Verlangt werden muss eine Klärung durch ein offizielles international gültiges Regelwerk, das allen Aktiven gerecht wird. Einigung auf ein einziges Sportgerät? Das könnte dann nur das von allen nutzbare Liegebike sein.
36. BERLIN-MARATHON 2009, Hand-Biker, Wim Decleir – Dr. Reiner Pilz berichtet
Die Sportart Handbiken hat ein Problem. Im vorigen Jahr eskalierte in Berlin der Konflikt zwischen den Liegebikern und den Kniebikern. Die Ursache liegt im derzeit gültigen Regelwerk: im Wettbewerb konkurrieren zwei unterschiedliche Sportgeräte in einer Wertung, das ist einmalig im Sport.
Die Akteure im Liegebike fühlen sich benachteiligt und sind es auch. Ein Kniebike können sie aufgrund ihres größeren körperlichen Handicaps nicht fahren. Den Kniebikern sind sie insbesondere im Spurtvermögen unterlegen und Zielspurts entscheiden schließlich über den Sieg. Wie lässt sich Chancengleichheit erreichen? Die Organisatoren der großen Laufveranstaltungen wie dem real,-BERLIN-MARATHON stehen da vor einem unlösbaren Problem.
Verlangt werden muss eine Klärung durch ein offizielles international gültiges Regelwerk, das allen Aktiven gerecht wird. Einigung auf ein einziges Sportgerät? Das könnte dann nur das von allen nutzbare Liegebike sein. So handhaben es die Organisatoren der Handbike City Trophy (HCT), bei der in diesem Jahr eine Gesamtwertung über die Platzierungen bei den Städte-Marathons in Düsseldorf, Mannheim, Duisburg, Heidelberg, Berlin und Frankfurt (Main) erfolgt.
Andererseits nimmt die Ausgrenzung des Sportgerätes Kniebike den gering behinderten Handbikern die Möglichkeit, ihre körperlichen Möglichkeiten an der Handkurbel voll zu entfalten. Es deutet sich an, dass die Kniebiker vom Internationalen Radfahrer-Verband (UCI) ab 2010 in einer eigenen Klasse gewertet werden. In diesem Jahr noch wird es Übergangslösungen geben müssen, so auch in Berlin. Ein zeitlich verzögerter Start als Chancenausgleich für den Zieleinlauf ist jedoch für die Kniebiker ein im Rennen nicht zu kompensierender Nachteil.
Diese Regelung muss auch der dreimalige Sieger von Berlin im Kniebike, der Belgier Wim Decleir, als schlechten Kompromiss sehen. Von hinten durch Überholvorgänge langsamer Biker noch die Spitzengruppe der Liegebiker zu erreichen, hält er auf diesem flachen schnellen Kurs für nicht erreichbar. Dazu sind die Liegebiker mit ihren möglichen Durchschnittsgeschwindigkeiten zu schnell. Seine Konkurrenten, vor allem aus Deutschland, kennt Wim Decleir natürlich und zollt ihnen den größten Respekt.
Weiß er doch aus eigener Erfahrung, wie viel professionelles Trainieren, Verzichten und Disziplin bei allem Talent hinter solchen Leistungen stehen. Und da denkt er vor allem an den Langstädter Vico Merklein, der beim 10. Heidelberg-Marathon am 5.7.2009 in einer Fabelzeit von 1:00:03:35h einen neuen Wetrekord über die 42,195km aufstellte.
Nach einem Motoradunfall 1989 erlitt der damals 18Jährige Wim einen Bruch des Unterschenkels, wurde falsch behandelt und entschied sich nach 6 Jahren nicht enden wollender Komplikationen zur Amputation. Aus war es mit Fußball, aber eine Alternative bot sich zunächst 1995 mit einem Powertraining im nahen Umfeld. Nach fünf Jahren genügte ihm das nicht, er hatte Rennen mit Handbikern gesehen und das faszinierte ihn. Mit seinen körperlich günstigen Voraussetzungen musste es das Kniebike sein, hier konnte er die bereits auftrainierte gesamte Rumpf- und Armmuskulatur einsetzen, ein Fitnessprogramm mit dem Leistungsmaß Geschwindigkeit.
Durch Zufall lernte er den Sportarzt vom Radprofiteam Astana, Dag van Elslande, kennen, der dem 29jährigen Talent an der Handkurbel individuelle Trainigsprogramme schrieb und ihn berät. Schnell stellten sich Erfolge ein und im Mai 2005 gewann er seinen ersten Marathon in Düsseldorf.
Trotz der für ihn diesmal widrigen Umstände gehört der real,-BERLIN-MARATHON fest in die Jahresplanung von Wim Decleir. Dieser größte deutsche Stadtmarathon mit seinen 40.000 Läufern, begeisternden Zuschauern, der Streckenführung und Medienpräsenz und mittendrin das große Feld der Handbiker und Rollstuhlfahrer, das findet er sensationell und faszinierend.
Dr. Reiner Pilz