Eine Empfehlung von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in LAUFZEIT - 50 Jahre moderne Laufbewegung in Deutschland ... in Büchern: Ein Dutzend Laufliterarische Werke als kultureller Wegbegleiter - und zu Weihnachten - ©privat
50 Jahre moderne Laufbewegung in Deutschland … in Büchern: Ein Dutzend Laufliterarische Werke als kultureller Wegbegleiter – und zu Weihnachten – Eine Empfehlung von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in LAUFZEIT
Im Jahre 1963 wurde die moderne Laufbewegung in (West-) Deutschland geboren: Am 13. Oktober 1963 fand in Bobingen bei Augsburg (Bayern) der erste öffentliche Volkslauf für jedermann statt. Seitdem haben Millionen von Menschen in unserem Land zum ausdauernden Laufen gefunden.
Seitdem haben aber auch Tausende von Menschen laufliterarische Bücher erworben und gelesen, die von Hunderten von Autorinnen und Autoren über das Laufen geschrieben wurden. Wie kaum in einer anderen Sportart hat sich das Genre der Laufliteratur ausgebreitet und ausdifferenziert.
Nach 50 Jahren ist es schwierig, den Überblick zu bewahren – LAUFZEIT hilft mit der ständigen Rubrik „Laufliteratur" und mit dieser historischen Präsentation von einem Dutzend Laufbüchern.
Denn: 50 Jahre Laufbewegung in Deutschland sind ein Anlass für LAUFZEIT, an einige Bücher zu erinnern, die in den ersten fünf Jahrzehnten erschienen sind und im konkreten, aber auch im übertragenden Sinne des Wortes ein kultureller Wegbegleiter durch die Zeit geworden sind.
Dabei geht es hier nicht um jene Titel, die als Anleitungen zum Laufen und als Trainingsbücher daherkommen und uns das Laufen schmackhaft machen wollen, sondern mehr um jene, das das Laufen im weitesten Sinne literarisch verarbeiten … sei es in Gedichten und Geschichten, sei es in Romanen und Reiseberichten, sei es in Krimis und in anderen Textsorten – fiktiv oder fantastisch! Die Anlässe, über das Laufen zu schreiben, sind so vielfältig wie die Strecken, die wir beim Laufen zurücklegen können.
Die folgende Aufstellung ist demzufolge nur eine kleine Auswahl von jeweils kurz kommentierten Titeln. Die Liste versucht, den kalendarischen Bogen von der Zeit der Anfänge der Laufbewegung bis heute zu spannen. Sie soll so das breite Spektrum an literarischen Zugängen ebenso zeigen wie die Perspektivenvielfalt, mit der das Laufen jeweils „schriftlich" betrachtet wird: Viele können sich womöglich irgendwo mit ihren eigenen Lauferfahrungen einordnen. Viele mögen sich aber auch von der Vorstellung der Titel so angesprochen fühlen, dass sie die (erneute) Lektüre der Bücher erwägen.
Vorsicht: Es mag sein, dass einige Bücher längst im Buchhhandel vergriffen sind – dann kann es erst spannend und hoffentlich von Erfolg gekrönt sein, sie antiquarisch zu erwerben. Doch jetzt erstmal der Reihe nach in der Chronologie des Erscheinens der Bücher … und sorry dafür, dass nicht jedes Kalenderjahr hier mit einem Buch gewürdigt wird:
1967: Über die Einsamkeit des Langstreckenläufers …
Dieses Buch ist ein Klassiker der Laufliteratur. Und der Spruch ist es erst recht – aber: Sind Langstreckenläufer wirklich immer so einsam? Was steckt dahinter? Allein die Massen, die inzwischen lange Strecken (nicht nur allein) laufen, machen den Spruch und gleichnamigen Titel dieses Buches des englischen Autors Alan Sillitoe (1928-2010) fragwürdig.
Dabei geht es ihm primär gar nicht so sehr um die Einsamkeit des Läufers auf der Strecke. Seine berühmte und verfilmte Erzählung ist ein Stück Protest-Literatur – ein Aufbegehren gegen institutionelle Mächte, fruchtbar genutzt in einer „einsamen" Zeit, die durch die Synchronisierung des Laufens und des Denkens entsteht: Frei sein im und durch Laufen!
