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06
09
2013

Cover der Ausschreibung zum 1. Berliner Volksmarathon 1974 - © Foto: Horst Milde

40. BERLIN-MARATHON 2013 : Eine Bewegung aus dem Grunewald – Ein historischer Rückblick auf die ersten 30 Jahre – (Teil I)

By GRR 0

Die ersten 30 Jahre des BERLIN-MARATHON ab 1974 – 2003 wurden, wie schon die ersten 25 Jahre des Laufes, mit historischen Erinnerungen hier gewürdigt. Der BERLIN-MARATHON entstand im Berliner Grunewald, dem Läuferparadies.

Aus einer zunächst lokalen Veranstaltung, allerdings schon für die Bevölkerung konzipiert, entwickelte sich bis heute eine Weltklasseveranstaltung, ein Verdienst der vielen ehrenamtlichen Helfer, Mitarbeiter, Förderer und Visionäre, die sich um und für die Entwicklung des Laufsports eingesetzt und gearbeitet haben.

Wenn am 29. September 2013 40.000 Teilnehmer aus rd. 120 Nationen durch die Innenstadt Berlins sich feiern lassen, dann gehört es auch dazu zu wissen, wie aus kleinen Anfängen sich dieser Sport entwickelt hat – und es gehört sich auch denen zu danken, die dabei geholfen und sich eingesetzt haben dieses Berliner "Aushängeschild" Stück für Stück aufzubauen!

Horst Milde

 

„Die Geschichte ist zu schön, als dass wir sie für uns behalten wollen. Es ist die Rede vom Volkslauf am Teufelsberg 1964. Zur gleichen Zeit, da in Hamburg die Veranstalter eines ,Cross-Country-Laufes für Jedermann’ ein Fiasko erlebten – ganze neun Läufer fanden sich ein – starteten in Berlin über 700 Teilnehmer.

Fünf von ihnen kamen sogar aus der Bundesrepublik. Eigens zu diesem Rennen. Einer war aus Xanten, der fuhr 600 Kilometer hierher und wieder 600 Kilometer zurück. Und wenn man so weit reist, um des Hobbys willen, dann hat man natürlich vorgesorgt. So auch unser Mann. Als er das Ziel passiert hatte, keineswegs erschöpft, aber auch nicht unter den ersten, ging er an seine zweite Aufgabe: das Studium der Ergebnisse.

Er strahlte, denn eine ehrende Anerkennung, so glaubte er, schien ihm sicher zu sein. Doch dann verfärbte sich sein Gesicht. Der Mann mit der längsten Anfahrtstrecke ärgerte sich. Was dachten sich denn eigentlich die Veranstalter, dass sie hier nur einen Altersklassensieger ausriefen? Schließlich ist es doch etwas anderes, ob man 55, 50, 45, 40 oder 35 Jahre alt ist?

Horst Milde, der die Hauptlast der Organisation trug, beruhigte den Xantener Gast. ,Das holen wir natürlich nach’, sagte er, ,und Ihre Urkunde sollen Sie auch haben. Geben Sie mir doch Ihre Adresse.’ Sein Gegenüber strahlte erneut und griff in die Tasche seines Sakkos: In der Hand hielt er – eine Urkunde, fein säuberlich in Heimarbeit gezeichnet, nicht einmal der eigene Name war vergessen, dazu die Altersklasse, die ihm nun auch ,von Amts wegen’ zukam. ,Fehlt nur noch Ihre Unterschrift’, meinte der Mann.

Horst Milde gab sie…“

Diese Anekdote ist knapp 40 Jahre alt. Beschrieben hat sie der Leichtathletik-Journalist Ekkehard zur Megede im November 1964 im Berliner ,Tagesspiegel’. Er konnte nach dem ersten Volkslauf, den Studenten der Freien Universität Berlin organisierten natürlich nicht ahnen, welche Entwicklung die späteren Läufe   nehmen würden, und dass er auch in dieser Glosse manches von einem inzwischen jahrzehntelangen Erfolgsrezept beschrieben hatte, das die Veranstalter heute noch auszeichnet: Innovationsfreude, Flexibilität und Service.

Es war jener Crosslauf am Teufelsberg, der am 8. November 1964 den Anfang machte von einem ebenso erstaunlichen wie sensationellen Kapitel deutscher Leichtathletik-Geschichte.

Höhepunkt dieser Entwicklung ist der BERLIN-MARATHON, der fast auf den Tag genau zehn Jahre nach dem ersten Crosslauf seine Premiere hatte.

