Die bis zu vier Spieler starken Teams tragen prächtige, ausladende Seidengewänder, weite Hosen und üblicherweise eine schwarz lackierte Hofkappe (Eboshi).

Seidene Kemari-Hose. – Foto: Forum für Sportgeschichte

Seidenes Kemari-Unterhemd mit Gürtel. – Foto: Forum für Sportgeschichte

Das Kemari-Kleid wurde in Berlin erstmals in der vom Forum für Sportgeschichte und dem Sportmuseum Berlin 1993 im Ephraim-Palais kuratierten Ausstellung „Von der Kunst den Ball zu schlagen – ein Streifzug durch die Welt des Spiels“ gezeigt. Diese Ausstellung ist in dem von Gertrud Pfister, Toni Niewerth und Gerd Steins edierten Kongreßband „Spiele der Welt im Spannungsfeld von Tradition und Moderne“ auf den S. 187-288 dokumentiert; der Band ist noch im Sportmuseum Berlin erhältlich.

Zusammen mit etlichen seltenen Ballschlägern und Startblöcken kam die 43 kg schwere Transportpalette am 18. Mai 2021 in Berlin an. Ermöglicht hatte diese Übergabe die Liquidierung des seit 76 Jahre in Basel ansässigen Sportmuseums der Schweiz. Immerhin konnten zehntausende historische Objekte des Schweizer Sportmuseums im Rahmen einer Liquidation, also den Verkauf aller Vermögensgegenstände, vor der Vernichtung bewahrt werden.

Transportpalette mit Schlägern für Pelota, La Crosse, Raquette, japanisches Polo sowie Fangnetz, Pelota-Zielscheibe und Startblöcke. – Foto: Gerd Steins

Die Sammlung des Sportmuseums in Basel bestand zuletzt aus rund 12.000 Objekten, 200.000 Bildern, 150 lfdm. Aktenarchive und 11 .000 Büchern und Zeitschriften, die zuletzt in einem „Begehlager“ in Münchenstein bei Basel aufgestellt waren. Das Museum an der Grenze zwischen den beiden Basel konnte sich seit vielen Jahren nie finanziell selbstständig über Wasser halten. Und als ab dem Jahr 2019 die Zuwendungen des Bundesamts für Kultur (BAK), sowie der Kantone Basel-Stadt und Baselland nicht mehr flossen, war das Ende der legendären Institution abzusehen. Spätestens Ende 2019 war klar, dass die Sammlung als Ganzes nicht erhalten werden kann, als Swiss Olympic – die laut Stiftungsstatut die Sammlung geerbt hatte – die entsprechenden Gelder dafür nicht mehr gewährte.

Im Oktober 2021 hat nun die private Trägerstiftung des Baseler Sportmuseums ihre Auflösung bekanntgegeben. Zuvor ist es ihr aber gelungen, einen Großteil der Gegenstände – teilweise sogar ins Ausland – zu verkaufen und zu verteilen. Nur wenige Objekte mußten entsorgt werden, so erhielt auch das Berliner Forum für Sportgeschichte den Zuschlag über ein kleines Konvolut, das nun im Sportmuseum Berlin auf neue Ausstellungen wartet.

Weißer Kemari-Spielball (Mari) aus Ziegenleder, in der Mitte eingeschnürt, mit Aufbewahrungskiste aus Holz. – Foto: Forum für Sportgeschichte

Es ist gelungen, viele Konvolute zu erhalten und die aufgelaufenen Schulden von 954 000 CHF aus dem Liquidationserlös vollständig zu begleichen. Fast die Hälfte des Betrags brachte der Verkauf der Fußballsammlung an die Stiftung Ehrentor des FC Basel von Gigi Oeri ein. Das Bundesamt für Sport (BASPO) übernahm für 200. 000 CHF Archivmaterial und alle Fotos. Weitere namhafte Entschädigungen entrichteten das Pantheon-Museum Muttenz für die Fahrrad-Sammlung und das Bobmuseum St. Moritz für den Bob-Bestand. Zehntausende andere Gegenstände haben in 66 anderen Museen und Organisationen einen Platz gefunden.

Es ist zwar tröstlich, daß das Erbe des Baseler Sportmuseums sich nicht gänzlich in Luft aufgelöst hat, es bleibt aber ein bitterer Nachgeschmack über das Unvermögen der Schweizer Verantwortlichen, eine weltbekannte Institution ins „Aus“ geschossen zu haben.

Es ist zu hoffen, das dem Sportmuseum Berlin ein derartiges Schicksal erspart bleibt.

Gerd Steins
Präsident Forum für Sportgeschichte – Fördererverein für das Sportmuseum Berlin

https://www.sportmuseum-berlin.de/

gestefos@t-online.de

 

author: GRR