Alan Sillitoe: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Zürich 1967: Diogenes. 70 S.
1976: Zehn Weltrekorde in 80 Tagen …
Zugegeben – diese Geschichte ist älter als die moderne Laufbewegung. Aber sie ist nicht erfunden und tragikomisch zugleich: Ein junger Läufer verstößt gegen ein Amateurstatut und erhält eine zehnmonatige Wettkampfsperre, weil er für die Teilnahme an einem Leichtathletiksportfest 400 Kronen (damals das Monatsgehalt eines nordeuropäischen Angestellten) als „Startgeld" kassiert hat.
Das geschieht 1941 in Schweden, und der betroffene Läufer heißt Gunder Hägg, der gerade in Stockholm schwedischer Meister über 1.500 Meter geworden ist und nun durch die Lande tingeln (genauer: laufen) soll, wenn nicht diese Sperre wäre. Ein Jahr später läuft Gunder Hägg, damals in Schweden angeblich genauso populär wie bei uns Max Schmeling, in 80 Tagen insgesamt zehn Weltrekorde auf Strecken zwischen 1.500 und 5.000 Meter, einschließlich Meilendistanzen und fast immer in ausverkauften Stadien.
Hans Gebhardt: Die 80 Tage des Gunder Hägg. München 1976: Bertelsmann. 207 S.
1982: Über Läufer und Vorläufer …
Die moderne Laufbewegung wird zeithistorisch mit dem Jahr 1963 in Verbindung gebracht. Dabei gab es eine Laufbewegung vor der Laufbewegung, die Stefan Oettermann (Jahrgang 1949) zu einer „Kulturgeschichte des Laufsports" (Titel des Taschenbuches) zusammenfasst und detailreich beschreibt: Wie war das doch gleich mit den laufenden Boten, den Briefträgern und Ausrufern?
Wer kennt noch Mensen Ernst und Fritz Käpernick? Das waren bekannte vorlaufende Läufer, bevor in Deutschland das sportliche Laufen in Vereinen und mit über Verbände organisierten Wettkämpfen begann … alles weit vor dem Start der Volkslaufbewegung im Jahre 1963.
Stefan Oettermann: Läufer und Vorläufer. Zu einer Kulturgeschichte des Laufsports. Frankfurt 1984: Syndikat. 172. S.
1992: Eine Laudatio auf den Rennsteiglauf …
Dieses Buch erfüllt mehrere Funktionen. Als Bilderbuch kann man sich an den unzähligen Fotos immer wieder neu erfreuen. Als Dokumentationsband bietet es eine unendliche Fülle an Informationen über das Drum und Dran des Rennsteiglaufes einschließlich der Ergebnisse und anderer interessanter statistischer Aufschlüsselungen. Als Geschichtsbuch klärt es uns auf über das Leben und Wirken von Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759 – 1839), dem Namensgeber des traditionsreichen Rennsteiglaufs.
Und nicht zuletzt macht es uns allen Appetit zur Teilnahme am Rennsteiglauf, sei es zum ersten oder zum wiederholten Male, sei es über die Hohe Sonne nach Schmiedefeld (über 65 km) oder von Neuhaus nach Schmiedefeld (über 45 km). Die fünf namentlich genannten Autoren des Buches Jochen Heusing, Volker Kittel, Hans-Georg Kremer, Willi Schröder und Wolf-Dieter Wolfram sei dafür ausdrücklich noch einmal gedankt!
GutsMuths-Rennsteiglaufverein e.V. (Hrsg.): Faszination Rennsteiglauf. Erfurt 1992. 208 S.
1996: Irgendwann mußt Du nach Biel …
Werner Sonntag hat uns bereits im Jahre 1978 seinen Klassiker „Irgendwann mußt du nach Biel" (soll heißen: zu diesem 100-km-Lauf in die Schweiz!) vorgelegt. Das Buch ist nach mehrfachen Auflagen seit Jahren vergriffen und wurde in dieser Textsammlung erstmals wieder abgedruckt – also zu jenen „Laufenden Vorgängen" gelegt, die Werner Sonntag (früher im Hauptberuf Journalist) uns hier mit zahlreichen tollen Fotos aus der bildenden Laufkunst präsentiert. Alle Texte, teils humorvoll-heiter, teils köstlich-komisch haben zwar ihren Ausgangspunkt beim Laufen, doch wo sie enden? Bitte selber nachlesen!
