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29
07
2023

Gruppe am Geburtshaus - Foto: Iki Freiwald

65 Lebensjahre auf einem zehn Kilometer langen LebensLAUF – George Grosz zum 130. Geburtstag – Gedanken zum Erinnerungslauf am 26. Juli 2023 durch Berlin von Dr. Erdmute Nieke

By GRR 0

Bei Kaffee und Kuchen an der Tankstelle wurde vor einem Jahr die Idee geboren einen Erinnerungslauf zum 130. Geburtstag von George Grosz anzubieten.

Tankstelle? Ja, Tankstelle! In der Bülowstraße 18 in Berlin-Schöneberg ist im Frühjahr 2022 das Kleine Grosz Museum in einer ehemaligen Tankstelle eröffnet wurden. Ein kleines, aber feines Museum mit Cafe, das nun schon die dritte Ausstellung mit Kunstwerken des Berliner Malers, Grafikers und Zeitkritikers George Grosz zeigt.

Ein Museumsflyer „George Grosz – Leben und Werk“ teilt die 65 Lebensjahre von George Grosz in sieben Abschnitte ein. Daraus entstanden sieben Stationen für den LebensLAUF. Die Zehn-Kilometer-Laufstrecke führt von seinem Geburtshaus zu seinem Sterbehaus über weitere historische Orte, an denen George Grosz gelebt, gefeiert und gearbeitet hat.

Die Gruppe – neun Läufer:innen und eine Radfahrerin – trifft sich am Geburtstagsabend um 18 Uhr am Savignyplatz in Charlottenburg und fährt gemeinsam mit der S-Bahn zum Bahnhof Friedrichstraße in Berlin-Mitte.

Wir starten mit dem Lauf vor dem Bahnhof, nachdem wir die Grafik „Friedrichstraße“ von 1918 angeschaut haben. Wir laufen zur Jägerstraße 63. Am 26. Juli 1893 wurde Georg Ehrenfried Gross hier geboren, sein Vater betrieb im Haus die „Bauern-Schänke“. Das Haus wurde im zweiten Weltkrieg zerstört. Den ersten Lebensabschnitt „Von Gross zu Grosz – Kindheit und Jugend“ lernen wir kennen: Lebensumstände, Ausbildung und erste Zeichnungen.

Eine Geburtstagsrose am Geburtshaus – Foto: Erdmute Nieke

Dann laufen wir durch den Tiergarten und beschäftigen uns in der zweiten Laufpause mit dem Lebensabschnitt „Politisierung und Radikalisierung – Der erste Weltkrieg“. 1917 kehrt George Grosz mit einem Nervenzusammenbruch von der Front zurück und wird als „dauernd dienstunbrauchbar“ eingestuft. Seine Bilder, die wir ansehen, spiegeln diese Erfahrungen wider.

Am Lützowufer folgt Lebensabschnitt drei mit „DADA“. Grosz gehörte zur Berliner Gruppe dieser Künstler:innen, eine Bewegung, die gegen die Verhältnisse revoltierte und mit Satire und Ironie starke Kritik an der Zeit übte. Außerdem lernen wir den Kunsthändler Alfred Flechtheim (1878-1937) kennen, der am Lützowufer eine seiner Kunstgalerien bis zum Beginn der Nazizeit betrieb und auch George Grosz ausstellte und zu seinen Freunden gehörte.

Bei der nächsten Laufpause am Kleinen Grosz Museum in der ehemaligen Tankstelle Bülowstraße folgt Lebensabschnitt vier „Weimarer Republik – Kunst als Parteiarbeit“. Weiter laufen wir zur Trautenaustraße 12. Am Wohnhaus der Familie Grosz von 1928 bis 1933 hören wir Lebensabschnitt fünf „Der reproduzierte Grosz“. Seine Studienkollegin Eva Peters hatte George im Mai 1920 in der Wohnung der Schwiegereltern am Savignyplatz 5 geheiratet. Die Grafik „Maul halten und weiterdienen“ von 1928, die einen gekreuzigten Christus mit Gasmaske und Soldatenstiefeln zeigt, führte wegen Gotteslästerung zu einem dreijährigen Gerichtsprozess mit sechs Verhandlungen und schließlich doch zu einem Freispruch nach drei Geldstrafen.

Um die Ecke vom Wohnhaus war sein Atelier und die Wohnung einer seiner Schwestern. Am Olivaer Platz laufen wir vorbei. Auch hier hatte George Grosz ein Atelier, überliefert sind Berichte von wilden Partys der Dadaisten. Die nächste Pause folgt auf dem George-Grosz-Platz auf dem Kudamm mit dem sechsten Lebensabschnitt „Neuanfang in Amerika“. Wenige Wochen vor dem Beginn der Naziherrschaft emigriert er mit seiner Frau Eva in die USA, im Sommer 1933 werden ihre beiden Söhne Peter und Martin nachgeholt. Grosz Werke stehen sofort auf den Listen für entartete Kunst der Nationalsozialisten, die leergeräumte Wohnung und das Atelier werden von Polizei und SA durchsucht und verwüstet.

Den letzten und siebten Lebensabschnitt „Enttäuscht vom amerikanischen Traum“ lernen wir am Savignyplatz 5 kennen. Wir betrachten seine letzten beiden Selbstporträts und weitere Bilder, die alle in New York entstanden sind. Seine Rückkehr nach Berlin währte nur wenige Wochen. Am 6. Juli 1958 verstarb er hier mit 65 Jahren – viel zu früh.

Bei einem alkoholfreien Bier und ein paar Naschereien gibt es für alle Teilnehmer:innen Kunstpostkarten, einen Erinnerungsflyer und die Frage, was von George Grosz bleibt:
Seine Zeichnungen, Grafiken und Gemälde zeigen uns eine Zeit, die von Krieg, sozialen Spannungen und Diktatur geprägt war. George Grosz sagte 1928 vor Gericht: „Ich habe oft das Gefühl: Es geschieht viel Unrecht, und durch ein ganz bestimmtes inneres Muss bin ich eben an die Seite derjenigen getrieben, die dieses Unrecht bekämpfen. Ich finde es geschehen zu viele Brutalitäten, es ist zu wenig Liebe da. Wo man hinsieht, sieht man Phrasen, Unrecht, Brutalität.“

Was würde George Grosz über unsere Zeit sagen und zeichnen? Was auch immer: Zehn Sportler:innen haben sich an sein Leben, seine Zeit und seine Kunst erinnert.

Herzlichen Glückwunsch – George – zum 130. Geburtstag!

Dr. Erdmute Nieke
www.lauffreude.berlin http://www.lauffreude.berlin

Weitere Fotos werden noch ergänzt!

https://germanroadraces.de/?p=218619

 

author: GRR