Andreas Maier: Franz Stampfl - Trainergenie und Weltbürger: Biografie eines Visionärs ©SportImPuls, Salzburg-Wien 2013
60 Jahre Traum-Meile – Am 6. Mai 1954 durchbrach Roger Bannister die für unmöglich gehaltene 4-Minuten-Barriere im Meilenlauf. Ein verschworenes Team mit dem Österreicher Franz Stampfl als Trainer hat diese Sternstunde ermöglicht, die bis heute Inspiration und Vorbild ist.
Am Dienstag, 6. Mai jährt sich einer der eindrucksvollsten Sportmomente des 20. Jahrhunderts zum 60. Mal. Der Brite Roger Bannister ist an diesem Tag des Jahres 1954 als erster Mensch eine Meile oder 1609,34 Meter unter vier Minuten gelaufen. „Wenn du heute diese Chance nicht nutzt, wirst du dir je vergeben können?", fragte der aus Wien stammende Trainer Franz Stampfl den jungen Läufer, der wegen des windigen Wetters das Rekordrennen absagen wollte.
3:59,4 Minuten lautete Bannisters Traum-Marke, die er kurz nach 18 Uhr am Iffley Road Track in Oxford erzielt hat. Der „Mount Everest des Laufsports" war bezwungen. Viele haben es für unmöglich gehalten, die vier Minuten zu unterbieten, vielleicht auf ähnliche Weise, wie nun ein Marathon unter zwei Stunden utopisch erscheint.
Meilenstein des Laufsports
Bis heute ist dieser Lauf legendär und Bannister eine Ikone des Sports. Zum 60. Jahrestag werden die Autobiografie des 85-jährigen Sir Roger, eine Filmdokumentation, ein spezielles Meilenrennen vor dem Buckingham Palace und vieles mehr in Szene gesetzt. Trotz teilweise amateurhafter Umstände war das Rennen sprichwörtlich ein Meilenstein in der Modernisierung des Sports. Das Geschehen an jenem Abend folgte sekundengenau einer von Franz Stampfl entworfenen Dramaturgie.
Der 1913 in Wien geborene Trainer arbeitete in London mit Bannister und den Laufkollegen Chris Brasher und Chris Chataway an der Verwirklichung des Meilentraums. „Als ich seine Fähigkeiten erkannt habe, war Franz der Einzige, mit dem ich über Laufen und Training diskutieren wollte. Seine Persönlichkeit war überwältigend", erinnert sich Roger Bannister in einem Gespräch. Brasher gewann später mit Stampfl Olympiagold über 3000 Meter Hindernis und gründete den London Marathon. Chataway lief Weltrekord über 5000 Meter und war in den 1970er Jahren britischer Minister für Telekommunikation und Post.
Franz Stampfl feierte danach in England und Australien als Trainer weitere große Erfolge mit Olympiasiegen und Weltrekorden. Sein unglaubliches Leben am Kreuzungspunkt von Weltsport & Weltgeschichte sowie sein Beitrag zur 4-Minuten-Meile wurden im November 2013 in der von Andreas Maier verfassten Biografie „Franz Stampfl – Trainergenie und Weltbürger" erstmals dokumentiert (Verlag SportImPuls, Salzburg-Wien 2013).
Teamwork mit ‚Wiener Rex Harrison‘
„Unter uns vier, mit Franz, der sorgfältig unsere Trainings koordinierte, entstand eine Strategie, wie diese ultimative Herausforderung der Leichtathletik überwunden werden kann. Die 4-Minuten Meile war ein Teamerfolg, in dem alle Mitglieder – ich, Chris B, Chris C und Franz Stampfl – entscheidende Rollen gespielt haben", schreibt der heute 85-jährige Sir Roger in seiner kürzlich erschienenen Autobiografie, in der er auf sein Leben als Sportler und Neurologe an der Universität Oxford zurückblickt. „Franz Stampfl war der Brennpunkt unseres Teams. Er war ein gutaussehender, liebenswürdiger ‚Wiener Rex Harrison‘. Er hat erkannt, was nötig war, um meine Stärke und Zuversicht zu steigern." (Roger Bannister: Twin Tracks. London 2014).
Bahnbrechendes Projekt
Die erste „Sub-4" Meile war ein zukunftsweisendes Projekt und folgte Prinzipien, die bis heute modern sind. Die Zusammenarbeit in einem Team, die genaue Planung des Meilenrennens, ein stufenweiser Trainingsaufbau auf einen vorab definierten Höhepunkt hin, regelmäßige gemeinsame Intervalltrainings, der Einsatz von Brasher und Chataway als Pacemaker mit genau festgeschriebenen Aufgaben und das Schaffen eines gemeinsamen mentalen Rahmens unterstreichen das. Die Unterschiede zur Gegenwart sind dennoch riesig. Die genaue Dosierung des Trainings beruhte oftmals auf Mutmaßungen.
Die Ernährungsweise war von der Lebensmittelrationierung vorgegeben, die in Großbritannien als Folge des Zweiten Weltkriegs bis Juli 1954 in Kraft war; nach den Trainings saßen die vier oft bei „baked beans on toast" zusammen. Nur drei Wochen vor dem Rennen fuhren Bannister und Brasher nach Schottland, wo sie bei Nässe und Kälte vier Tage lang riskante Felsklettereien unternahmen – für heutige Profisportler undenkbar. Aschenbahnen boten einen schwierigen Laufuntergrund, der gegenüber den heutigen Kunststoffbahnen gut eine Sekunde pro Runde kostetet. Obwohl Doping auch damals schon bekannt war, vor allem Amphetamine wurden eingesetzt, gilt die Sub-4 Meile als sportliche Errungenschaft ohne Fragezeichen.
Inspiration für Spitzenläufer, Paradigma für den Hobbysport
Das läuferische Spitzenprojekt von vor sechs Jahrzehnten wirkt als Inspiration bis heute. Abgesehen vom Marathon gibt es keine Laufdisziplin mit einer ähnlich starken Historie wie die Meile. Sebastian Coe, der zweifache Olympiasieger und Organisationschef der Olympischen Spiele von London 2012, nennt Roger Bannister stets als jenen Athleten, dessen Erfolge ihn am meisten motiviert haben.
Die Art der Vorbereitung zur 4-Minuten-Meile ist zum Paradigma für den Hobbysport geworden, wenn auch mit anderem Leistungsanspruch. Alle drei Läufer waren berufstätig und Amateure reinsten Wassers. Bannister nutzte oft seine Mittagspause am St. Mary's Hospital zum Training. Alle im Meilenteam achteten auf eine ausgeglichene „Work-Life-Balance", wenngleich dieser Begriff damals noch nicht erfunden war. Ein Läufer „soll ein ausgefülltes Leben führen, entsprechend seiner Interessen.
Ein spartanisches Leben, das alle anderen Interessen einem einzigen Ideal opfert, ist keine Existenz für einen Mann, der körperliche und psychische Fitness erlangen will", schrieb Franz Stampfl in seinem Trainings-Bestseller „On Running". Unter vergleichbaren Bedingungen – Berufsleben, Privatleben, Freude am Sport – sind heute Hunderttausende Hobbyläufer bei Marathonveranstaltungen in der ganzen Welt auf den Beinen.
Österreichischer Juniorenmeister, feindlicher Ausländer, unbekannter Trainerstar
Dass mit Franz Stampfl ein „Viennese coach" in Großbritannien diesen legendären Weltrekord ermöglicht hat, ist eine Story, die Stoff für großes Kino birgt. In der Person des Franz Ferdinand Leopold Stampfl kreuzen sich viele Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Als einer der erfolgreichsten Leichtathletiktrainer seiner Zeit war er in der englischsprachigen Welt angesehen und geehrt, im Land seiner Geburt und seiner ersten Erfolge ist er jedoch so gut wie unbekannt geblieben.
Geboren am 13. November 1913 in Wien-Ottakring wuchs Franz Stampfl in einfachen Verhältnissen auf. Er war Kunststudent und österreichischer Juniorenmeister im Speerwurf. In Österreich hat ihn die Sportführung nach den Nazi-Spielen von Berlin 1936 gesperrt. In England wurde er vom Geheimdienst verhört und festgenommen. Mit 2.500 Gefangenen hat man ihn über die Meere verfrachtet. Er hat einen Schiffsuntergang überlebt und wurde in Australien interniert. Er war ein „feindlicher Ausländer" und wurde zum Coaching-Star. Ab 1955 lebte er in Australien, wo er bis zu seinem Tod 1995 als Trainer aktiv und erfolgreich blieb.
Laufen ist eine Kunst
Seine Methoden verknüpften feinfühlige Menschenkenntnis und Kenntnisse der Physiologie mit der Härte eines Kriegskindes und Kriegsüberlebenden. Die letzten 14 Jahre seines Lebens hatte er nach einem Verkehrsunfall kein Gefühl mehr in Armen und Beinen, doch er blieb ein begnadeter Bewegungslehrer auch aus völliger Bewegungslosigkeit heraus. Er hat mit seinen Sportlern erreicht, wovon Generationen träumen: Olympiasiege, Weltrekorde, Titel und Medaillen bei Commonwealth Games und Europameisterschaften. „Er wirkte auf uns wie aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt", schildert Chris Chataway die Ausstrahlung des Trainers. Stampfl selbst formulierte, nicht ohne Hang zur lustvoll-kreativen Übertreibung: „Laufen ist eine Kunst, und jeder Läufer muss als Künstler gesehen werden."
Das Buch
Andreas Maier
Franz Stampfl – Trainergenie und Weltbürger: Biografie eines Visionärs
SportImPuls, Salzburg-Wien 2013
192 Seiten, Paperback, zahlreiche Abbildungen
ISBN 978-3-200-03366-5
€ 19,90 € (A) | € 19,40 (D)
Erhältlich beim Verlag und im Buchhandel.
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