Werner Sonntag: Laufende Vorgänge. „Irgendwann mußt du nach Biel" und andere literarische Texte über das Laufen. Ostfildern 1996: Verlag Laufen und Leben. 182 S.
1998: Eine Anthologie vom Laufen, Rennen und Joggen …
Eigentlich ist diese Sammlung das älteste Buch unter den hier präsentierten, wenn man allein die Entstehungszeit der Texte zugrunde legt, die hier (nochmals) abgedruckt sind – nämlich u. a. aus dem 18. Jahrhundert von Hans Christian Andersen, den Brüder Grimm, Gottfried August Bürger, Hermann Fürst von Pückler-Muskau, ganz abgesehen von Herodot und Homer aus der griechischen Antike. Aber auch jüngere Geschichtenerzähler sind vertreten – allen voran Dieter Baumann, der Olympiasieger von Barcelona über 5000 m, die „großen" Schriftsteller Günter Herburger, Arno Surminski und der Schweizer Daniel de Roulet jeweils mit Auszügen aus ihren eigenen laufliterarischen Werken.
Herbert Bauch/Michael Birkmann (Hrsg.): „… ja, wo laufen sie denn?" Die besten Geschichten vom Laufen, Rennen und Joggen. Berlin 1998: Aufbau Taschenbuch Verlag. 320 S.
1998: Ein grüner Minister läuft zu sich selbst …
Dass ein amtierender Außenminister ein Laufbuch publiziert, ist schon ziemlich außergewöhnlich: Joschka Fischer hat seinerzeit sein Leben radikal verändert, und zwar in Bezug auf seine Ernährung- und seine Trinkgewohnheiten, aber auch, was seinen bewegten Alltag anbelangt. Im Klartext: Er hat einen Weg zum regelmäßigen und ausdauernden Laufen gefunden und dies alles in seinem Büchlein „Mein langer Lauf zu mir selbst" eindrucksvoll beschrieben.
Eigentlich muss man dieses Buch zu allererst denjenigen als Lektüre empfehlen, die Fischer in dieser Hinsicht nacheifern wollen – aber: Vielleicht eifert der in die Jahre und wieder etwas in Körperfülle gekommene Fischer irgendwann einmal sich selbst nach!
Joschka Fischer: Mein langer Lauf zu mir selbst. Köln 1999: Kiepenheuer & Witsch. 175 S.
2000: Ein literaturwissenschaftliches Werk über die (Lauf-) Literatur …
Um es gleich vorwegzunehmen: Es handelt sich hier um eine literaturwissenschaftliche Dissertation. Es schreibt jemand – ganz hervorragend – über den Sport in der Literatur, wertet also literarische Texte aus, in denen berühmte und weniger bekannte Schriftsteller (Schriftstellerinnen tatsächlich weniger) den Sport im weitesten Sinne als Motiv entdeckt und darüber geschrieben haben.
Wir Läufer kommen dabei auch ganz gut auf unsere Kosten – ganz egal, ob die Namen Günter Herburger („Lauf und Wahn"), Siegfried Lenz („Brot und Spiele"), Tom McNab („Das Rennen"), Peter Nádas („Der Lebensläufer", 1998) oder Peter-Paul Zahl („Lauf um dein Leben", 1996) lauten.
Mario Leis: Sport in der Literatur. Frankfurt 2000: Verlag Peter Lang. 270 S.
2001: Wenn die Eva-Maria mit ihrem Georg …
Eva-Maria von Schablowsky (Jahrgang 1935) gilt als „grande dame" in der laufliterarischen Szene hierzulande: Die Düsseldorferin ist nie aktive Läuferin gewesen, dafür umso mehr ihr inzwischen leider verstorbene Mann Georg (Jahrgang 1926). Sie hat ihn stets bei seinen (Wettkampf-) Läufen in aller Welt begleitet und intensiv darüber geschrieben … „über den großen Meister, meinen Aktiven, den Hausherrn, den alten Knaben und den meinigen", wie sie ihn als Hauptfigur ihrer Texte oft liebevoll im Buch bezeichnet.
