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05
11
2021

Umstritten: Alfons Hörmann hat seinen Rücktritt als DOSB-Präsident bereits angekündigt. - Foto: DOSB

Keine Kultur der Angst?: Ein Widerspruch beim DOSB – Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

An Vorwürfen in einem anonymen Brief gegen die DOSB-Führung soll nichts dran sein. Das sagt eine neue Untersuchung. Warum aber ergaben die Befragungen der Ethikkommission ein ganz anderes Ergebnis?

Bleibt Alfons Hörmann nun doch Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)? Das Schlagwort von der Kultur der Angst, die Mitarbeiter seiner Organisation bedrohe und belaste, hat sich, könnte man glauben, als falsch erwiesen. Die Findungskommission des DOSB, die in dieser Woche acht Kandidatinnen und Kandidaten für die Nachfolge des Allgäuers zu Gesprächen bat, könnte umgehend ihre Arbeit einstellen.

Wenn die „umfassende und wissenschaftlich fundierte Analyse“ zutrifft, die der DOSB bei der Permitto GmbH Wiesbaden in Auftrag gegeben und am Dienstagabend in einer zweieinhalb Seiten langen Zusammenfassung vorgestellt hat, ist in der Befragung von drei Vierteln der Beschäftigten, von 159 Personen, bei 1272 Einzelbewertungen nur ein einziges Mal der Begriff Angst erwähnt worden.

Als so profund stellen die Verfasser ihre Untersuchung vor, dass sie nicht einmal das gesprochene Wort für bare Münze nehmen müssen. Sie erlangten sogar Aufschluss über das, schreiben sie, was die Befragten denken. Ebenso spektakulär wie diese Fähigkeit erscheint das Resultat. Man könnte es so zusammenfassen: nichts dran an den Vorwürfen, die im Mai in einem anonymen Brief erhoben wurden. Die Resultate zeigten, kommentiert Veronika Rücker, Vorstandsvorsitzende des DOSB, dass es keine Belege für eine flächendeckende – und hier distanziert sie sich mit Anführungszeichen vom hässlichen Begriff: – „Kultur der Angst“ im DOSB gibt: „Das hat uns alle sehr erleichtert.“

Den Präsidenten sicher auch. Warum äußert sich Alfons Hörmann dann nicht in der DOSB-Darstellung? Und zwar so gewohnt kernig und entschieden-trotzig wie Mitte Oktober, als er das nun veröffentlichte Ergebnis bei einer Veranstaltung des Badischen Sportbundes Süd vorab herausposaunte und Zuhörer zu dem Schluss kamen, Hörmann sei Opfer einer Intrige.

Vielleicht liegt die jüngste Zurückhaltung daran, dass zwischen dem Vorwurf im Mai und der Entlastung Anfang November die Ethikkommission des DOSB sich mit der Sache befasst hat. Deren Vorsitzender Thomas de Maizière konstatierte nach vielen Gesprächen im Juni, dass es am Sitz des Dachverbandes in Frankfurt offensichtlich wechselseitig an ausreichendem Vertrauen und am notwendigen Zutrauen zu den Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehle.

Weil der einstige Verteidigungs- und Innenminister Selbstbespiegelung, Demotivation und Gerüchte, Unzufriedenheit und Unklarheiten auch mit dem Führungsverhalten von Präsidium und Vorstand in Zusammenhang brachte, war seine Empfehlung überzeugend, Hörmann solle auf der Mitgliederversammlung im Dezember die Vertrauensfrage stellen.

Der Präsident hat stattdessen seinen Rücktritt angekündigt. Man kann nur spekulieren, warum die Befragungen der Ethikkommission und die Analyse der – so ihre Selbstbeschreibung – Beratungsboutique für Change Management & Transformation so unterschiedliche Ergebnisse erbracht haben.

Zusammen passen sie nicht.

Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 4. November 2021

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR