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19
09
2024

1981 gelang der Schritt in die West-Berliner Innenstadt. Gestartet wurde vor dem Reichstag, das Ziel war auf dem Kurfürstendamm. Auf Anhieb gab es knapp 3.500 Anmeldungen aus 30 Nationen. - Foto: privat / Forum für Sportgeschichte

50. Jubiläum: Die Geschichte des Berlin-Marathons (Teil 1)

By GRR 0

In zwei Teilen wird hier in Kurzform die facettenreiche Geschichte des Berlin-Marathons dargestellt, der am 29. September sein 50. Jubiläum feiert. Eine detaillierte Darstellung der Entwicklung des Rennens und eine Würdigung des Initiators, Horst Milde, ist unter dem Titel „Immer wieder Marathon!“ als Buch erschienen.

Weitere Informationen dazu am Ende des Textes.

Der erste Berlin-Marathon 1974

Aus einer eigentlichen „Schnapsidee“ ging ursprünglich die Berliner Laufbewegung hervor. 1964 starteten Horst Milde – der spätere Gründer des Berlin-Marathons – und einige andere Berliner Läufer vom BSC und OSC, organisert durch das Sportreferat der Freien Universität Berlin (FU Berlin), bei einem internationalen Studenten-Crosslauf in Le Mans/Frankreich. Vom französischen Rotwein sollen sie noch leicht erheitert gewesen sein, als sie fröhlich mittaags durch den Matsch und Sand rannten und danach beschlossen, ein solches Rennen auch in Berlin zu organisieren.

Zumindest Horst Milde dachte so und fragte den Sportreferenten der FU Berlin Hartmut Lehmann, ob die FU nicht einen derartigen Lauf organisieren könnte. Der sagte spontan zu: „Ja, wenn du die Arbeit machst“.

So fand am 8. November 1964 der erste Crosslauf für Jedermann am Teufelsberg statt. Es war der Start der großen Läufe in Berlin.

An einen Marathon war in den 60er Jahren noch nicht zu denken. Auf die Idee, ein solches Rennen zu veranstalten, kam Horst Milde, der damals Vorsitzender der Leichtathletabteilung des SCC Berlin war , nachdem er 1973 ein Informationsschreiben des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV) erhalten hatte. In dem stand unter der Überschrift ,Internationaler Marathonlauf in Berlin’ unter anderem: „Dieser Internationale Berliner Langstreckentag am 14. Oktober … war ein voller Erfolg … voll des Lobes waren alle 92 angetretenen Aktiven…“ 92 Teilnehmer – das ist wenig, da sollte mehr drin sein, dachten sich die inzwischen bereits erfahrenen Lauf-Veranstalter.

Im August 1974 stellte er für den SCC entsprechende Anträge für die Ausrichtung des 1. Berliner Volksmarathons (so hieß der Berlin-Marathon offiziell in den ersten beiden Jahren). Mit 286 Teilnehmern aus 4 Nationen wurde das Rennen am 13. Oktober 1974 auf der Waldschulallee 80  in der Nähe des Mommsenstadions gestartet. 244 Läufer erreichten das Ziel. Die ersten Sieger hießen Günter Hallas (LG Nord Berlin), der 2:44:53 Stunden benötigte, und Jutta von Haase (LG Süd Berlin/3:22:01). Zu beiden gibt es Anekdoten, die typisch sind für die Anfänge der Laufbewegung. So ignorierten Hallas und von Haase während der 42,195 Kilometer sämtliche Verpflegungsstände.

Der erste Start des Berlin-Marathons, der damals noch „Berliner Volksmarathon“ hieß, am 13.10.1974.  Damals erreichten 244 Läufer das Ziel. – Foto: privat / Forum für Sportgeschichte

Die Autobahn AVUS auf der einen, der Grunewald auf der anderen Seite – das war die Marathonstrecke der ersten acht Jahre. Gelaufen wurde auf einem zweimal zu absolvierenden Pendelkurs. Drei Verpflegungspunkte gab es auf der Grunewaldstrecke, an denen neben Wasser auch Tee, Obst und Brühe für die Läufer bereitgehalten wurde. Die Teilnehmergebühr betrug damals 12 DM. Dafür erhielt jeder Läufer, der das Ziel vor dem Mommsenstadion erreichte, eine Medaille sowie eine Urkunde und eine Ergebnisliste, die damals noch von Hand getippt wurde.

Die vierte Auflage des Berlin-Marathons brachte den sportlichen Höhepunkt auf der Grunewaldstrecke. Integriert waren in die Veranstaltung 1977 zum ersten Mal die Deutschen Meisterschaften. Bei dem separat gestarteten Rennen lief die Wuppertalerin Christa Vahlensieck eine Weltbestzeit von 2:34:47,5 Stunden. Rund ein Jahr hielt dieser Rekord, dann wurde die norwegische Weltklasseläuferin Grete Waitz Nachfolgerin der Deutschen. Für das Rennen auf der Grunewald-Strecke gab es bis zu knapp 400 Anmeldungen.

1981 aus dem Wald in die Stadt

Der nächste Schritt war der wichtigste in der Geschichte des Berlin-Marathons. Ohne den Wechsel aus dem Wald in die Stadt hätte das Rennen keine Chance gehabt, sich international zu entwickeln. „Dort drüben sitzt ein Verrückter – der will durch die Stadt rennen!“ Mit diesen Worten wurde Horst Milde im Sommer 1980, ein Jahr vor dem ersten City-Marathon, dem damaligen Polizeipräsidenten von Berlin, Klaus Hübner, vorgestellt.

Die Organisatoren des SC Charlottenburg hatten damals erfahren, dass es 1981 mit den ,25 km de Berlin’ zum ersten Mal einen großen Lauf durch die City geben würde. Und sie setzten alle Hebel in Bewegung, um eine solche Genehmigung auch für den Marathon zu bekommen. Die „25 km de Berlin“ wurden von der französischen Schutzmacht organisiert. Da alliiertes Recht in Berlin überwog, konnten weder der Berliner Senat noch die Polizei diesen ersten großen deutschen City-Lauf stoppen.

Während es beim Berliner Senat gegen einen City-Marathon nach Londoner oder New Yorker Vorbild keine Einwände gab, war es für die Polizei aber am Anfang nicht so einfach, die Straßen tatsächlich für Läufer sperren zu müssen. „Die Straßen sind für die Autos da“, wurde den Marathon-Veranstaltern bei einem zweiten Treffen mit der Polizeispitze im September 1980 gesagt. Die Organisatoren hatten bereits eine erste mögliche Streckenführung entworfen, in der der Kurfürstendamm die zentrale Rolle spielte. Ein anderer Streckenabschnitt war ebenfalls ein Knackpunkt: der Checkpoint Charlie. Der Marathonkurs sollte auch an dem von den Amerikanern kontrollierten Grenzübergang nach Ost-Berlin vorbeiführen. Für die Polizei war diese Route jedoch tabu. Doch statt eine alternative Streckenführung auszuarbeiten, wandten sich die Organisatoren an den Chef der Politischen Abteilung der US-Mission, John Kornblum. Nur fünf Tage nachdem der Amerikaner während eines Abendessens mit Horst Milde von den Marathon-Plänen unterrichtet worden war, erhielten die Veranstalter am 6. Mai 1981 Grünes Licht von Kornblum: Bei Lücken im Läuferfeld könne der Grenzübergang trotzdem passiert werden, ein US-Offizier stehe während des Laufes dafür bereit.

So konnte Cheforganisator Horst Milde mit den Amerikanern im Rücken am nächsten Morgen den ungläubigen Verkehrspolizisten mitteilen: Die Strecke wird nicht verändert. „1981 bat mich Horst Milde um Hilfe, damit der Marathon am Checkpoint Charlie vorbeiführen konnte. Die Konfrontation von Kommunismus und Demokratie machte sich sogar bei der Routenplanung des Berlin-Marathons bemerkbar. Aber wir waren damals erfolgreich gegen alle Widerstände, so dass die Marathonroute über die geplante Strecke führen konnte. Es war ein kleines Beispiel von vielen, wie Deutsche und Amerikaner zusammen pragmatische Lösungen erreichen können“, erinnerte sich John Kornblum Jahre später – inzwischen war er US-Botschafter in Bonn – an diese Situation.

Neben den Franzosen und den Amerikanern hatte auch die dritte westliche Schutzmacht einen großen Anteil daran, dass der erste City-Marathon erfolgreich umgesetzt wurde. Die Briten prägten den Berlin-Marathon während der 80er Jahre wie keine andere ausländische Nation. Vier Athleten aus dem lauf-begeisterten Großbritannien gewannen das Rennen zwischen 1981 und ’85, Jahr für Jahr kamen die meisten ausländischen Teilnehmer von der Insel. Dafür hatte zunächst vor allen der britische Sportoffizier Kearny gesorgt, der den Organisatoren Listen mit Anschriften sämtlicher britischer Militärs in Deutschland für eine Werbeaussendung zur Verfügung gestellt hatte.