Der Band besteht aus insgesamt 32 teilweise aus früheren Werken wieder abgedruckten, teilweise aber ganz neuen Geschichten von Eva-Maria über ihren Georg und seine läuferischen Aktivitäten.
Eva-Maria von Schablowsky: Läuft Ihr Mann auch? Düsseldorf 2001: Universitas Verlag. 127 S.
2006: Achim Achilles, der Versen-Läufer …
Wer kennt nicht Achim Achilles „seine Verse"? Sie konnte man bereits vor Jahren bei Spiegel-online Woche für Woche lesen. Daraus ist mittlerweile ein Taschenbuch geworden: 49 „Achilles` Verse" wechseln sich jeweils mit „Achilles` Tipps" zum Laufen ab. Die Verse sind in aller Regel zwei bis vier Seiten lang, die Tipps fallen deutlich kürzer aus. Alle Texte sind mit einer Überschrift versehen wie z. B. „Die Angst läuft mit" oder „Bett-Marathon mit Folgen" für die Kolumnen und „Alleine laufen oder in der Gruppe" und „Wasserwahn" für die Tipps.
Fazit: Achim Achilles lässt uns laufend an seinem „Leben als Läufer" (Untertitel) teilhaben. Seine Schreibe begeistert die (Läufer-) Massen. Denn er hält sich selbst und manchem von uns den Spiegel vor. Er bringt das auf den Punkt, was andere beim Laufen denken, aber sich nie trauen würden zu sagen … und erst recht zu schreiben!
Achim Achilles: Achilles´ Verse. Mein Leben als Läufer. München 2006. 222 S.
2011: Vom Wunderläufer Haile Gebrselassie …
Haile Gebrselassie, der Wunderläufer aus Äthiopien hat dem Berlin-Marathon (s)ein Gesicht gegeben: Hier lief er Weltrekord(e), daneben ist er vielfacher Olympiasieger und Weltmeister über unterschiedliche Laufdistanzen. Der Titel „Lauflegende" trifft die läuferischen Leistungen vollends. Klaus Weidt, Begründer sowie langjähriger Chefredakteur dieser Zeitschrift und heute Leiter von REISEZEIT kennt Haile persönlich so gut wie vermutlich keine anderer Deutscher bzw. Journalist weltweit.
Er hat sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Spuren dieser Lauflegende begeben, ihn mehrfach auch mit Laufreisegruppen in seiner Heimat besucht. Daraus ist ein bemerkenswertes Buch geworden, das die Laufbiografie von Haile von den Anfängen bis heute nachzeichnet. Nachworte haben u. a. Mark Milde als Renndirektor vom Berlin-Marathon und Wolfgang Weising, der heutige Chef von LAUFZEIT verfasst.
Klaus Weidt: Haile Gebrselassie. Auf den Spuren einer Lauflegende. Aachen 2011: Meyer & Meyer. 172 S.
2013: Ein literarisches Geschenk zum Jubiläum des Berlin-Marathon …
In diesem Jahr fand der Berlin-Marathon zum 40. Male statt. Das allein ist schon ein Grund, ihm endlich ein laufliterarisches Denkmal zu setzen. Dies ist jetzt „druckfrisch" in Form einer Anthologie geschehen, die Texte aus den (ersten) 40 Jahren des Berlin-Marathons zusammenträgt. Lauflegende Bernd Hübner erinnert sich an „sein erstes Mal" – genauer an den 13. Oktober 1974, als der Berlin-Marathon noch als Berliner Volksmarathon im Grunewald stattfand.
Andere Autorinnen (wie Susanne Mahlstedt und Andrea Wechsler) und Autoren (wie Günter Herburger und Arno Surminski) schreiben über ihre Eindrücke auf der Citystrecke, als das Ziel noch am Kurfürstendamm war.
Auf die Marathonstrecke führt Volker Schlöndorff mit seinem Vorwort …
Detlef Kuhlmann (Hrsg.): Lit. BERLIN-MARATHON. Texte von der Strecke. Eine Anthologie. Hildesheim: Arete Verlag. 184 S.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in LAUFZEIT – 12/2013