An einen Marathon war in den 60er Jahren natürlich noch nicht zu denken. Auf die Idee, ein solches Rennen zu veranstalten, kamen die Organisatoren vom SCC, nachdem sie 1973 ein Informationsschreiben des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV) erhalten hatten. In dem stand unter der Überschrift ,Internationaler Marathonlauf in Berlin’: „Dieser Internationale Berliner Langstreckentag am 14. Oktober mit Start und Ziel am Mommsenstadion war ein voller Erfolg… voll des Lobes waren alle 92 angetretenen Aktiven…“.

92 Teilnehmer – das ist wenig, da sollte mehr drin sein, dachten sich die inzwischen bereits erfahrenen Veranstalter um Horst Milde, die das Rennen, dessen Ziel vor dem Mommsenstadion lag, quasi direkt von ihrem Geschäftszimmer aus beobachten konnten.

Am 15. August 1974 stellte der SCC entsprechende Anträge für die Ausrichtung des 1. Berliner Volksmarathon (so hieß der BERLIN-MARATHON offiziell in den ersten beiden Jahren), am 11. September 1974 lag dem Verein aus Eichkamp die Genehmigung des Polizeipräsidenten vor – der Vorgang kostete damals 25 DM. Sechs Tage nach der polizeilichen Genehmigung, am 17. September 1974, gingen die ersten beiden Meldungen ein.

Fast täglich wurden es deutlich mehr, bald war die BLV-Starterzahl von 1973 deutlich überboten, und am Ende wurden 286 Starter gezählt – eine für damalige Verhältnisse überraschend hohe Zahl.

Der SCC hatte bei seiner Premiere die Streckenführung des BLV übernommen. Gestartet wurde in
diesem Jahr also außerhalb des Mommsenstadions auf der Waldschulallee Nr. 80.

Die AVUS auf der einen, der Grunewald auf der anderen Seite – das war die Marathonstrecke der ersten acht Jahre. Gelaufen wurde dann fast bis zum Eingang des Strandbades Wannsee, wo sich die Wendemarke des zweimal zu absolvierenden Pendelkurses befand. Drei Verpflegungspunkte gab es auf der Grunewaldstrecke, an denen neben Wasser auch Tee, Obst, Salzbletten!!!  und … Brühe im Ziel  für die  Teilnehmer.

Gestartet wurde am 13. Oktober 1974 um 9 Uhr an der Waldschulallee 80, Zielschluss war sechs Stunden später um 15 Uhr. Die Teilnehmergebühr betrug damals 12 DM. Dafür erhielt jeder Läufer, der das Ziel vor dem Mommsenstadion erreichte, schon eine Medaille sowie eine Urkunde und eine Ergebnisliste, die damals noch von Hand getippt wurde.

244 Läufer kamen in Besitz dieser ersten Medaille und Urkunde des BERLINER VOLKSMARATHON. Sie erreichten das Ziel.

Die ersten Sieger hießen Günter Hallas (LG Nord Berlin), der 2:44:53 Stunden benötigt hatte, und Jutta von Haase (LG Süd Berlin), die 3:22:01 Stunden lief.

Zu beiden gibt es Anekdoten, die typisch sind für die Anfänge der Laufbewegung. So ignorierte Günter Hallas während der 42,195 Kilometer sämtliche Verpflegungsstände. „Ich war 32 Jahre alt und absolut ahnungslos. Deswegen dachte ich, ich muss das so durchhalten“, erinnert sich Günter Hallas an seinen Sieg, der kurz vor dem Ziel noch einmal in Gefahr zu geraten schien. Denn drei Kilometer vor dem Mommsenstadion lief nichts mehr bei Günter Hallas. „Ich blieb stehen, es war so gut wie vorbei. Ich wollte aufgeben, doch ein Zuschauer hat mich aufgemuntert und regelrecht ins Ziel gescheucht.“

Da hatte Günter Hallas Glück, denn Zuschauer gab es bei diesem ersten BERLIN-MARATHON so gut wie keine. Und sehr viel länger hätte er sich nicht aufhalten dürfen, denn der zweitplatzierte Rudolf Breuer vom Veranstalterverein hatte nur 1:50 Minuten Rückstand.

Der erste Sieger läuft heute immer noch beim real,- BERLIN-MARATHON mit. Mit 27 erfolgreichen Starts steht Günter Hallas gemeinsam mit Wilfried Köhnke sogar an zweiter Stelle in der Liste der Läufer mit den meisten Teilnahmen. Nur einer war immer dabei: Bernd Hübner. Alle drei sind natürlich Mitglieder im BERLIN-MARATHON-Jubilee-Club, dem alle angehören, die den BERLIN-MARATHON mindestens zehnmal erfolgreich absolviert haben.