Es sollte allerdings etwas dauern, bis das Gros der Berliner wusste, was das für eine Veranstaltung war, die die halbe Stadt am ,Autofreien Sonntag’ lahm legte. Am Hotel Steigenberger fand sich 1981 vor der Nudelparty am Sonnabend der kuriose Hinweis: „… ist unser Parkplatz von 10 – 19 Uhr gesperrt. Dort findet der große Nudellauf statt. Wir erwarten 2000 bis 3000 Personen zum Nudelessen vor dem Hotel.“

Rund 250.000 Zuschauer wurden am 27. September 1981 Zeuge eines großen Erfolges des ersten Berlin-Marathons durch die Stadt, der vor dem Reichstag gestartet worden war. 3.486 Läufer aus 30 Nationen hatten sich angemeldet, 2.583 erreichten das Ziel. Damit wurde der Berlin-Marathon zum größten deutschen City-Rennen. Im Frühjahr hatte es in Frankfurt zum ersten Mal in Deutschland einen Stadtmarathon für Breitensportler gegeben, an dem sich rund 3.000 Teilnehmer beteiligt hatten.

Als Gewinner lief der Engländer Ian Ray in 2:15:41,8 Stunden ins Ziel kurz vor der Gedächtniskirche. Er verdiente sich die erste Siegprämie beim Berlin-Marathon, die damals 1000 DM betrug. Für einen deutschen Sieg sorgte Angelika Stephan (LG Kassel), die 2:47:23,5 Stunden lief. An Siegerzeiten wie die des ersten Rollstuhlfahrers (Georg Freund/Österreich/2:08:44) war damals bei den Läufern freilich noch nicht zu denken. Die behinderten Sportler wurden von Anfang an in das City-Rennen integriert. Das war damals bei den großen internationalen Marathonläufen noch längst nicht selbstverständlich. Zum herausragenden Athleten im Rollstuhlrennen wurde der Schweizer Heinz Frei, der mehrere Weltbestzeiten in Berlin aufstellte.

In den nächsten Jahren arbeiteten die Organisatoren daran, den Service für die Läufer zu verbessern. Vorbild waren dabei vor allen Dingen der New-York- aber auch der London-Marathon. „Die Laufbewegung ist unaufhaltsam“, schrieb der Laufsport-Journalist Wilfried Raatz nach dem Berlin-Marathon 1982 mit 4.686 Teilnehmern und über 300.000 Zuschauern.

Das wachsende Teilnehmerfeld hatte auch zur Folge, dass sich die Organisatoren mit Betrugsversuchen auseinandersetzen mussten. Einige Läufer kamen zwar ins Ziel auf dem Kurfürstendamm, waren aber nicht 42,195 Kilometer gelaufen. Das beliebteste Mittel, um die Strecke abzukürzen, war die U-Bahn. Einen bemerkenswerten Fall gab es 1984. Damals gab es für die schnellsten Berliner Läufer noch eine Bezirkswertung. Der schnellste Kreuzberger war ein 16-jähriger Junge, der fast den bundesdeutschen Rekord erreicht hatte – angesichts der Spitzenzeit flog der Schwindel jedoch sofort auf. Viele Jahre später, 2007, gab es einen Skandal, über den weltweit in den Medien berichtet wurde: Der mexikanischer Politiker Roberto Madrazo war nach 2:40:57 im Ziel, nachdem er abgekürzt hatte. Madrazo war zuvor sogar Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen in seinem Land. Die Wahl hatte er verloren und nun wurde er beim Berlin-Marathon disqualifiziert.

„Der Berlin-Marathon ist aufgestiegen zur Nummer fünf der Welt.“ Dieses Lob kam nach dem Lauf 1985 vom London-Marathon-Chef Chris Brasher. 11.814 Läufer aus 58 Nationen waren damals gemeldet, 9.840 erreichten das Ziel. Zum ersten Mal gab es eine 75-minütige TV-Sondersendung, was zugleich eine Marathon-Premiere für die gesamte ARD war. Über 400.000 Zuschauer wurden Zeuge von einem weiteren deutlichen Leistungsschub in der Spitze. Endlich wurden international beachtenswerte Zeiten gelaufen. Der Brite James Ashworth siegte in 2:11:43 Stunden und sagte hinterher: „Diese Strecke ist besser als die in London – hier sind Zeiten von weit unter 2:10 Stunden möglich.“

Er sollte recht behalten. Bei den Frauen lief die Belgierin Magda Ilands 2:34:10 und verbesserte damit den Streckenrekord um über fünf Minuten.

Die spitzen- und breitensportliche Entwicklung setzte sich Jahr für Jahr auf eindrucksvolle Weise fort. Zudem machte sich der Berlin-Marathon international einen sehr guten Namen aufgrund der perfekten Organisation und des großen Rahmenprogramms.

Die Jahre von 1987 bis 1989 gehörten dann im Männerrennen den Läufern aus Tansania. Sie stellten die ersten afrikanischen Sieger. Suleiman Nyambui gewann 1987 und ’88, Alfredo Shahanga verbesserte 1989 den Streckenrekord auf 2:10:11. Bei den Frauen hatte nach Charlotte Teske (Darmstadt/2:32:10/1986) die Berlinerin Kerstin Preßler (2:31:22/1987) triumphiert. Renata Kokowska (Polen) war dann 1988 die erste Frau, die ein Zeit von unter 2:30:00 erreichte (2:29:16). Diesen Streckenrekord verbesserte Päivi Tikkanen (Finnland) 1989 auf 2:28:45.

Das Ergebnisheft des Berlin-Marathons 1989. Das Rennen fand kurz vor dem Fall der Mauer statt. Der Startbereich erstreckte sich damals bis unmittelbar an die Berliner Mauer mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund. –
Foto: privat / Forum für Sportgeschichte

Für die Läufer in Ost-Berlin und der DDR war es ein Traum, einmal beim Berlin-Marathon teilnehmen zu können. In grenznahen Gebieten verfolgten sie das Geschen bei dem Laufspektakel über den SFB im Radio. Doch es gab auch einige wenige, für die sich der Traum eines Starts schon damals erfüllte. Pensionäre oder Läufer, die das Glück hatten, eine Ausreisegenehmigung für einen Verwandtenbesuch in der Bundesrepublik zu erhalten, mischten sich heimlich bereits seit 1982 unter die Starter in West-Berlin. Die Starts mussten geheim bleiben, auch wenn die Organisatoren davon wussten. Ein Läufer aus Thüringen startete zunächst unter dem Namen seiner Katze, um nicht erkannt zu werden. Später wurde daraus der Name seines Hundes und auch der seines Heimatdorfes.

Um ein paar Eindrücke von dem Rennen im Westen zu erhalten, versuchten etliche Läufer, auf den Ost-Berliner Fernsehturm zu gelangen. Sie konnten von dort aus den Start des Laufes hinter dem Brandenburger Tor verfolgen. In den Jahren 1988 und ’89, so haben die Organisatoren später erfahren, musste der Turm daraufhin wegen Überfüllung geschlossen werden.

Horst Milde, der die Laufveranstaltungen des SCC Berlin seit 1964 über vier Jahrzehnte hinweg leitete und Ehren-Race-Direktor des Berlin-Marathons ist, hat die nachfolgenden Personen genannt, die das Rennen 1974 entscheidend unterstützten und ab 1981 mit prägten:

1974: Helge Ibert, Fritz Orlowski, Rotraud Zylka, Christian F. Ziervogel, Friedrich-Helmut Scheel, Leo Link. Ab 1981 zusätzlich: Peter Christ, Gerhard Kopp, Christoph Kopp … und natürlich viele andere ehrenamtliche Helfer und Helferinnen.

Zum 50. Jubiläum des Berlin-Marathons hat das Forum für Sportgeschichte (Sportmuseum Berlin) ein Buch mit dem Titel „Immer wieder Marathon!“ herausgegeben.

Dabei geht es auch um die frühe Historie des Laufsports, die Entwicklungen in Berlin und eine Würdigung des Berlin-Marathon-Gründers Horst Milde.

Das Buch hat 248 Seiten im A4-Format und kann für 26,- Euro inklusive Versand in Deutschland per E-Mail bestellt werden:  marathoneum@t-online.de

Text: Jörg Wenig / Race News Service

Das YouTube-Video von Prof. Helmut Winter mit Horst Milde über  die Historie des BERLIN-MARATHON (1974) und den Crosslauf am Teufelsberg (1964):

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