Der erste BERLIN-MARATHON dürfte der einzige bleiben, bei dem gleich beide Sieger keinerlei Getränke zu sich nahmen. „Die damals sehr bescheidenen Verpflegungsstellen habe ich überhaupt nicht beachtet oder genutzt“, erzählt Jutta von Haase, die aufgrund eines empfindlichen Magens nicht einmal Wasserbecher
anrührte. Dass sie überhaupt antrat beim ersten BERLIN-MARATHON, war für manche eine Überraschung.

Denn eigentlich war Jutta von Haase Mittelstreckenläuferin. „Was machst Du denn hier? Diese lange Strecke,
das ist nichts für Dich.“ So begrüßte sie Fritz Orlowski, über viele Jahre Langstreckentrainer und Insider der Berliner Leichtathletik war, damals noch vor dem Start. Jutta von Haase weiß auch noch, wie es danach war: „Abends in der Philharmonie kam ich die Treppen nur rückwärts runter.“ Als Mittelstreckenläuferin hatte Jutta von Haase eigentlich viel zu wenige Trainingskilometer für einen Marathon in den Beinen.

Schon damals, 1974, versuchte man die Teilnehmer im Vorfeld zu betreuen. So wurden Trainings-
kurse für potenzielle Marathonläufer angeboten. Geworben wurde für den ersten BERLIN-MARATHON mit
einem vierseitigen Informationsblatt.

Unter diversen Informationen und Hinweisen fand sich darin auch der Punkt „Vorbereitung“: „Die Losung für Alle: Ohne Training – kein Marathonlauf…“, hieß es unter anderem.

Ein anderer Punkt führte zur Verzweiflung der Berliner Sportärzte. Laut Wettkampfordnung des Deutschen
Leichtathletik-Verbandes (DLV) musste damals jeder Marathonläufer am Veranstaltungstag ein sportärztliches Gesundheitszeugnis vorweisen, das nicht älter als acht Wochen sein durfte. Folglich rannte jeder Läufer zuerst zum Sportarzt seines Bezirkes – sie bekamen den ersten „Berliner Laufboom“ zu spüren. Später konnten die Veranstalter den Verband erfolgreich davon überzeugen, dass eine solche Regelung erstens wenig praktikabel und zweitens wenig nützlich ist. Das gilt auch heute noch.

Der erste BERLINER VOLKSMARATHON des SC Charlottenburg war auch eine konsequente Fortsetzung des Laufprogramms für Breitensportler, das der Klub zehn Jahre zuvor begonnen hatte. Zwischen Crosslauf und Marathon hatten die Charlottenburger das Volksgehen (1966), den heute noch stattfindenden Volkslauf (1967) und ein Volkswandern (1971) ins Leben gerufen.

Doch an eine Massenbegeisterung auf und entlang der Strecke war natürlich noch längst nichts zu spüren. Eher war es das Wort ,Verrückte’, das den Organisatoren noch einige Jahre lang zu schaffen machte. So mancher Spaziergänger im Grunewald, der den Läufern begeg- nete, soll sich nur an die Stirn getippt und von ,Ver- rückten’ gesprochen haben, als er hörte, welche Distanz die Athleten dort zurücklegten.

Der Siegesbote von Marathon war 1974 auf den ersten Medaillen abgebildet – doch niemand konnte ahnen, dass just dieses Symbol 24 Jahre später bei einem BERLIN-MARATHON mit ganz anderen Dimensionen,
nämlich der 25. Auflage der Veranstaltung, wieder in Erscheinung treten sollte. Feiern durften die Organisatoren dann auch ihren eigenen Siegeszug. Anfangs allerdings hatte es nicht danach ausgesehen, denn in den ersten sieben Jahren gingen nie mehr als 400 Läufer an den Start. 1975 war die Strecke etwas verändert worden. Start und Ziel waren nunmehr im Mommsenstadion.

Vermessen hatte den neuen Kurs Helge Ibert, der noch rund zwei Jahrzehnte lang für diverse Strecken des BERLIN-MARATHON verantwortlich zeichnete. Am Grunewalder Kurs hängten die Veranstalter Plakate im A2-Format auf, die die Autofahrer dazu aufriefen: ,Nehmt Rücksicht auf Marathonläufer’.

Die von Sperrungen betroffenen Anwohner in Eichkamp wurden zudem mit Handzetteln informiert. Damals wie heute keine Gelegenheit für Veranstaltungswerbung auslassend, fand sich auf diesen Zetteln auch der folgende Hinweis:

,PS: Auch Sie können an einem solchen Lauf oder an ähnlichen Volkswettbewerben  teilnehmen, nur müssen Sie mal vorher trainieren!’ Verwiesen wurde auf die Lauftreffs des Vereins.

 

Jörg Wenig in "30 Jahre BERLIN-MARATHON 1974 – 2003"

 

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author: GRR

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